Elfie Semotan: "Gisele Bündchen ist fast zu perfekt"

"Cordula Reyer hat eine unglaubliche Präsenz", schwärmt Semotan
Zu ihrem 75. Geburtstag veröffentlicht Österreichs Starfotografin eine Autobiografie – mit Bildern und Anekdoten aus einem bewegten Künstlerleben.

Am Anfang stand ein Badeanzug – ein Badeanzug mit Fröschen drauf. "Er war der schönste, den ich je hatte", erinnert sich Elfie Semotan in ihrer neuen Autobiografie "Eine andere Art von Schönheit". Sie war damals fünf oder sechs Jahre alt, ihre Mutter, die vom oberösterreichischen Land nach Wien gezogen war, schickte den beiden Töchtern gelegentlich Pakete aus der Stadt.

Schicke Kleidung, das war eine Seltenheit in der Nachkriegszeit. Umso größer die Freude über den ausgefallenen Badeanzug. "Er war das einzige Kleidungsstück meiner Kindheit, das mir wirklich gefiel." In dieser Zeit entwickelte Elfie Semotan diesen speziellen Blick – einen Blick für schöne Dinge, ein Gespür für Farben, Schnitte, Menschen. "Es fiel mir auf, dass ich mehr Details bemerkte als andere Menschen."

Elfie Semotan: "Gisele Bündchen ist fast zu perfekt"
Honorarfrei im Zusammenhang mit der Buchrezension am 13.3.2016 Dürfen nicht vor 13.3.2016 veröffentlicht werden
Elfie Semotan hasst es, fotografiert zu werden: "Wozu?"

Diese Gabe blieb. Heute ist Semotan eine der berühmtesten Mode-, Porträt- und Werbefotografinnen der Welt – arbeitete für Vogue, Elle und Marie Claire, für Römerquelle und Palmers. Die Plakatserie für die Unterwäschefirma – freizügig gekleidete Models mit dem Slogan "Trau dich doch!" – hatte in den späten 1970ern einen Skandal ausgelöst. Die Fotografin wehrt sich gegen den Vorwurf, die Darstellung der nackten, weiblichen Haut sei zu öffentlich oder gar sexistisch gewesen: Sie wollte die Frauen unverblümt und reduziert zeigen, selbstbestimmt und ohne Schutzbedürfnis.

Vom Model zur Fotografin

Eigentlich hatte die Oberösterreicherin eine Karriere vor der Kamera angestrebt. Anfang der Sechzigerjahre – die 19-Jährige hatte gerade die Modeschule in Hetzendorf abgeschlossen – ging sie mit 700 Schilling nach Paris, um als Model zu arbeiten. Trotz vieler guter Aufträge, u. a. bei Lanvin, beendete Semotan nach neun Jahren ihre Karriere als Mannequin. "Sich zu produzieren und zur Schau zu stellen – dazu muss man über eine eigene, etwas exhibitionistisch ambitionierte Persönlichkeit verfügen", sagt sie rückblickend. "So war ich weder damals noch bin ich es heute."

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Die ausgebildete Tänzerin Naomi Campbell inszenierte Semotan als Ballerina. Das Foto mit abgeschnittenem Kopf gefiel ihr besonders gut.

Tatsächlich gibt es bis dato nur wenige Fotos, die die 74-Jährige zeigen. "Ich wüsste nicht, wozu ich mich ständig fotografieren lassen sollte", lacht sie im KURIER-Gespräch. "Überhaupt produzieren wir heutzutage zu viele Bilder. Es herrscht ein großer Überfluss, fast wahllos. Wir müssen wieder lernen, uns zu beschränken und nur das zu produzieren, was wir wirklich wollen. Wer geht schon jemals durch seine Selfies?"

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Der vermeintliche Hollywood-Bad-Boy Colin Farrell erwies sich beim Shooting als äußerst pflegeleicht.

Lange, bevor die digitalen Selbstbildnisse das Internet fluteten, etablierte sich Semotan als Porträtfotografin: Zuerst in Wien, dann, in den Neunzigern, in New York – ein Neubeginn nach dem Tod ihres ersten Mannes, dem Maler Kurt Kocherscheidt, Vater ihrer Söhne Ivo und August. Schnell begriff sie, dass Fotos von amerikanischen Schauspielstars in erster Linie als Marketing-Tool dienen und künstlerisch wenig ergiebig sind – doch es gab Ausnahmen. Etwa Benicio del Toro, der, völlig unerwartet, ohne Assistenten-Tross und mit "sicher nicht sorgfältig ausgewähltem Outfit" zum Shooting antanzte. Oder Willem Dafoe, der angesichts eines längeren Set-Aufbaus geduldig meinte: "Du bist der Profi. Tu, was du für richtig hältst." Auch die "außergewöhnlich schöne" Naomi Campbell, in der Branche nicht unbedingt für ihre sanftmütige Art bekannt, erwies sich als dankbares Model(l). Einziges Problem: "Sie kommt meistens viel zu spät."

Mehr als nur hübsch

Das Wiener Model Cordula Reyer, heute eine enge Freundin Semotans, fand sich am Anfang "nicht besonders schön" – doch die Fotografin sah etwas in ihr, das andere nicht sahen. Eine Präsenz, eine Ausstrahlung. Etwas, das über ein hübsches Gesicht hinausgeht. "Ich hatte immer eine Schwäche für Schönheit, die man nicht auf den ersten Blick sieht." Womöglich ein Grund, warum sie mit der "hoch professionellen" Gisele Bündchen nicht so recht warm wurde: "Sie ist fast zu perfekt."

Vom Trend, alles und jeden mittels Photoshop oder Handy-Filter glattzubügeln, hält Semotan erwartungsgemäß wenig. "Einfach nur die Realität schöner zu machen, ist doch langweilig. Ich glaube, das ist eine Mode, die bald wieder aufhören wird."

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Gisele Bündchen findet Semotan "fast zu perfekt". Im Shooting mit ihrer Schwester zeigte die Brasilianerin ihre wilde Seite.

Ein Freund fürs Leben

Ein ganzes Kapitel ihres Buches widmet Semotan ihrem langjährigen Weggefährten Helmut Lang. Seit Mitte der Achtzigerjahre arbeitete sie immer wieder mit dem scheuen Designer, der heute zurückgezogen auf Long Island lebt, zusammen. Nach dem Tod ihres Mannes kümmerte er sich um sie und die beiden Buben, wohnte sogar eine Zeit lang in ihrem alten, renovierten Bauernhaus im Südburgenland. Als sie 1996 zum zweiten Mal heiratete (Künstler-"Enfant-terrible" Martin Kippenberger), war er ihr Trauzeuge.

Lang hasste es, fotografiert zu werden – "ich habe es trotzdem oft getan und ich glaube, es war stets eine besondere Qual für ihn". Zum Glück: Das angeschnittene Porträt des Wieners, entstanden 1994 in New York, wurde eine ihrer berühmtesten Aufnahmen.

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Helmut Lang, Wiener Designer und Freund Semotans, 1994 in New York.

Semotans 75. Geburtstag im Juli werden sie wohl gemeinsam feiern. Ihr Wunsch für die Zukunft: "Ich würde gerne einmal Erni Mangold fotografieren." Zum Älterwerden hat die zweifache Mutter – trotz der schnelllebigen, oberflächlichen Branche, in der sie immer noch tätig ist – einen unbeschwerten Zugang: "Altern ist etwas, das man einfach nicht aufhalten kann. Ich kann mich sehr gut damit arrangieren. Es ist sinnlos, es nicht zu akzeptieren."

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Ab sofort erhältlich: „Eine andere Art von Schönheit“ von Elfie Semotan. Die Autobiografie mit 240 Seiten und 192 Fotos ist im Brandstätter Verlag erschienen und kostet 35 €.

Land

Elfriede Semotan wurde am 25. Juli 1941 in Wels geboren und wuchs im oberösterreichischen Haag am Hausruck auf. Ihr Vater war Eisenbahner, die Mutter Röntgenassistentin – sie verließ die Familie, als Elfie zwei Jahre alt war. Mit 14 Jahren begann Semotan eine Ausbildung an der Modeschule Hetzendorf, die sie 1960 abschloss. In den Sechzigerjahren arbeitete sie in Paris als Fotomodell.

Stadt

Zurück in Wien, etablierte sie sich als Werbe- und Porträtfotografin. Nach dem Tod ihres ersten Mannes ging sie nach New York, wo sie u. a. für Harper’s Bazaar und Esquire arbeitete. Seit 1986 arbeitete sie immer wieder mit Helmut Lang zusammen. Semotan war zwei Mal verheiratet: mit dem Maler Kurt Kocherscheidt, Vater ihrer zwei Söhne, und dem Künstler Martin Kippenberger, der 1997 an Krebs starb. Heute lebt sie in Wien, New York und im Südburgenland.

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