Tischgespräche: Dieses Mal mit Michael Schottenberg

Tischgespräche: Dieses Mal mit Michael Schottenberg
Gespräche bei Tisch. Gemeinsam essen und trinken ist laut Statistik eine aussterbende Art, Zeit miteinander zu verbringen. Angelika und Michael Horowitz haben 20 befreundete Künstler um diese Zeit gebeten.

freizeit-KURIER-Chefredakteur Michael Horowitz und seine Frau Angelika luden 20 befreundete Künstler zu intensiven Gesprächen ein. Bei einem Essen, in einem Wirtshaus, in einer Atmosphäre, bei der sie sich wohlfühlten. Festgehalten wurden die "Tischgespräche" im gleichnamigen Buch. Lesen Sie in den folgenden 20 Tagen was Alfred Dorfer, Christiane Hörbiger und viele mehr bewegt. Dieses Mal zu Gast: Schauspieler und Regisseur Michael Schottenberg.

"Manchmal beginnt man zu fliegen"

Michael Schottenberg hatte ein Leben lang "Theater im Kopf". Vor fast drei Jahrzehnten hat der Vollblut-Theatermann in einem Zelt vor der Votivkirche begonnen, inzwischen ist er Direktor des Wiener Volkstheaters. Er ist sich immer treu geblieben, denn Theatermachen lag dem Schauspieler, Regisseur und Direktor niemals nur im Kopf, sondern vielmehr am Herzen. Als "Probebühne der Wirklichkeit" will er - damals wie heute - den Theaterbesuchern die Welt der Geschichten eröffnen, um das Theater zu einem magischen Ort für Schauspieler und Publikum zu machen.

Tischgespräche: Dieses Mal mit Michael Schottenberg

Dein Vertrag als Direktor des Wiener Volkstheaters wurde um weitere fünf Jahre verlängert. Warum hast du ihn unterschrieben?
Michael Schottenberg: Mein Ruf ist ohnehin schon ruiniert. Das ist das Problem. Wer einmal Theaterdirektor war, bekommt keinen anderen Job mehr.

Du meinst, das Zelt vor der Votivkirche kannst du nicht mehr aufstellen? Kein "Theater im Kopf" mehr?
Nein, ich habe jetzt ein Theater am Buckel. Aber im Ernst, ich schleppe es gerne. Und ich habe mich wirklich sehr gefreut, dass sich die Kulturabteilung der Stadt Wien explizit auch für die nächsten fünf Jahre für mich als Direktor des Volkstheaters entschieden hat - dass man sich ganz bewusst für das, was ich mache und wie ich es in den vergangenen Jahren gemacht habe, ausspricht. Ich wollte vom Kulturstadtrat gebeten werden, und der g`scheite Mensch hat mich gebeten. Ich bin sehr stolz darauf. Und ich liebe ihn dafür.

Was hast du dir für die kommenden Jahre vorgenommen? Was wirst du anders machen? Wie wirst du mit den vorgegebenen Strukturen und Mechanismen umgehen?
Mein Beruf bringt es mit sich, dass jeder Tag ein neuer Tag ist. Im wahrsten Sinne des Wortes. Man kann sich in diesem Beruf kaum etwas auf Dauer schaffen, man muss es täglich neu beweisen. Es muss einem täglich etwas Neues einfallen. Das hält mich auf Trab. Es braucht, wie Brecht sagt, den "langen Atem". Aber ich bin ja Marathonläufer. Es ist nie etwas geschafft und ich bin auch selbst sehr oft mit meiner Arbeit nicht zufrieden. Ich lebe mit all meinen Fehlern wie mit einer Krankheit. Mein Trost ist halt immer: Ich kann mich verbessern und die Quote meiner Zufriedenheit zu erhöhen.

Aber es gibt auch etwas, das ich tatsächlich neu machen werde: Das ist die Jugendarbeit. Hier ist der Hebel anzusetzen, denn Jugendarbeit gibt es nicht wirklich in diesem Land. Es gibt ein Modell im Schauspielhaus Graz, initiiert vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, das sehr klug ist und guten Zulauf hat. Da muss man ansetzen, man muss viel mehr in die Schule gehen.

Als Theaterpädagoge sozusagen?
Genau. Wir müssen gemeinsam mit Theaterpädagogen in Schulen gehen. Man muss früh beginnen, ein interessiertes Publikum zu erziehen. Die Menschen, die auf der Bühne stehen, und die Menschen, die zusehen, müssen in einen geistigen und emotionalen Dialog gebracht werden. Wir dürfen oben nicht intelligenter sein als die, die unten sitzen. Natürlich müssen Menschen, die ins Theater gehen, keine Fachleute sein. Nach acht Stunden Arbeit hat man das Recht auf einen entspannten Abend oder zumindest eine Auseinandersetzung auf einem Niveau, das man versteht.

Hast du dazu ein Modell im Kopf?
Ja. Das Theaterpädagogen-Modell, das mir vorschwebt, schaut so aus, dass wir in den Schulen gemeinsam mit den Schülern Stücke lesen und dann verschiedene Interpretationsmöglichkeiten beziehungsweise Phantasien entwickeln.

Wäre das nicht die Aufgabe eines Deutschlehrers?

Nein. Damit wäre jeder Lehrer überfordert. Es braucht unser Know-how.

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Lassen Schulen diese ungewöhnliche Unterrichtsmethode zu?
Das sollten sie. Es könnte ja einmal pro Woche integrativer Bestandteil des Deutschunterrichtes sein. Dadurch erzieht man ein Publikum, das gewohnt wäre, im Theater frei zu denken und zu assoziieren. Ein offeneres Bild für Kunst und für Experimentelles in der Kunst wäre wachgeküsst. Natürlich ist dieser Beginn in den Schulen nur ein Samenkorn.

Aber wenn es aufgeht, ist es sicherlich auch für Künstler eine Freude, vor einem anspruchsvollen Publikum zu spielen.
Natürlich. Für einen Künstler ist es wunderbar, sich einem interessierten, offenen Publikum mitteilen zu können. Man muss ja keine universitäre Ausbildung haben, um zu verstehen, was die sich auf der Bühne denken. Das wäre ja schrecklich. Man muss ja auch kein Flugzeug konstruieren können, um das Fliegen zu genießen. Man muss nur eine kleine Schwelle überspringen und darf sich vor seiner Phantasie nicht fürchten, das ist alles. Ich würde es synaptische Geschmacksbildung nennen, wenn du so willst. Ja, das klingt gut.

Merken Schauspieler, wie interessiert oder gebildet ein Publikum ist?
Natürlich. Offenheit und Interesse spürt man sehr bald. An manchen Abenden geht alles schief, an anderen beginnt man zu fliegen.

Wovon hängt es ab, ob du abhebst oder nicht? Wie setzt sich ein perfektes Publikum zusammen?
Es hat jedenfalls nicht mit alt oder jung, Abonnent oder Nicht-Abonnent, gebildet oder nicht gebildet zu tun. Wahrscheinlich liegt es an einer Zusammensetzung und Mischung von möglichst vielen interessierten und offenen Menschen. Nun könnte man meinen, ein lustiges, leichtes Stück hat es diesbezüglich leichter als ein schwieriges - aber das stimmt nicht. Entscheidend ist, dass Regisseur, Schauspieler und Publikum dieselbe Sprache sprechen. Und im Idealfall ähnliche Phantasien entwickeln. Um das zu erreichen, muss man aber erst einmal jene Menschen erreichen, die für dieses oder jenes Stück am geeignetsten sind, denen man am meisten mitgeben kann. Die, die man ansprechen möchte, gehen aber meist gar nicht ins Theater.

Was es schwierig macht, sie zu erreichen.
Du sagst es. Die Kunst ist ein Hund.

Mit diesem Projekt der Jugendarbeit schaffst du dir also eine zusätzliche Aufgabe - das heißt, du machst es dir nicht unbedingt leichter und einfacher?
Nein, aber es sind viele Samenkörner, die ein Ganzes, so wie ich es mir vorstelle, funktionieren lassen. Das betrifft nicht nur die Auswahl der Stücke und eine permanente, behutsame Erneuerung des Ensembles. All das, auch das Unkünstlerische an meiner Arbeit, ist ein einziges Bemühen darum, Publikum zu sammeln. Ansonsten könnte ja alles so bleiben, wie es früher einmal war: Alles konzentrierte sich auf die Hauptbühne und zweimal im Jahr fand eine Dichterlesung im ehemaligen Pausenfoyer statt. Aber diese Reduktion würde bedeuten, all die Buntheit und die vielen Themenvernetzungen wieder zu verlieren, die wir in den letzten Jahren aufgebaut haben. Das wäre meinem Publikum und auch mir zu fad.

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Lass uns kurz über den Schauspieler Schottenberg sprechen. Du hast dich dafür entschieden, zumindest zehn Jahre lang den Theaterdirektor, den Macher zu spielen. Du bist aber darüber hinaus nicht nur ein wunderbarer Regisseur, sondern auch ein begnadeter Schauspieler. Fehlt dir das nicht?
Nein, es fehlt mir nicht. Ich verwirkliche mich ja in so vielem anderen. Ich habe in den letzten fünf Jahren fünf Rollen gespielt - aber das ist mir in dieser Konstellation einfach zu viel. Ich kann nicht bis halb acht Uhr am Abend den Theaterdirektor spielen und dann todmüde auf die Bühne torkeln. Wenn das andere können - Chapeau! Vielleicht "schwänzen" sie ja heimlich das eine oder das andere.

Aber du inszenierst das eine oder andere Stück?
Ja, als Regisseur muss ich arbeiten, sonst verdorre ich. Ich glaube, ein Theaterdirektor muss seine Seele herzeigen, muss angreifbar, berührbar sein. Er muss zeigen, dass er ein ganz normaler Typ ist, der Fehler macht und auch Schmerzen hat. Bei dieser Arbeit lerne ich die Schauspieler am besten kennen - und sie mich, da man auf sehr engem Raum zusammen ist. Als Regisseur zeige ich alles von mir her, ungeschützt, bin jederzeit ansprechbar, bin verletzlich und auch bereit, zu scheitern. Aber natürlich auch umgekehrt: Wenn alles wunderbar funktioniert, bin ich Teil eines gemeinsamen Erfolges. Das ist doch herrlich! Direktoren, die nicht inszenieren, sind auswechselbare, langweilige Manager.
Darüber hinaus gibt es am Volkstheater eine Tradition, dass der Direktor Volksstücke selbst inszeniert.

Wie hast du 1984, als du im Schauspielhaus mit Stücken wie "Elvis", "Rocky Horror Show" und "Piaf" begonnen hast und dort große Erfolge feiern konntest, das Volkstheater gesehen?
Als einen unüberschaubar großen Tempel, in den ich nicht hineingehen wollte, weil ich die Struktur für mich nicht akzeptieren konnte. Es wurde mir von Helmut Zilk bereits in jener Zeit, als ich vor der Votivkirche das Theaterzelt aufgestellt hatte, die Direktion des Volkstheaters angeboten. Ich habe damals abgelehnt, unter anderem deshalb, weil ich mir nicht zugetraut habe, ein Theater dieser Art zu führen, Menschen entlassen zu müssen und/oder für deren Existenzen verantwortlich zu sein. Es war ein Apparat, mit dem ich glaubte, nicht umgehen zu können. Ich dachte meine Talente zu verlieren, wenn ich mich dort einklinken würde.

Aber 20 Jahre später hast du es dir zugetraut? Warum? Was hat dich dazu bewogen?
Ich musste es tun. Die Zeit war reif. Es ist, wie ein Kind zu bekommen. Man will es haben, um zu wissen, wie es ist, wenn man es hat.

Das heißt, es wäre dir heute nicht mehr möglich "Theater im Kopf", das du 1984 gegründet hast, zu machen?
Ich glaube, dass all die Dinge, die ich gemacht habe, Umwege waren, um dorthin zu kommen, wo ich heute bin. Und das ist wahrscheinlich wiederum ein Umweg zu etwas anderem, wovon ich heute noch nicht weiß, was es sein wird.

Gibt es heute irgendeine Form des Theaters, die dir als Vision vorschwebt?
Ich glaube, dass Peter Stein derzeit etwas Wunderbares macht. Er lädt Schauspieler in sein Haus nach Italien ein, wählt ein Stück nach seinem Belieben aus, probt einige Wochen inmitten seiner Weinberge, führt dann dort das Stück auf und wird zu Festivals eingeladen. Großartig! Ich will das auch machen. Mir fehlen nur noch die Weinberge.

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Ich fürchte für dich, dass dieses Konzept an der Finanzierung scheitern könnte. Du wirst wohl noch eine Weile im Haus am Weghuberpark bleiben müssen. Aber das machst du ja auch gerne.
Stimmt. Weißt du, warum ich Theater so gerne mache und wovon ich so sehr überzeugt bin? Ich glaube fest daran, dass die Zeit, in der wir leben, die so zerrissen, kleinteilig, und "verpixelt" ist und hauptsächlich nur mehr aus Ich-AGs besteht, dieses Sammelsurium an Egoismen und Winzigkeiten, das dann von irgendjemandem zu einem absurd großen Ganzen zusammengesetzt und damit vergewaltigt wird, nichts dringender braucht als Zusammenhänge und Geschichten. Geschichten, sind derzeit die stabilste Währung, stabiler jedenfalls als diese seltsam konkreten Zahlen, die uns täglich umschwirren. Es sind die Geschichten, die letztlich übrig bleiben und alles überdauern. Was ist vom Staat der Griechen und Römer geblieben? Geschichten, Malereien, Bauwerke. Kunst. Nichts anderes bleibt. Es sind die Geschichten, die überleben, weil sie Emotionen beinhalten.

Und für diese Emotionen sind wir Theatermenschen zuständig. Gerade unsere Zeit braucht nichts dringender als die Zusammenführung von verschiedenen Gedanken. Das Zusammenfügen - nicht das Auseinanderzerren - ist unsere Aufgabe, denn die Dekonstruktion am Theater hat in den achtziger und neunziger Jahren stattgefunden. Daher glaube ich an erzählende Regisseure. Sie transportieren Geschichten. Die Menschen sehnen sich danach, ein Stück "erzählt" zu bekommen. Geschichten helfen. Sie sind geistiges Grundnahrungsmittel, in ihnen spiegelt sich die Welt.

Merkst du, dass Menschen in dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit größere Sehnsucht als früher nach jenen Geschichten haben, die ihr auf der Bühne erzählt?

Natürlich. Ein Stück, das eine klare Erzählstruktur hat, läuft von der ersten Vorstellung an gut. Leider gelingt uns das nicht bei jedem Stück.

Das wird ja auch nicht jeder Regisseur gleich gut können.
Richtig, aber ich suche konkret nach jenen Regisseuren, die genau das wollen und können.

Wirtschaftskrisen sind also gut fürs Theater?
Sie sind, zynisch gesagt, für das Theater eine Chance.

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Noch drei Fragen zum Theater: Gibt es irgendwo auf der Welt ein Theater, das für dich ein Vorbild ist beziehungsweise hast du ein Idealbild eines Theaters vor Augen? Gibt es einen großen Regisseur, den du dir fürs Volkstheater wünschen würdest? Gibt es einen großen Schauspieler oder eine große Schauspielerin, den beziehungsweise die du gerne einmal ans Volkstheater holen möchtest? Drei Wünsche an eine Fee?
Ohne lange nachzudenken, kann ich dir die ersten zwei Fragen beantworten: Das "Théâtre du Soleil" ist eine der schönsten Theaterformen, die ich kenne, und Ariane Mnouchkine macht eben in diesem "Théâtre du Soleil" die für mich großartigste Regiearbeit. Sie macht in diesem Theater all das, was ich mir auch mit "Theater im Kopf" vorgestellt habe - es ist ein magischer Ort für Schauspieler und Publikum. Mit Tanz, Zauberei und sehr viel theatralischer Intelligenz wird der Zuschauer in eine andere Welt gebeamt.

Und dein dritter Wunsch? Welchen Schauspieler würdest du gerne engagieren?
Den oder die bilde ich am liebsten selbst heran.

Um jetzt vom Theater im Allgemeinen auf die Theaterstadt Wien zu sprechen zu kommen. Es wird immer wieder behauptet, das Wiener Publikum wäre großartig. Wie siehst du das?

Das ist sehr höflich ausgedrückt. Das Wiener Publikum ist ein schwieriges Publikum.

Warum?
Ein Beispiel: Gemeinsam mit Marcello de Nardo habe ich "Weiningers Nacht" in Berlin und in Wien herausgebracht. Dasselbe Stück, dieselben Schauspieler und eine sehr ähnliche Inszenierung. In Berlin war es ein Erfolg. In Wien war es absolut keiner.

Wie erklärst du dir das?
Wien ist - um es milde auszudrücken - eine fremdendistanzierte Stadt. Das spürt man immer wieder. Eine erschreckend hohe Anzahl der Wiener ist voller Ressentiments gegenüber Andersdenkenden. Wien ist aber auch eine Stadt, die sich mit Kritik und mit ihrer eigenen Vergangenheit schwertut.

Warum bleibt man dann als Künstler ein Leben lang in dieser Stadt? Ist das eine gewisse Abhängigkeit, ist es Liebe?
Wien ist darüber hinaus eine höchst lebenswerte Stadt und es ist ja auch nicht jeder Wiener fremdenfeindlich. Aber der Anteil derer, die es sind, ist ungleich größer als anderswo.
Wien ist aber auch eine Stadt, die sich in den vergangenen dreißig Jahren sehr verändert hat und wesentlich offener und liberaler geworden ist. Ein Restaurant wie das "Neni", in dem wir jetzt sitzen, wäre vor Jahrzehnten in Wien undenkbar gewesen. Wien hat wahrscheinlich die größte Anzahl an Sushi-Lokalen. Allein schon deshalb möchte ich in keiner anderen Stadt leben.

Vancouver hat vielleicht mehr, aber du bist ja kein Mah-Jongg-Spieler, oder?
Nein, und vor allem: Was täte ich in Vancouver mit dem Volkstheater? Abgesehen davon: Die Stadt, in der man lebt, betrachtet man halt besonders kritisch. Das Wiener Theaterpublikum ist süchtig nach Sensationen und Außergewöhnliches. Der Durchschnittszuschauer ist nicht am Theater, sondern am Event interessiert. Oder er ist ein Schauspieler-Narrischer, der Schauspieler-Schauen geht. Das gibt es in Düsseldorf oder in Berlin nicht.

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Es ist eine alte Theatertradition in Wien: "Gemma Wessely schaun" … Gibt es für dich über das Theater hinaus eine künstlerische Vision, die du in deinem Leben noch verwirklichen möchtest?
Was mich immer schon interessiert hat, ist das Reisen in fremde Länder. Und: Mich faszinieren Menschen, die ihre ganze Kraft in den Dienst anderer, benachteiligter Menschen oder einfach am falschen Ort Geborener stellen. Ich bewundere zum Beispiel den Italiener Dr. Benno Röggla, den Gründer von "Helfen ohne Grenzen", und finde das, was er in Burma leistet, großartig. Er hilft vor Ort tausenden Kindern und steckt seine ganze Kraft in diese Arbeit. Wunderbar!

Leider habe ich diese Kraft nicht, aber hätte ich sie, würde ich mich darin verlieren. In einer Arbeit, die wirklich Sinn macht. Und ich würde damit Menschen wirklich glücklich machen.

Noch glücklicher als im Theater?
Wirklich glücklich.

Du wirst - du weißt es vielleicht noch gar nicht - in einem Jahr 60.
Das glaube ich dir nicht.

Doch, doch. Lässt man in diesem hohen Alter bereits sein Leben Revue passieren? Fragst du dich manchmal, ob du dies oder jenes anders hättest machen sollen?
Dazu habe ich noch keine Zeit. Null Zeit. Ich merke es nur an meinen jungen Schauspielern. Fast unmerklich bin ich, quasi von einem Moment zum anderen, in die Vorgänger-Generation gerutscht. Bin hineingeschlüpft in die Rolle des Alten.

Wie gewinnt man das Vertrauen der nächsten oder übernächsten Generation?
Ich glaube, das ist in diesem Beruf wesentlich einfacher als in jedem anderen Beruf. Am schönsten ist es bei den Zirkusleuten: Ein junger Jongleur wird vom alten lernen, er verehrt diesen Menschen und weiß, dass dieser Jahrzehnte vor ihm genau dasselbe erlebt und durchgemacht hat. Er spricht ihn per Sie an, trägt ihm die Keulen. Nicht, dass mir jemand die Keulen tragen müsste, aber mir gefällt dieser Gedanke, den es auch in der fernöstlichen Kultur gibt. Dass man denjenigen, der den Weg bereits gegangen ist, hochachtet. Das gibt es am Theater auch. Die jungen Schauspieler wollen von den alten lernen. Die Alten sind es, die ihnen den Job geben, die für ihre Ausbildung verantwortlich sind.

Das ist fast ein Vater-Sohn- oder Vater-Tochter-Verhältnis.
Genau. Und wenn man dieses Verhältnis lebt, dann liebt man seine Theaterfamilie umso mehr.

Erkennst du an jungen Schauspielern schnell, wie talentiert sie sind oder wie groß ihr schauspielerisches Potential ist?
Meistens. Bei der Kathi Straßer war es mir in dem Moment klar, als ich sie zum ersten Mal gesehen habe. Sie ist ein besonderes Talent. Aber natürlich hat sie Rollen und Herausforderungen gebraucht, um zu wachsen. Und dafür bin ich da. Ich muss die Verantwortung für Talente übernehmen. Das ist meine Aufgabe.

Hat dich - als du jung warst - die traditionelle Schauspielerei überhaupt je gereizt?
Mich haben Rollen gereizt. Ich habe mich nach einem Samtvorhang gesehnt.

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Jetzt bist du als Theaterdirektor auch manchmal in der Situation, jemanden kündigen zu müssen, einem Schauspieler zumindest sagen zu müssen, dass er sich für die eine oder andere Rolle nicht qualifiziert …
Es hat lange Zeit gebraucht, das zu lernen.

Wie entspannst du dich?
Ich kann inzwischen mit unbewältigten Problemen schlafen gehen. Aber auch das musste ich lernen.

Das heißt, du schläfst gut?
Ich könnte in jeder Sekunde einschlafen.

Na, ich hoffe nicht. Träumst du dabei von schönen Dingen?
Na ja …

Wovon hast du zuletzt geträumt?
Immer nur vom Theater.

Du bist aber nicht nur Schauspieler, Regisseur und Theaterdirektor, du bist auch Zauberer - etwas, das ja bis jetzt in deinem Leben zu kurz gekommen ist. Ein begnadeter Zauberer, möchte ich fast sagen.
Begeisterter wäre treffender.

Da will ich dir nicht widersprechen. Aber wenn man schon eine solche Fähigkeit hat, will man da nicht öfter in diese Welt der Magie eintauchen?
Ich bin ja mitten drinnen. Im Ernst: Klassische Zauberei ist vor allem Handfertigkeit. Das fasziniert mich.

Gibt es denn nichts, was wir von dieser magischen Welt lernen könnten?
Zauberei hat viel mit der Verführbarkeit des Publikums zu tun. Als Zauberer weiß man genau, wie man es lenken beziehungsweise ablenken muss, wie und wann man es täuscht.

Bleibt für einen sinnlichen Menschen wie dich bei so viel Theaterengagement noch die Zeit, andere Seiten des Lebens zu genießen?
Ja, gutes Essen und Trinken kann ich sehr genießen.

Du bist Vegetarier? Warum?
Dahinter steckt keine Philosophie. Ich fühle mich einfach wohler, wenn ich kein Fleisch esse.

Was isst du denn besonders gerne?
Sushi - alles Japanische.

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Was ist auf deiner Werteskala zum Glücklichsein noch weit oben?
Nach Schwechat zum Flughafen zu fahren.

Warst du schon in Japan?

Ja. Ich bin jeder Art von asiatischer Küche verfallen.

Wir sitzen hier in einem multikulturellen Lokal am Naschmarkt.
Ja, wunderbar. Fast über Nacht wachsen hier neue Lokale aus dem Boden. Das finde ich genial. Ich wünschte, die ganze Stadt wäre ein Naschmarkt. Diese herrlichen Gerüche, diese Buntheit, diese ethnische Vielfalt. Ich mag ja im Unterschied zu dir die österreichische Küche nicht so gerne. Sie hat mir nie wirklich geschmeckt.

Was hast du denn als Kind gegessen? Hat deine Mutter japanisch gekocht?
Leider nein.

Hast du nie Gusto auf ein Gulasch?
Ich muss dich enttäuschen. Das einzige, wonach ich mich seltsamerweise manchmal sehne, ist ein Burenhäutl. Wenn ich an einem Würstelstand vorbeigehe, bleibe ich manchmal stehen und schnuppere.

Burenhaut?
Das ist mir jetzt ein bisschen peinlich.

Aber du springst nicht über deinen vegetarischen Schatten und beißt in eine hinein … dass es nur so spritzt?
Nein. Um es zu präzisieren: Ich bin ein Fisch-Vegetarier. Ich esse jede Art von Fisch, bloß kein Fleisch.

Warst du früher Junkfood-Esser?
Ja. Ich habe alles gegessen.

Trinkst du gerne Wein?
Bei Wein kann ich wunderbar entspannen.

Glaubst du, Fisch-Vegetarier trinken ausschließlich grünen Tee?
Ich habe es befürchtet.

Buchtipp

Tischgespräche: Dieses Mal mit Michael Schottenberg

Angelika & Michael Horowitz
TISCHGESPRÄCHE
Über Essen, Trinken und die anderen schönen Dinge des Lebens
Amalthea Signum Verlag
ISBN 978-3-85002-758-8
224 Seiten
VK-Preis: 19,90 €

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