Kriegsende 1945: Der Terror im Inneren

In den letzten 41 Tagen des Zweiten Weltkrieges kamen bei Todesmärschen, Lynchmorden und Menschen-Treibjagden 30.000 Menschen um. Eine Verdichtung der Gewalt, die jetzt aufgearbeitet wird.
Kriegsende 1945: Der Terror im Inneren

...endlich wieder in einem Bett mit Leintuch und überzogenen Polstern schlafen". Das hält die Schriftstellerin Paula von Preradović am 13. April 1945 sehnsüchtig und erleichtert in ihrem Tagebuch fest: Heute vor 70 Jahren ist die Schlacht um Wien zu Ende und die Stadt befreit. Doch der Friede täuscht. Gerade in den letzten Tagen des Krieges kommt es zu einer Verdichtung der Gewalt, wie Heidemarie Uhl sagt. Die Historikerin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hat mit Kollegen diese Phase der Todesmärsche, Menschen-Treibjagden und Lynchmorde aufgearbeitet.

"Endphaseverbrechen" ist der Name dieses neuen Forschungszweig der Geschichtswissenschaft, der sich seit 2005 entwickelt. "Es handelt sich um eine ganz spezifische Verbrechensart mit einer ganz eigenen Logik, die vom Heranrücken der Front geprägt ist", erklärt Uhl. "Das kollabierende Regime fühlt sich vor neue Herausforderungen gestellt." Der Krieg im Inneren erreichte eine neue Dimension. Je weiter die Alliierten vorrückten, desto fanatischer die Durchhalte-Parolen und grausamer die Gewalt. Die Politik der verbrannten Erde wurde von ganz oben verordnet. "Hitlers Nero-Befehl lautete: Wenn schon untergehen, dann so blutig wie möglich, den Feinden nur ja keine Infrastruktur lassen." Politische Gegner und Widerstandskämpfer wurden gezielt ermordet, damit sie nicht beim Wiederaufbau des Staates helfen können.

Unbekanntes aufgearbeitet

Für eine Ausstellung (41 Tage. Kriegsende 1945 – Verdichtung der Gewalt, siehe rechts) geben Uhl und ihr Forscherteam erstmals einen Gesamtüberblick über diese Endphaseverbrechen in Österreich. "In mehr als 100 Orten in Österreich sind Verbrechen nachgewiesen", weiß die Historikerin heute. Viele werden erst jetzt aufgearbeitet. Wie die Flieger-Lynchjustiz an alliierten Flugzeugbesatzungen. Georg Hoffmann, Historiker an der Universität Graz, hat dafür in US-Unterlagen gegraben und herausgefunden, dass am 22. März 1945 fünf US-Bomber abgeschossen wurden. 31 Piloten glitten mit Fallschirmen zu Boden, wurden durch Wien getrieben und fielen der Lynchjustiz zum Opfer.

"Die psychologische Komponente – was Menschen dazu treib – wird in der Forschung derzeit heftig diskutiert", sagt Uhl. "Die Täter sind keine Bestien, die plötzlich vom Himmel fallen, sondern ganz normale Menschen, die nie einem anderen etwas zuleide getan hätten, wenn die Umstände nicht gewesen wären, wie sie eben waren." Es gäbe verschiedene Erklärungsansätze, etwa den Gruppenzwang. "Oder die Gefahr, dass man selbst zum Opfer wird, wenn man menschlich handelt. Wir kennen Fälle, dass Leute versuchten, abgeschossene Flieger zu schützen – und verschwanden. Denunziert vom Volkssturm."

Der Gefängnisdirektor von Krems-Stein wurde ebenfalls zum Opfer, weil er die Tore öffnen und alle Häftlinge freilassen wollte. Daraufhin wurden er und drei Wachmänner auf Befehl des Kreisleiters exekutiert. "Gerade Mitglieder der Macht-Elite, die im letzten Moment versuchten, Massaker zu verhindern, begaben sich in große Gefahr", analysiert die Historikerin.Bei der anschließenden "Kremser Hasenjagd" ermordeten fanatische NS-Wachleute, SS und Volkssturm mit tatkräftiger Unterstützung der Bevölkerung dann 386 Häftlinge.

In einem anderen Gefängnis rettete Zivilcourage dagegen viele Leben, darunter das von Leopold Figl und Paula von Preradović: Im Wiener Landesgericht wurden politische Gefangene in den letzten Kriegstagen gegen ausdrücklichen Befehl von oben freigelassen. "Gleichzeitig trieb man 46 Gefangene aus dem Landesgericht aneinandergekettet von Wien nach Stein", erzählt Uhl. "Mit ihnen zog das ganze Gericht ... eine absurde Geschichte: Von Wien nach Stein zum Erschießen."

Es gab aber auch "absurde Überlebensgeschichten", sagt Uhl. "In Graz Wetzelsdorf war eine Gruppe US-amerikanischer Flieger inhaftiert. In dem Moment, als sie erschossen werden sollten, kam ein Trupp ungarischer Juden in der Kaserne an und wurde statt der Amerikaner erschossen."

Was mit 200 in den letzten Kriegstagen vermissten US-Soldaten passiert ist, weiß man dagegen bis heute nicht.

41 Tage, 30.000 Ermordete - Die Ausstellung

Am 29. März 1945 überquerte die Rote Armee die Grenzen des „Dritten Reichs“ im Burgenland. Am 8. Mai kapitulierten die Nationalsozialisten. In den 41 Tagen dazwischen nahm die Gewalt noch einmal zu. Ab 16. April beschäftigt sich die Ausstellung „Kriegsende 1945 – Verdichtung der Gewalt“ am Wiener Heldenplatz mit diesen Gräueltaten: Aus mehr als hundert Tatorten wurden zwölf ausgewählt. Auf Litfaßsäulen werden die Geschichten der Opfer erzählt; angereichert um Tatort-Fotos aus heutiger Perspektive: www.oeaw.ac.at/41Tage

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