Tischgespräche: Dieses Mal mit Michael Heltau

Tischgespräche: Dieses Mal mit Michael Heltau
Gespräche bei Tisch. Gemeinsam essen und trinken ist laut Statistik eine aussterbende Art, Zeit miteinander zu verbringen. Angelika und Michael Horowitz haben 20 befreundete Künstler um diese Zeit gebeten.

freizeit-KURIER-Chefredakteur Michael Horowitz und seine Frau Angelika luden 20 befreundete Künstler zu intensiven Gesprächen ein. Bei einem Essen, in einem Wirtshaus, in einer Atmosphäre, bei der sie sich wohlfühlten. Festgehalten wurden die "Tischgespräche" im gleichnamigen Buch. Lesen Sie in den folgenden 20 Tagen was Alfred Dorfer, Christiane Hörbiger und viele mehr bewegt. Dieses Mal zu Gast: Kammerschauspieler Michael Heltau.

"Das Leben ist ein Stafettenlauf"

Michael Heltau ist mehr als ein Schauspieler, Entertainer, Erzähler und Sänger. Er ist ein Bühnenmensch mit Hirn und Herz, der seinen Beruf als "Schutzmantel" nutzt, unter dem ein Leben lang neue Verwandlungen möglich sind. Doch das Leben ist für den jüngsten Doyen der "Wiener Burg" nicht nur Theater: "Die letzte Einfachheit – das ist mein Ziel. Keine Dekoration, keine Ablenkung mehr. Nichts. Kein Druck mehr. Das ist das Schönste."

Du strahlst so eine innere Ruhe und Zufriedenheit aus. War das immer so? Oder ist das ein Geschenk, das ab einem Alter von über 50 ganz einfach auf einen zukommt?
Michael Heltau: So subjektiv beantwortet, wie man dies - und überhaupt alles andere auch - nur tun kann, muss ich dir sagen, 50 wäre dafür viel zu spät. Ich habe mir in diesem "Jugendberuf", den wir Schauspieler ja ausüben, immer gesagt, dass das, was beruflich nicht bis zur zweiten Hälfte der 20 passiert ist, nicht mehr kommt.

So früh?
Absolut. Dafür gibt es auch Zeugen. Und paar leben sogar noch. Ich habe das oft mit Menschen wie zum Beispiel dem Leopold Rudolf besprochen. Ich war ungefähr Mitte 20 und alle dachten, ich wäre ein Träumer, ein Idealist. Dabei haben sie mich nur mit jenen Figuren verwechselt, die ich auf der Bühne gespielt habe. Ich war immer Realist. Ich wusste, man muss mit Ende 20 in diesem Beruf etwas erreicht haben, um kein Kümmerling zu sein – und das wollte ich wirklich nicht sein. Das wollte ich in keinem Beruf sein.

Daher: Wenn ich es bis Ende 30 nicht geschafft hätte, hätte ich etwas anderes gemacht. Ich wäre ausgestiegen und halt irgendwann einmal beim Theater gewesen. Für mich war das immer nur eine von vielen Möglichkeiten im Leben. Es gibt so viele Menschen, die immer nur darüber jammern, was sie alles im Leben gerne gemacht hätten.

Wie traurig.
Genau! Wie traurig. Auf die Frage "Ja, aber warum nicht?", kommen dann immer nur Ausreden. Das Entscheidende im Leben ist, dass man trotz des Erfolges immer seine "eigene Gruabn" findet.

Weißt du, was ich meine? Wir haben zwar einen Brotberuf, der einen ernähren muss, aber darüber hinaus muss jeder noch ein Platzerl - wie die Grube in seinem Bett - finden. Dort, wo er wirklich hineinpasst und das findet, was er wirklich ist.

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Ein schönes Bild – "die eigene Gruabn finden".
Ja, das finde ich auch. Helene Thimig hat das vom Hans Moser übernommen - aus einem der vielen schlechten Filme, die wir damals alle gemacht haben -, aus einer Szene mit Lotte Lang. Beide liegen im Bett und wälzen sich herum, da sagt der Moser grantelnd zu ihr: "Jetzt lass uns doch endlich schlafen." Daraufhin sagt sie: "Nicht bevor ich meine Gruabn g`funden hab."

… und du hast diese Gruabn für dich gefunden?
Ja. Ich dachte mir bereits damals, alles, was ich als Schauspieler mache und erreiche, muss ich sehr bewusst wahrnehmen, denn früher oder später wird das nicht mehr sein. Schon damals war mir klar, dass die Schauspielerei kein Jugendberuf ist.

Das heißt, es ist dir früh gelungen, den Moment zu leben, den Augenblick als das zu erkennen, was er ist?
Absolut. Und ich habe es genossen und mir dadurch auch sehr früh eine innere Unabhängigkeit erworben.

Aber wer hat schon den Mut und wird nicht im Alter von Existenzängsten geplagt?
Ja, natürlich. Ich verstehe auch jedes Handeln, wenn man in Not ist. Aber viele könnten sich sehr leicht lösen - und haben es bis heute nicht geschafft.

Mir war jedenfalls rasch klar, dass sich im Leben nicht alles ums Theaterspielen drehen darf. Wer auf der Bühne steht, kann nur zu spät, aber nie zu früh aufhören. Daher habe ich mich vor zirka zehn Jahren entschlossen, nie mehr eine Rolle zu spielen. Ich habe immer gesagt: "Für Alter und Hinfälligkeit auf der Bühne stehe ich nicht zur Verfügung."

Aber es gibt doch auch wunderbare Rollen für alte Schauspieler?
Ja, aber sie müssen alle ein bisschen jünger gespielt werden, als sie tatsächlich sind. Hör mir auf mit diesen hochverdienten Künstlern. Jeder muss oder sollte wissen: Dieser Beruf ist nur auf Zeit. Und jemand, der ein Leben lang im Schauspielerberuf unglücklich ist, der sollte nicht zum Theater, sondern zum Arzt gehen.

Ich verstehe Künstler nicht, die behaupten, sie möchten nichts lieber als auf der Bühne sterben. Wie bitte? Das will man Zuschauern antun? Auf der Bühne den letzten Japser machen? Wie kommen andere Menschen dazu? Sterben ist doch eine Sache der Intimität, und nicht der Öffentlichkeit.

Heißt das aber nicht auch, dass viele Künstler nur auf der Bühne zu leben verstehen?
Genau das meine ich. Ein verlorenes Leben. Sie haben ein Leben lang die Rollen nicht begriffen. Auf jede Rolle muss eine nächste folgen und dann wieder die nächste …

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Welches Stück war das letzte, in dem du gespielt hast?
"Die Riesen vom Berge", inszeniert von Giorgio Strehler. Ich habe damals beschlossen aufzuhören, weil ich ganz einfach nicht mehr wollte. Ich wollte nicht mehr auf Proben gehen, wollte nicht mehr dies und jenes müssen. Ich hab das alles doch so lange Zeit gemacht.

War das mit einer Art Abschiedsschmerz verbunden?
Nein, überhaupt nicht. Keine Wehleidigkeit, bitte. Ich habe immer gesagt, ich bin doch nicht mit Steinen verheiratet. Das Leben ist ein Stafettenlauf. Und so wunderbar dieser Beruf auch ist, er bleibt eine Art Erfindungsberuf. Das beinhaltet immer, neugierig zu sein. Das darf nie enden. Die Neugierde aufs Leben muss immer bleiben. Das ist das Schönste.

Als treibende Kraft?
Natürlich. So viele Menschen erzählen und jammern immer nur, auf wen sie im Leben hereingefallen sind. Dabei sind sie doch nur auf sich selbst hereingefallen.

Und um nochmals auf deine erste Frage zurückzukommen: Ich fühle mich deshalb heute so wohl mit mir, weil ich in meinem Leben auch etwas auslassen konnte. Es gibt da ein herrlichen Spruch meines Onkels Victor: "Dumm darf man sein, aber du musst dir zu helfen wissen."

Wann ist der Wunsch, auf der Bühne stehen zu wollen, gekommen?
Ich bin mit 20 Jahren in diesen Beruf eher hineingestolpert, als dass ich ihn gesucht hätte. Aber ich habe immer sehr viel gelesen. Robert Musil und Joseph Roth habe ich geliebt. Den "Radetzkymarsch" habe ich gelesen wie andere in meinem Alter Karl May.

Wie bist du zu diesen Büchern gekommen?
Durch Erna Lapitzky aus der Ingolstädter Flüchtlingskaserne. Ich war fünfzehn oder 16 Jahre alt und habe mir in der Auslage ihres Buchgeschäftes Bücher angeschaut, die ich mir nicht kaufen konnte. Da hat sie zu mir gesagt: "Magst du Bücher gerne? Ich hätte ein paar für dich." So bin ich zum "Radetzkymarsch" gekommen, habe von Arthur Schnitzler und von Wien gehört und war schlussendlich deshalb im Theater in der Josefstadt bei der zweiten Uraufführung von Arthur Schnitzler dabei. So hat sich alles ergeben.

Wann bist du endgültig nach Wien gekommen?
Anfang der fünfziger Jahre kam ich ans Reinhardt Seminar.

Hast du sofort den Zauber dieses Berufes gespürt?
Nein. Das wird meist übertrieben. Ich hatte in diesem Beruf eine Art "Jugendbonus": nämlich sehr lange eine jugendliche Ausstrahlung. Heute sage ich: Von der Jugend haben nur die anderen etwas, man selbst hat kaum etwas davon. Aber für den Beruf war das natürlich sehr günstig. Für meinen Erfolg jedoch war - so glaube ich - das alles Entscheidende, dass ich besser arbeiten konnte als die meisten.

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ißt das, du bist disziplinierter als andere?
Vielleicht, aber es mag auch eine gewisse Wahrhaftigkeit sein, die sich daraus ergibt, dass man nicht nur an sich denkt, sondern an die Aufgabe. Denn eines darf man nie: gefallen wollen – dadurch blockiert man sich vollkommen …

Dadurch, dass man der Vorstellung gerecht werden will, die man glaubt, dass sie andere von einem haben?
Genau das ist es. Wenn man versucht etwas nachzumachen, weil man glaubt, dass es dem Publikum gefällt. Daraus entsteht eine einzige Peinlichkeit, und es funktioniert nie. Auf den Punkt gebracht, war es für mich immer so: Je besser die Stücke waren, desto leichter fiel es mir, mich selbst zu vergessen und in der Figur zu bleiben. Nur dann konnte ich als Schauspieler gut sein.

Wie wichtig ist dabei der Bühnenpartner?
Sehr wichtig. Die Palette reicht von "unsagbar schwierig" bis zu "sehr beglückend".

Wer waren die Beglückendsten?
Sehr viele Frauen. Ich habe ja vor allem Liebesgeschichten gespielt. Von Johanna von Koczian bis zu Kitty Speiser als junger Mann und Liebhaber, von der Paula Wessely bis zur Käthe Gold in der Rolle des Sohnes. Es hat sich alles immer um die Liebe gedreht.

Wer waren deine Lieblingsautoren, deine Lieblingsstücke?
Ab jenem Moment, in dem die Stücke jüdisch wurden, waren sie gut, denn plötzlich war dieser Humor da … Anfangs habe ich viele schlechte Stücke gespielt, in denen auch ich wirklich schlecht war. Aber ich erinnere mich gut an eine Probe zu "Was ihr wollt" mit Leopold Rudolf, als er zu mir sagte: "Das wird aber was. Glauben Sie mir, es ist besser von oben herunter zu spielen als von unten hinauf". Er hat mich auch gelehrt, in jedem Genre alles zu geben, und zu lernen, so gut zu sein, wie man nur irgendwie kann. Mit den guten Stücken kam dann auch mein Erfolg …

… und plötzlich ergab das eine das andere?
Genau das ist es. Mein ganzes Leben hat sicher immer ergeben. So ergab sich auch vor 30 Jahren das Singen. Ich begann mit Jacques Brel und mir wurde auch in diesem Genre rasch klar: Alles, was nicht unterhält, wird auch nicht verstanden. Und muss auch nicht verstanden werden. Denn Erfolg wird erst komplett durch jene Menschen, die zuschauen oder zuhören. Diese Verbindung muss passen.

Aber gibt es nicht eine Rolle, die du nicht oder noch nicht gespielt hast? Vielleicht möchtest du ja in fünf Jahren doch wieder spielen.
Vollkommen ausgeschlossen. Das ist für mich so, als würdest du mich fragen, ob ich noch einmal Seifenkistenrennen fahren möchte.

Würdest du nicht manchmal gerne - wenn du jemanden auf der Bühne siehst - dessen Rolle übernehmen und diese vielleicht anders spielen?
Nein. Ich habe nie empfunden, den "Stein des Weisen" für eine Rolle gefunden zu haben.

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Du machst ja heute noch deine wunderbaren Soloabende, spürst du da sofort, ob sich der Abend ausgeht oder nicht?
Diesem Gefühl misstraue ich aus Erfahrung und zu Recht. Wichtig ist, nur nicht zu viel über den eigenen Zustand nachzudenken. Versuche, dass dein Instrument - in dem Fall der Hals - gut gestimmt ist. Denn zu singen ist etwas vollkommen anderes als zu sprechen. Singen kann einen wirklich an die Wand hauen.

Aber gerade dann merkt man ja, wie man gerade bei Stimme ist?
Das schon, den Hals merkt man. Aber wie sich der Abend mit dem Publikum ausgeht, das weiß ich vorher nie.

Entsteht nicht an manchen Abenden ein gewisser Zauber und an anderen nicht?
Manche Abende fallen mir besonders leicht, und dann kann so etwas wie ein Zauber entstehen. Er entsteht nicht - und das habe ich nicht am Theater, sondern beim Kochen gelernt; und deswegen bin ich auch Haubenlokalen gegenüber skeptisch -, wenn man etwas besser will, als man es kann. Und das gilt natürlich auch für das Theaterspielen.

Ich strebe inzwischen ja etwas ganz anderes an, nämlich die letzte Einfachheit. Das ist mein Ziel. Das gilt jetzt auch für meine Soloabende. Keine Dekoration, keine Ablenkung mehr. Nichts. Kein Druck mehr. Das ist das Schönste.

Wir sitzen hier bei dem von dir ausgewählten Heurigen Zimmermann sehr gemütlich zusammen. Was magst du an diesem Lokal besonders? Wie lange kommst du bereits hierher?
Ich habe die "Zimmermanns" nach der Premiere von "Liebelei" kennengelernt …

Wann war das?
Achtzehnhundertsoundso. Attila Hörbiger hat damals den Vater Weiring gespielt und wir sind nach der Aufführung zum "Zimmermann" gegangen. Damals war er noch in der Kahlenberger Straße. Trude Zimmermann, die damalige Chefin, schien mir in ihrer Art immer ein wenig die Schwester der Paula Wessely zu sein: wienerisch, direkt, wunderbar. Seit dieser Zeit hat sich zwar einiges geändert, aber ich komme immer noch sehr gerne hierher. Kein Gschisti-Gschasti, es wird exzellent und frisch gekocht, genau so, wie ich es mag - saisonal, wie man so schön sagt -, und der Wein schmeckt sehr gut …

… ja, ja, zu Zeiten meiner Großmutter sagte man noch "Spargelzeit", "Heurigenzeit", "Ananaszeit" …
Genauso war’s. Herrlich. Du redest mich in die Gänsehaut.

Das heißt, du ziehst den Heurigen und das Wirtshaus einem Vier-Sterne-Lokal vor?
Was heißt? Ich bin grundsätzlich Ritualen gegenüber sehr skeptisch. Wenn ich schon für den Auftritt des Kellners wie ein Komparse am Tisch sitzen muss und dann noch irgendetwas "an", wie zum Beispiel "Safransauce an …", serviert bekomme, bin ich schon satt.

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Was kochst du selbst am liebsten?
Saisonales. Und neben österreichischer Küche auch sehr gerne die französische und italienische. Ich habe eineinhalb Jahre in Paris gelebt und sehr viel in Italien gearbeitet. Dadurch habe ich von diesen Küchen sehr viel gelernt und gehe seit dieser Zeit mit Zutaten viel unverfälschter um.

Was kochst du besonders gut?
Wenn ich das über mich als Schauspieler sagen könnte, was ich über mich als Koch sagen kann, wäre ich glücklich: Alles, was ich koche, ist unvergleichlich. Es klingt überheblich und fast schäme ich mich dafür, aber es ist wirklich so, dass Giorgio Strehler meine Küche geliebt hat.

Was, zum Beispiel?
Na alles, was er von "La Mama" gewöhnt war. Spaghetti in jeder Form, von aglio e olio beginnend bis …

Was ist die höchste Kunst in der Spaghetti-Küche?
Auch hier ist das Einfache das Schwierige. Denn das ist immer überprüfbar. Bei Spaghetti carbonara ist der Einzelgeschmack nicht mehr kontrollierbar. Bei aglio e olio schmeckst du hingegen jedes einzelne Gewürz, jede verbrannte Knoblauchzehe …

Was haben sich deine vielen Gäste von dir als Koch gewünscht?
Die Paula Wessely liebte alles Wienerische, sie ist ihrem Qualitätsanspruch stets treu geblieben und hat immer gesagt: "Es gibt keinen guten Schinken mehr. Man sagt so leicht: `Machen`s mir höchstens ein Schinkenbrot.` Das ist doch das Schwierigste überhaupt." Auch "Zwei Eier im Glas" sind wie das hohes C in der Musik. Giorgio Strehler habe ich auch immer gerne österreichische Gerichte wie zum Beispiel gekochtes Rindfleisch mit eingebrannten Erdäpfeln gekocht. Das hat er geliebt …

Deine Ursprünge als Koch gehen ja auf deinen Urgroßvater zurück, oder?
Ja, er war Koch im Militärrang beim Prinzregenten Luitpold und ich verbrachte die ersten fünf Jahre meines Lebens damit, einem Koch in die Töpfe zu schauen. Er hat immer gesagt: "Na, Pieperl, magst mir zuschauen?"

Warum Pieperl?
Das kommt von Küken. So nannte man im Bayerischen kleine Kinder. Ich durfte allerdings nicht nur zuschauen, sondern auch kosten: "Na Pieperl, fehlt was?"

… und so wurdest du zum jüngsten Häferlgucker.
Wunderbar, was für eine schöne "Trouvaille". Ja, diese Küchenerlebnisse haben mich sehr früh geprägt …

… und deine Sinne geschärft.
Natürlich. Dadurch wurde mein Geruchssinn so früh geprägt und ist dadurch ausgezeichnet. Heute weiß ich schon beim Betreten einer Küche, ob die Rindsuppe gut ist oder nicht. Der erste Stempel, der einem aufgedrückt wird - in jedem Metier, im Theater genauso wie in der Liebe -, ist der immer der prägendste. Und wenn es ein falscher war, bleibt immer ein bisserl was zurück. Der Pökel bleibt.

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Aber Koch wolltest du nie werden?
Aber ja, das war eine Alternative. Immerhin hatte ich damals schon die Gabe, aus nichts nicht nur etwas, sondern etwas Gutes zu kochen. Ich habe doch damals kaum etwas verdient.

Wie hoch war dein erstes Gehalt am Theater in der Josefstadt?
3500 Schilling … nicht genug, um in Restaurants essen zu gehen. Daher kochte ich immer zuhause, und das ist eigentlich bis heute so geblieben. Viele meine Kollegen meinten damals, ich könnte jederzeit ein Restaurant aufmachen.

… eine Alternative.
Natürlich, und was für eine. Bis zu meinem 27. Lebensjahr habe ich mir es offengelassen. Sollte ich mit der Schauspielerei nicht Erfolg haben, wollte ich Koch werden.

Welche Art von Restaurant wäre das gewesen?
Ein Wiener Beisl.

Aber du liebst ja auch die französische und die italienische Küche, welche magst zu lieber?
Die italienische. Sie ist simpler, begreifbarer, basiert auf der Küche der "Nonna" und ist für einen Fremden daher leichter zu begreifen als die französische. Die Vielfältigkeit der französischen Küche ist viel größer und deren Geheimnisse sind viel komplizierter zu erforschen. Viele meiner französischen Kollegen, darunter große Schauspieler wie Yves Robert, der engste Freund von Catherine Deneuve, haben sowieso immer behauptet: Die beste französische Küche gibt es in Belgien.

Was hast du für Lieblingsspeisen? In Wien, in Italien und in Frankreich?
In Wien ist es die Art, wie man mit Rindfleisch umgeht. Das ist weltweit einzigartig. Allerdings muss man selbst beim Einkaufen mit dem Wiener Schmäh arbeiten und immer sagen: "Ich hoffe, das ist heute besser als beim letzten Mal." Man muss die Menschen immer ein bisschen aus der Reserve locken. Auch der Fleischhauer braucht seinen Auftritt.

So wie der Schauspieler?
Natürlich.

Was isst du in Italien am liebsten?
Ich mag gerne die Küchen des Piemont und der Toskana.

Und die der Emilia-Romagna?
Na ja. Das ist der Gipfel. Wenn ich nur daran denke. Bollito Misto bei "Fini" in Modena … mehr geht nicht.

Und was hast du gegen Ossobuco?
Nichts Persönliches, aber da bin ich sehr verwöhnt. Im "Torre del Pisa" in Mailand gibt es immer nur drei Speisen: Bollito Misto, ein Costata und … ein Ossobuco. Und diese Cremolata - glaube mir -, da zieht man den Hut. Wobei du vielleicht sagen würdest: "So nackt hab ich den Ossobuco noch nie gesehen."

Herrlich. Das Nackte ist in Küchen ja überhaupt ganz wichtig.
Du sagst es. Saucen sind reine Augenauswischerei. Ich nenne das "Lavendel".

Und welche französische Speise liebst du?
Die habe ich nie in französischen Restaurants kennengelernt, sondern immer nur, wenn ich bei Kolleginnen oder Kollegen eingeladen war. Eines hatten sie alle gemeinsam, sie waren sehr üppig. Aber da man dazu sehr viel trinkt …

… was der Franzose ja bereits mit der Muttermilch einsaugt …
Ja, aber nicht nur Wein. Nein, Brandy. Nach jeder Speise kam der Wagen … der Getränkewagen! Nicht der Speisewagen.

Übrigens, da fällt mir eine schöne Geschichte ein. Am Pariser Théâtre du Châtelet hatte jede Garderobe einen Kühlschrank. Gefüllt mit Gänseleber und Champagner. Das ist weltweit wirklich einzigartig. Bereits in der Pause haben die Kollegen die ersten Flaschen geöffnet. Nur Helena Suková und ich mussten bis zum Ende der Vorstellung warten, um ohne Zungenschlag und mit fehlerfreier Aussprache durch den zweiten Teil der Vorstellung zu kommen. Unser Französisch war nicht gut genug.

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Was magst du grundsätzlich in Restaurants nicht?
Ich hasse es, wenn mir der Ober das Essen erklärt. Wozu? Um mir das letzte Geheimnis der Speisen zu verraten?

Auf deiner Homepage steht ein schöner Spruch, der mit dem Satz endet: "Lieber Gott, wie kann`s da im Leben überhaupt Paradiesvögel geben?" Bist du ein Paradiesvogel?
Ich kann einen Paradiesvogel imaginieren - wenn ich ganz bei mir bin, wenn ich gar nichts machen oder sein will.

Was muss man dazu können?
Das ist es ja, du musst gar nichts können und wollen.

Ist dein Leben ein erfüllter Kindheitstraum, hast du dir deine Sehnsüchte alle erfüllt?
Die Überraschungen in meinem Leben waren viel besser und schöner als alle Träume. In der Nacht bestellt man sich die Träume nicht, da kommen sie, aber im Leben habe ich keine Tagträume. Niemand kann über mein Leben mehr staunen als ich selbst. Und man darf nie aufhören zu staunen. Wenn man das tut, ist es vorbei. Dann haut`s den Deckel zu …

Deine Mentorin Helene Thimig hat dir den Satz: "Sagen Sie nie ein Wort, an das Sie nicht glauben" mit auf deinen Lebensweg gegeben. Hast du dich daran gehalten?
Absolut. Ein Satz, der nicht nur für den Beruf gilt, sondern für das Leben.

Würdest du dich als disziplinierten Menschen bezeichnen oder braucht Talent keine Disziplin?
Doch. Aber nur ein disziplinierter Mensch zu sein, birgt die Gefahr des Krampfhaften in sich. Ich habe Vergnügen an der Disziplin.

Du hast einmal gesagt: "Keine Kunst ist so sehr eine Kunst des Augenblicks wie die des Schauspielers."
Absolut, alles andere ist reine Verschwendung. Das gilt aber nicht nur für den Schauspieler. Wenn jemand den Augenblick nicht begreift, ist er chancenlos.

Das ist aber eine hohe Kunst.
Ja, das stimmt. Und eine ständige Übung.

Giorgio Strehler lehrte dich, "das Wagnis des Untergehens einzugehen". Geht man dieses Wagnis immer ein, wenn man auf der Bühne steht?
Mir ist mit ungefähr 45 Jahren bewusst geworden, dass ich vom Publikum verstanden werden will. Nicht nur, was ich sage, sondern, was ich meine. Es geht mir nur darum, verstanden zu werden.

Ich bin selbst sehr gerne und sehr oft Publikum. Und dabei habe ich viel mehr gelernt, als ich als Schauspieler je hätte lernen können.

Hast du Jacques Brel auf der Bühne gesehen?
Oh ja. In Antwerpen. Dort habe ich ihn brennen gesehen. Er war von einer Selbstlosigkeit und Hingabe. Das Schöne daran war, dass ich selbst in Antwerpen das erste Mal vor Publikum gesungen habe. In einem Café, in welchem auch Jacques Brel gesungen hat …

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Wann war das? Vor 30 Jahren?
30 Jahre? Es ist doch alles schon 50 Jahre her. Es war ungefähr 1956, und das Café war ähnlich dem Wiener Metropol. Dort saß Jacques Brel und fragte mich, warum ich nicht singen würde. Ich antwortete, wenn überhaupt, könnte ich nur ein Wienerlied singen, und stell dir vor: Plötzlich begann ein alter jüdischer Pianist ein Wienerlied zu intonieren, und ich begann vor Jacques Brel zu singen. Von da an gab er mir die Rechte für seine Lieder.

Du hast einmal den schönen Satz gesagt: "Für mich gibt es nur fließende Grenzen zwischen Mozarts Pagapageno und den allerbesten Wienerliedern. `Wenn der Herrgott nicht will` … das ist eine Lebensweisheit." Was bedeutet das Wienerlied für dich?
Das Wienerlied war eine Lebenserfahrung. Anfangs, als ich nach Wien kam, fand ich es etwas "genant". Wenn beim Heurigen angefangen wurde zu singen - oder besser im Suff zu tudeln -, hab ich mich oft ein bisserl geniert. Erst mit der Zeit, auch durch die Tagebücher von Arthur Schnitzler, der so offen für alles war - auch für die Operette und das Wienerlied - und der nicht geurteilt hat, habe ich erkannt, dass ich es mir nicht so einfach machen darf. Wir leben nicht in einem Ghetto, denn du hast ständig die Möglichkeit und die Aufgabe, zu entscheiden zwischen gut und schlecht, echt und verlogen. Das ist auch beim Wienerlied so.

Was echt ist und was verlogen, das muss man täglich von Neuem prüfen. Egal ob du die Zeitung liest oder ein Wienerlied hörst. Und so bin ich auch dem Wienerlied nähergekommen. Bei vielen Liedern sind die erste Strophe und der Refrain gut, ab der zweiten Strophe wird’s fragwürdig - und die dritte Strophe ist oft ungenießbar. Denn spätestens dann verbeugt sich der Stephansdom

… oder der Himmelvater.
Genau. Das geht nicht. Aber die Wienerlieder waren mir trotzdem Lebenserfahrung. "Wenn der Herrgott nicht will …" oder "Erst wenn`s aus wird sein …" Für jede Lebenssequenz kann das Wienerlied den Menschen etwas geben.

Aber das ist nicht Wien-spezifizisch, hat nicht jede Metropole seine Lieder?
Doch natürlich. Weil sie aus einer Völkermischung entstanden sind. Die reine Rasse brächte so etwas nicht hervor. Die Mischung macht`s …

Geht dir heute das Herz auf, wenn du Wienerlieder hörst?
Zuerst geht mir das Hirn auf. Zuerst ist bei mir immer der Gedanke. Einem Gefühl, das nur so verblasen daherkommt, dem trau ich nicht. Wenn das Gefühl nur ein Rülpser ist, dann ist es mir zu wenig. Es muss immer eine kleine Wahrheit drinnen stecken …

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Tischgespräche: Dieses Mal mit Michael Heltau

Angelika & Michael Horowitz
TISCHGESPRÄCHE
Über Essen, Trinken und die anderen schönen Dinge des Lebens
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