Frühstück mit José Feliciano
Der sehende Blinde
Seit den 70er-Jahren ist der in Puerto Rico geborene Sänger Stammgast in Wien. Dieses Mal brachte er seine ganze Familie mit. Weil er nicht nur für einen wohltätigen Zweck hier ist, sondern mit seinem Wiener Freund und Musikproduzenten Helmuth Schäfer sein Lokal am Opernring "Café Don Feliciano" eröffnet hat. Gefrühstückt wird im Wiener Ronald-McDonald-Haus. Rund um den opulent gedeckten Tisch quietschen ausgelassen kleine Kinder, die hier wohnen. Einer der Buben überreicht dem Ehrengast stolz seine Zeichnung. Gegenüber, im St. Anna Kinderspital, werden die kranken Geschwister der Kinder behandelt.
Felicianos Frau Susan belegt eine Semmel mit Schinken und Käse. Zielsicher greift der 66-jährige Blinde zur Kaffeetasse, während er stolz seine drei Kinder vorstellt. Melissa, 23, arbeitet in einem Museum in Connecticut. Sie ist die einzige der Familie, die sich mehr für Ballett als für Musik interessiert. "Ich möchte gerne Kunst studieren", sagt das hübsche Mädchen. Jonathan, 20, ist bei Apple beschäftigt und spielt Schlagzeug. "Und Michael, der Bassist, ist unser kleiner Playboy", scherzt Daddy. Der 16-Jährige war noch nie in einer Schule. "Ich mache alles am Computer, Aufgaben und Prüfungen. Sonst könnte ich jetzt mit meiner Familie nicht in Wien sein", sagt der jüngste Feliciano sehr selbstbewusst.
Seit über 40 Jahren sind Susan und er ein Paar. "Das erste Mal sah ich sie nach einem meiner Konzerte, da war ich 24. Ich hab sie nicht sehr beachtet, weil sie erst 16 war und ich nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten wollte." Susan küsst ihren Mann zärtlich auf die Wange. "Ein Jahr später trafen wir einander wieder in Detroit, ich war sein größter Fan. Wir wurden Freunde und verliebten uns." Feliciano war damals schon längst ein Superstar. 1968 hatte er den internationalen Durchbruch mit seiner Version des Doors-Hits "Light my Fire" geschafft.
Geheiratet wurde allerdings erst 1982. Warum ließ sich das unzertrennliche Paar so lange Zeit mit Nachwuchs? "Gott hat es so geplant. Plötzlich klappte es", meint Susan. "Wir haben vorher einfach nur viel geübt", scherzt José. Er liebt Kinder. Deshalb setzt sich der Latino-Rocker auch gerne für sie ein. "In Memphis unterstütze ich das St. Jude Children`s Hospital. Dort werden Kinder, deren Eltern die Kosten der sehr teuren Behandlung nicht aufbringen können, umsonst behandelt." In Österreich trat er am Donnerstag unentgeltlich bei der Ronald-McDonald-Kinderhilfe-Gala auf. "Es ist ein wundervolles Projekt, das zur Heilung der Kinder beiträgt. Mir wurde so viel in meinem Leben gegeben, deshalb möchte ich auch etwas zurückgeben∙"
Der zweitälteste von elf Söhnen eines armen puertoricanischen Ehepaars ist seit seiner Geburt blind. "Mein Vater hatte keine Ausbildung und lebte immer nur von Aushilfsjobs." Als José fünf Jahre alt war, wanderte die Familie nach New York, Spanish Harlem, aus. Manchmal verbrachte er 14 Stunden im Zimmer, hörte sich Schallplatten an - "die waren meine einzigen Lehrer" - und spielte auf seiner Konzertina oder Gitarre. Mit neun trat er das erste Mal im "Puerto Rican Theater" in der Bronx auf, mit 17 hängte er die Schule an den Nagel. "Mein Vater war arbeitslos. Ich spielte in Kaffeehäusern und Clubs in Greenwich Village. Damit konnte ich unsere Familie unterstützen."
Luxus sei für den Ausnahme-Gitarristen nicht wichtig, "weil ich ohne Luxus aufgewachsen bin". Bescheiden ist er geblieben, obwohl seine Karriere schon mit 21 Jahren als gefeierter Star in den lateinamerikanischen Ländern startete. Selbst nach 39 Goldenen Schallplatten, acht Grammys, mehr als 85 Millionen verkauften Tonträgern und einem Stern auf Hollywoods "Walk of Fame" denkt er nicht ans Aufhören. "Musik ist mein Leben." Hits, wie "Rain", "Ché Sera" bis "California Dreaming" sind zwar Ohrwürmer. Doch das Weihnachtslied "Feliz Navidad" ist unschlagbar. Vor allem, wenn es in der Adventzeit unüberhörbar in jedem Kaufhaus bis an die Schmerzgrenze zerspielt wird. Feliciano schrieb es vor vierzig Jahren "in fünf Minuten". Und hätte sich nie träumen lassen, dass es einmal das zweitpopulärste Weihnachtslied nach "White Christmas" sein würde.
Wird es bei den Felicianos, die in einer 275 Jahre alten und umgebauten Taverne an einem Fluss in Fairfield County wie eine Musterfamilie leben, auch gespielt und gesungen? "Na sicher! Dad lauft den ganzen Tag durchs Haus und singt", sagt Michael. Hilfe braucht er trotz Blindheit nicht. "Wenn der Strom ausfällt, ist er der Erste, der im Finstern die Sicherungen findet und sie repariert", sagt der Jüngste lachend und klopft seinem Vater auf die Schultern.
"Ich habe begriffen, dass ich in einer sehenden Gesellschaft lebe. Deshalb muss ich ein Teil dieser Gesellschaft sein, anstatt wie ein Blinder zu leben." Auf seinem Computer liest er in Braille-Schrift Bücher, verschickt eMails und textet Lieder. Nur Noten lesen kann er immer noch nicht. "Das brauche ich auch nicht. Ich habe mein Gehör." Ob jemand sympathisch ist oder nicht, spüre er, "wie jeder Mensch auch, mit meinen anderen Sinnen."
"Schauen" und "sehen" sind oft gebrauchte Verben in Felicianos Wortschatz. "Im Fernsehen schaue ich mir am liebsten Filme und Baseball-Spiele an. Wenn ich zu einem Match gehe, nehme ich mir ein Radio mit, damit ich die Kommentare hören kann." Am liebsten versammelt er seine Familie um sich. Deshalb genießt er auch die Sonntage. "Wir gehen alle in die Kirche. Ich lese aus dem Alten Testament in Braille-Schrift. Melissa und Susan helfen beim Blumenschmuck. Michael ministriert, Jonathan nicht mehr, er ist ja schon größer als der Priester." Nach der Messe wird beim Griechen oder Italiener gebruncht.
Leider nicht so oft wie er möchte, sieht er die in ganz Amerika und Puerto Rico verstreuten Familien seiner zehn Brüder. Schon 1970 kaufte er seinen Eltern, die in die Heimat zurückkehren wollten, eine Farm in Puerto Rico. "Kaum waren sie eingezogen, starb mein Vater", erzählt José.
Geschichte interessiert ihn. "Ich lese alles. Von den Griechen und Römern bis zum Holocaust. Jeder junge Mensch sollte alles darüber wissen, damit so etwas nie wieder passieren kann." Mit seinen Kindern habe er deshalb auch die Konzentrationslager in Dachau und Auschwitz besucht.
Das Leben inspiriert den Sänger. Er liebt Blumen, Gärten und die Natur, klassische Musik - von Mozart bis Chopin -, Jazz, R&B oder Rockiges von Van Halen. "Und ich meditiere gerne. Ich mag den Hinduismus."
Doch Weihnachten wird ganz traditionell katholisch zelebriert. "Vorher laden wir viele Freunde ein. José liebt Partys", erzählt Susan. "Und Susan liebt es, das ganze Haus mit Lampen und Lichterketten zu dekorieren. Wir haben mindestens zwei Christbäume." Am Heiligen Abend werden die Felicianos in die Messe gehen. José wird im Chor singen. Daheim wird der besinnliche Abend bei Schweinebraten mit puertoricanischen Beilagen und natürlich einem live gesungenen "Feliz Navidad" ausklingen.
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