Dopingfall: Katerstimmung nach dem Feiertag

Aus der Traum: Der 26-jährige Johannes Dürr ist seit Sotschi ein gefallener Olympia-Starter.
Die Medaillenfeier ist noch im Gang, als das ÖOC vom positiven Test Johannes Dürrs erfährt.

Im Austria-Tirol-Haus ist die Medaillenfeier gerade voll im Gang, als bei einigen hochrangigen Herren Hektik ausbricht. Die Nachricht vom Dopingfall von Langläufer Johannes Dürr erreicht ÖOC-Präsident Karl Stoss und seine ausgelassen feiernde Entourage mitten im kollektiven Jubel über den sportlichen Super-Samstag.

Wenige Stunden später ist der Glanz der fünf Medaillen völlig verblasst. Im Austria-Tirol-Haus werden gerade die letzten Spuren der Medaillenparty verwischt, da muss Karl Stoss einen anderen Scherbenhaufen beseitigen. Entsetzt spricht der Präsident von einem "schwarzen Sonntag", einem "traurigen Kapitel" und vom "großen Schock".

"Für uns alle ist eine Welt zusammengebrochen. Diese Betrügereien hätten wir nie in unserem Team erwartet."

Noch in der Nacht auf Sonntag wurde Dürr aus dem Olympischen Dorf gewiesen und aus der österreichischen Olympia-Mannschaft ausgeschlossen. Die Heimreise musste der Niederösterreicher in einem Linienflugzeug antreten, der für ihn reservierte Platz in der Chartermaschine blieb leer.

Wiederholungstäter

Überhaupt war man beim ÖOC sichtlich bemüht, auf Distanz zu gehen. Für die eiligst einberufene Pressekonferenz, die in Österreich um 6.45 Uhr live übertragen wurde, wurde die riesige Sponsorenwand, die normal immer medienwirksam in den Mittelpunkt gerückt wird, mit weißer Folie überklebt. Stoss verzichtete bei seinem Auftritt demonstrativ auf das offizielle Olympia-Outfit, und Pressechef Wolfgang Eichler bemühte sich sichtlich, die ÖOC-Geldgeber nicht ins Bild und damit in die Nähe der aktuellen Doping-Affäre zu rücken.

Wieder hat Österreich bei Olympia einen Doping-Skandal. Wieder einmal betrifft es das österreichische Langlauf-Lager. Und wieder wird der legendäre Spruch von Peter Schröcksnadel strapaziert: "Austria is a too small country to make good doping", hatte der ÖSV-Präsident 2006 bei den Spielen in Turin launig in die internationale Journalistenrunde geworfen, nachdem in den Quartieren seiner Langläufer und Biathleten Razzien durchgeführt worden waren. Schon damals hatte Schröcksnadel den beteiligten Sparten mit dem Rauswurf aus der ÖSV-Familie gedroht. Später wurde ihm, ÖSV-Sportdirektor Markus Gandler und weiteren Mitgliedern in Turin wegen der Dopingaffäre jahrelang der Prozess gemacht. "Erst vor zwei Tagen habe ich ein Schreiben aus Turin bekommen, dass alles abgeschlossen ist. Freisprüche. Und jetzt so etwas. Das ist das Schlimmste, was ich mir nie mehr erträumt habe, dass das passiert", sagte Gandler.

Der zuständige österreichische Sportdirektor für Langlauf und Biathleten verteufelt seinen Langlauf-Star, den er vor wenigen Wochen nach seinem dritten Platz bei der Tour de Ski noch in den Himmel gelobt hatte. "Dann haben wir so einen Schurken, wo ich noch vor einem Tag gesagt habe: ein Traumbursche. Und was sage ich heute? Wir haben uns den Arsch aufgerissen für den Hund. Und dann wirst du so betrogen. Mir ist das wurscht, er muss nicht Dritter in der Tour de Ski werden, ich bin mit einem 15. Platz auch zufrieden."

Auch Dürrs Zimmerkollege Bernhard Tritscher, der gestern als einziger Österreicher noch das 50-Kilometer-Rennen absolvierte (Platz 24), ist auf seinen Freund angefressen: "Das mit Joe ist Scheiße. Ich bin enttäuscht von ihm. Für den Langlaufsport ist es zum Weinen."

Imageproblem

Denn durch Dopingsünder Dürr wird nun wieder die Glaubwürdigkeit des gesamten Langlaufsports infrage gestellt. Und das in Zeiten, in denen die Nachwuchsarbeit wieder erste Früchte trägt und sich Seefeld für die Nordische WM 2019 bewirbt. Zumal auch Markus Gandler sagt: "Ich kann in keinen mehr ein Vertrauen haben."

Im Haus Austria-Tirol herrschte am Schlusstag Katerstimmung. Und so mancher fühlte sich an den Freitag erinnert, als das erste Gerücht eines deutschen Dopingfalls die Runde machte und laut über den großen Nachbarn gelästert wurde. Seit dem positiven Dopingtest von Johannes Dürr ist allen das Lachen vergangen.

Prominente heimische Dopingsünder

Es war im Herbst, als der Österreichische Skiverband all seine Athleten in einen Sonderzug verfrachtete und sie medienwirksam von Innsbruck nach Wien chauffieren ließ. Von dem blassen, schmächtigen Mann nahm im Trubel um die Hirschers und Schlieris kaum wer Notiz. Während der gesamten Fahrt habe kein einziger Journalist mit ihm gesprochen, sagte der Nobody damals dem KURIER und kündigte an: "Die Leute werden mich schon kennenlernen und sich mehr für den Langlaufsport interessieren."

Seit Sonntag ist Johannes Dürr bekannter als ihm vermutlich je lieb war. Und auch die positiven Schlagzeilen rund um seine Person hätte er sich wohl gerne erspart.

Johannes Dürr lief nicht davon und flüchtete sich nicht in Ausreden und Verschwörungstheorien wie andere Dopingsünder. Als der Langläufer mit dem positiven Test konfrontiert wurde, verzichtete er auf das Öffnen der B-Probe und gab den Betrug zu. "Das ist das Schlimmste, was ich in meinem Leben gemacht habe", stammelte er ins ORF-Mikrofon.

Der Auftritt des 26-Jährigen bei Olympia war mit großer Neugier und auch großen Hoffnungen beobachtet worden. Nachdem Österreich 2010 keinen Langläufer nach Vancouver entsandt hatte, gab es in Dürr plötzlich wieder einen Mann von Weltklasseformat. "Mir sind gewisse Grundvoraussetzungen gegeben. Wenn ich eine schlechte Sauerstoffaufnahme hätte, wäre ich kein Langläufer, sondern ein Curlingspieler", hatte Dürr im Herbst gegenüber dem KURIER erklärt und sich als Kämpfer für einen sauberen Langlaufsport präsentiert. "Die Österreicher werden wieder begreifen, dass Langlaufsport nicht gleich Doping ist", verkündete er im Standard.

Hausgemacht

Das Ergebnis des Dopingtests, den er am 16. Februar in Obertilliach abgeliefert hatte, beweist das Gegenteil. 14 Mal war Dürr, der meist allein im Antholzertal trainiert, in diesem Winter zuvor bereits getestet worden, ertappt wurde er nie. Dabei gab der 26-Jährige gegenüber ÖSV-Vertretern zu, bereits seit einem halben Jahr EPO eingenommen zu haben.

Das erklärt auch die Leistungsexplosion des Göstlingers: Vor einem Jahr hatte er bei der Tour de Ski seine ersten Weltcuppunkte gesammelt, zwölf Monate später gewann er die Schlussetappe und wurde Gesamtdritter.

Dürr drohen nun vier Jahre Sperre. Da er geständig ist, könnte es aber zu einer Strafmilderung kommen, etwa, wenn er Hintermänner nennen sollte. "Ich habe den falschen Leuten vertraut und viele Leute enttäuscht, die sich für mich den Arsch aufgerissen haben", sagte er. "Ich kann mich nur für alles entschuldigen." Sprach’s und ließ noch einmal einen Blick in seine Seele werfen: " Ich bin auf der anderen Seite froh, dass es ein Ende genommen hat."

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