Traumberuf mit Schattenseiten

Drei Ärzte erzählen, mit welchen Problemen sie in ihrer Arbeit zu kämpfen haben

Sie sind die Experten an der Basis. Ob unzumutbare Arbeitszeiten oder chaotische Strukturen: Fehlentwicklungen im Gesundheitssystem bekommen sie sofort hautnah zu spüren.

Der KURIER hat einen Wiener Primarius, eine Turnusärztin und einen Landarzt in Kärnten gefragt, wo sie in ihrer alltäglichen Arbeit der Schuh am meisten drückt – und warum trotz allem Arzt für sie immer noch ein Traumberuf ist.

„Mich interessiert vor allem der soziale Aspekt an meinem Beruf. Schließlich ist mein Hobby Gruppendynamik-Training“, sagt der Wiener Internist und Primar Kaspar Sertl. Für ihn ist der Job als Arzt weit mehr, als nur das Produzieren von Gesundheit. „Es geht vor allem um die Zweierbeziehung zwischen Arzt und Patient.“

Flachere Hierarchien

Wie sich der Spitalsalltag in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten verändert hat? „Das System ist heute nicht mehr so autoritär wie früher.“ Mittlerweile sei es selbstverständlich geworden, dass Entscheidungen in Team-Besprechungen gefällt werden, bei denen auch die Nicht-Ärzte dabei sind.

Was die (primar-)ärztliche Tätigkeit aber zunehmend erschwere, sei die Bürokratie. Schuld daran sei laut Sertl ein völlig falsches Verständnis von Qualitätsmanagement, konkret die überbordende und damit extrem zeitaufwendige Dokumentation von Behandlungen. Mehr noch: Mit dieser Materie würden sich vor allem Nichtmediziner beschäftigen, die aus den Daten mangels Fachkenntnis falsche Schlüsse ziehen würden, kritisiert der Primar.

Ein Beispiel: Laut OECD-Daten liege Österreich bei der Zahl der Spitalsaufnahmen wegen Diabetes im Spitzenfeld. Dass dies aber weniger mit einer schlechten Versorgung der Patienten, sondern mit dem heimischen Abrechnungssystem zu tun habe, entgehe den fachfremden Ökonomen, kritisiert der Arzt.

Seine provokante These: „Wenn das Qualitätsmanagement in der jetzigen Form heute beendet wird, wird das niemanden abgehen. Dafür würde die Qualität wieder steigen, da sich die Kommunikation zwischen Arzt und Patienten erhöhen würde.“

Weitere Serienteile:

Teil 1:

Teil 2:

„Jeden Tag hat man mit anderen Menschen zu tun. Für mich gäbe es keinen schöneren Beruf. Von den Patienten bekommt man unglaublich viel zurück“, erzählt Martina T. (Name geändert). In zwei Monaten wird sie ihren Turnus im Wiener SMZ Ost abgeschlossen haben.

Dass sie ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, deutet aber darauf hin, dass ihr Traumberuf auch Schattenseiten aufzuweisen hat. „Es ist frustrierend, dass die eigentliche Arbeit mit den Patienten viel zu kurz kommt.“ Denn ungefähr die Hälfte der Arbeitszeit werde durch administrative Tätigkeiten aufgefressen: Entlassungsbriefe schreiben oder Therapien organisieren. „Man beginnt völlig motiviert im Spital, glaubt, dass man die Welt retten wird – und sitzt dann unzählige Stunden vor dem Computer“, ärgert sich die Turnusärztin. Da sei die Situation in kleineren Spitälern viel besser, wo Tätigkeiten, wie etwa das Aufhängen von Infusionsflaschen, den Schwestern überlassen werde.

Dauerdienste

Pro Monat komme sie auf bis zu 260 Arbeitsstunden. „Es gibt schon einzelne Dienste nach denen man fix und fertig ist. Wenn man um 7.30 Uhr beginnt, hat man eigentlich um 22 Uhr schon genug. Es geht aber noch bis 9 Uhr am nächsten Morgen weiter.“

Dass unter diesen Umständen vereinzelt auch Fehler passieren, liege auf der Hand: „Ich selbst habe schon einmal einem falschen Patienten Blut abgenommen.“ Was sich die Turnusärztin wünscht: „Es wäre besser für uns und die Patienten, wenn die grenzwertig langen Dienste abgeschafft werden.“ Und den Papierkram sollten andere erledigen. „Der Turnus ist ja schließlich als Ausbildung gedacht.“

Seit 32 Jahren ist Bruno Schmoliner Landarzt. Gemeinsam mit einem Kollegen ist er für 4500 bis 5000 Einwohner da, die in Weitensfeld (Kärnten) auf einem Einzugsgebiet von 320 Quadratkilometer leben.

Für den 65-Jährigen bedeutet das 80 bis 120 Patienten pro Tag in der Ordination, mit 30 bis 40 von ihnen hat er direkten Kontakt. Pro Woche fährt er zu 60 bis 80 Patienten nach Hause, „die Hälfte von ihnen ist schon älter und kann gar nicht zu mir in die Praxis kommen“, schildert der Kärntner. Pro Tag bedeutet das 100 bis 120 Kilometer Fahrt, pro Quartal 500 bis 700 Visiten, pro Jahr 35.000 abgespulte Kilometer.

Hohes Arbeitspensum

Bei vier geöffneten Praxistagen pro Woche schafft Schmoliner locker eine 60-Stunden-Arbeitswoche. „Um 7 Uhr fängt die Ordination an, vor 19.20 Uhr komm’ ich selten in die Wohnung zurück.“ Schmoliner sieht das alles aber gar nicht so sehr als Arbeit. „Mich macht der Beruf glücklich. Ich wollte immer Landarzt sein, die Menschen kennenlernen. Im nächsten Leben würd’ ich wieder Landarzt werden.“

Aber unterm Strich bliebe für Hobbys und die Familie wenig Zeit. Darin sieht der Praktiker einen der Gründe für den Nachwuchsmangel. „Unsere jungen Ärzte sind zu 60 Prozent weiblich. Viele wollen Kinder haben, eine Familie. Das geht mit den Arbeitszeiten nicht“, überlegt Schmoliner. „Wenn ich nicht eine Frau hätte, die mir alles andere abnimmt, würde das auch bei mir nicht gehen.“

In zwei, drei Jahren will Schmoliner in Pension gehen. Nachfolger hat er noch keinen. „Ich bin traurig, wenn ich daran denke, dass meine Praxis vielleicht verwaist.“

Lesen Sie weitere Beiträge zur KURIER-Serie "SOS-Medizin"

Sonntag, 3.11.: Woran das Gesundheitssystem krankt

Montag, 4. 11.: Die Herausforderungen für die Gesundheitspolitik

Dienstag, 5. 11.: Traumberuf Arzt?

Mittwoch, 6. 11.: Mehr Menschlichkeit im Spital.

Donnerstag, 7. 11.: Strategien gegen lange Wartezeiten in Ambulanzen und vor Operationen.

Freitag, 8. 11.: Wirtschaftsfaktor Medizin.

Samstag, 9. 11.: Pfusch und Pannen: Qualitätssicherung in der Medizin.

Sonntag, 10. 11: Experten präsentieren ihre Reformvorschläge.

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