Die Misstöne vor dem WM-Anpfiff

Aufrüsten: In Brasilien geht die Angst um, dass es nicht immer so friedlich zugehen wird, wenn die Ordnungsmacht auf Fußball-Fans und WM-Kritiker trifft.
Am Donnerstag beginnt das Spektakel. Ein Freudentag - oder bricht das Chaos aus?

Plötzlich kommt Bewegung in die Menge. Aufregung. Hektik. Eine schwarze Limousine ist das Ziel. Sie versucht vorsichtig, aber bestimmt, einen Weg durch eine Wand von roten T-Shirts zu finden. Dicht aneinander gereihte Uniformen bilden eine Schneise. Die Flucht gelingt. Allerdings nicht ohne auffällige Veränderung. Übersät mit roten Aufklebern auf glänzendem Schwarz verschwindet die Karosse. Wer hinter den getönten Scheiben saß? Die Antwort kommt prompt: "Der Mann, der für die Kultur in Rio de Janeiro verantwortlich ist."

Genau dort, wo die Avenida Atlantica eine scharfe Rechtskurve macht, die Copacabana enden lässt, um die Richtung nach Ipanema zu wechseln, haben sie sich versammelt. Mehrheitlich streikende Lehrer und andere Angestellte des öffentlichen Dienstes. Gewaltfrei, aber ohne Berührungsängste gegenüber der Polizei. Die Gruppe der Demonstranten, zweihundert mögen es sein, ist klein. Doch die Wirkung ist groß. Jedenfalls mehr als nur ein Nadelstich in eine der wichtigsten Verkehrsadern der Stadt.

Leandro Galindo gehört zu den Organisatoren des Protests. Nein, sie werden keine Ruhe geben. "Auch nicht am Donnerstag zur Eröffnung der Weltmeisterschaft. Fünf Millionen Menschen werden dann auf den Straßen Brasiliens sein. Und wir mischen uns darunter."

Seit Wochen dauert der Streik bereits. Ende in Sicht? "Die Regierung reagiert noch nicht. Wir verlangen einen Deal. Wir wollen eine bessere Bezahlung, Geld für Bildung, Gesundheit und Kultur. Es soll nicht alles nur für diese WM verprasst werden." Was er den als Lehrer einer öffentlichen Schule momentan verdiene? "350 US-Dollar pro Monat. Und wir unterrichten täglich Klassen, in denen 40 Schüler sitzen. Das ist Wahnsinn, das treibt Brasilien in den gesellschaftlichen Ruin."

Spannung

Brasiliens Fußballbegeisterung diesen Donnerstag, wenn die Seleção in São Paulo die Endrunde gegen Kroatien eröffnet, wird grenzenlos sein. Ob dies auch schmerzlos über die pompöse Bühne geht, bleibt die offene Frage. Staatspräsidentin Dilma Rousseff predigt die Existenz ungestört guter Stimmung, wird es aber vorziehen, vor dem Erstauftritt ihrer Nationalmannschaft in der Arena Corinthians keine Ansprache zu halten. Buhrufe kann sie derzeit nicht gebrauchen.

Derweilen befinden sich rund 350 Arbeiter in São Paulo im Wettlauf gegen die Zeit. Die Zusatztribünen für 20.000 Zuschauer sollen rechtzeitig fertig werden. Wird zumindest versichert.

Doch die Gefahr, São Paulo könnte am Tag der Eröffnung in einem Chaos versinken, schwebt über einem klaglosen WM-Auftakt. Zwar haben die meisten Menschen arbeitsfrei am 12. Juni, doch die U-Bahnfahrer beharren auf ihrer Drohung, den derzeit ausgesetzten Streik just am Donnerstag weiterzuführen.

Chaostage

Fünf Tage standen die U-Bahnen schon still, die Staus erreichten Rekordlängen. Und die Metro ist das Hauptverkehrsmittel, um die Zuschauer zum Stadion zu befördern. Ein Einstellen des Betriebs würde dem Image des Landes nachhaltig schaden. Irgendwie beklemmend, einem Kriegszustand gleich, ist teilweise das Szenario. Seit Montag haben 57.000 Soldaten Aufstellung genommen.

Schon hat der Gouverneur von São Paulo damit begonnen, seine Drohung wahr zu machen und Verkehrsbedienstete wegen der Teilnahme am Streik zu feuern. Gefordert wird von der Gewerkschaft, diese Maßnahme zurückzuziehen. Hart blieben bisher die Fronten.

Dass eine Gehaltserhöhung um die angestrebten 12,2 Prozent tatsächlich stattfinden wird, ist ohnehin nur noch ein frommer Wunsch.

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