Frühstück mit Ingo Pertramer

Frühstück mit Ingo Pertramer
Porträtfotograf. Der gebürtige Salzburger braucht kein künstliches Licht, um Künstler abzulichten dafür Kaffee und Sympathie. Warum der 35-Jährige seine Geburtsstadt hasste, er Prince ungeschminkt zeigen will und Hirn mit Ei niemals bestellen würde.

"Das ist a blöde G'schicht", sagt er sofort - allem Anschein ob verwunderter Besucherblicke und seines rechten bandagierten Unterarms, reicht die linke Hand zur Begrüßung und bittet in die Maisonette.

"Vorsicht, Stufen", sagt er, den Weg nach unten vorausgehend. Zu ebener Erde, in der lichtdurchfluteten Wohn-Essküche: seine Familie. Frau Tanja (36) mit der einjährigen Lotta im Arm, Fabian (13) und Jana (9) auf der Couch und Vater Ingo mittendrin und unentschieden, ob in den Garten oder erst Kaffee kochen. Erst die Frage nach dem Arm beantworten, bitte.

Frühstück mit Ingo Pertramer

"Ich fahre gerne Rennrad, schau' dabei aus wie ein Tour-de-France-Fahrer nur ohne das lächerliche Trikot. Ich bin vom Schalko mit dem Rad nach Hause, mit einem 37er, 37 Stundenkilometer. Da kommt von rechts ein ausgewachsener Schäferhund - da hast du keine Chance. Eineinhalbfach überschlagen, den rechten Speichenkopf gebrochen und ein Monat arbeitsunfähig." Und das ihm, der "als Selbstständiger immer wieder eine Form von Existenzangst hat."

Frühstück mit Ingo Pertramer

Dass der Rechtshänder, der bei David Schalkos Filmen am Set fotografiert, dennoch im doppelten Sinne mit links fähig ist, Kaffee zu kochen, lässt KURIER-Fotograf Kristian Bissuti nicht unkommentiert. "Einen Fotografen beim Kochen fotografieren - Herrlich! Der weiß genau, wie man es macht." Pertramer weiß, wovon die Rede ist.

Er fotografierte für Sepp Schellhorns "Kochbuch!" und jüngst, wie er verrät, ehe es mit Espressi in den Garten geht, mit Kabarettisten Thomas Maurer für eine kulinarische TV-Sendung die Schlachtung eines Mangalitza-Schweins. "Anschließend haben wir Hirn mit Ei gegessen. Würde ich mir nie im Leben bestellen, weil: Eine schlatzige Eierspeise kann ich mir selbst machen. Ich probiere alles aus, weil ausspucken kann man es immer noch", serviert er einen Vorgeschmack seines Humors.

Lebenswandel

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Gerne gegessen habe der 35-Jährige immer, aber "positiv erst seit fünf Jahren." Damals sei er seinen Kindern beim Fangenspielen über die Stiegen nicht mehr nachgekommen, so der schlanke wie sportlich Wirkende. "Hundert Kilo dank eines katastrophalen Lebenswandels! Premierenfeiern. Überall Büfett, der Gin Tonic ist gratis und um vier in der Früh gibt es Käsekrainer. Zuerst habe ich dem Wäschetrockner die Schuld gegeben, dass alles zu klein war, und dann hat es Klick gemacht, und ich wusste: Ich muss etwas ändern."

Jetzt gibt es Gebäck, Wurst. Doch der Positiv-Esser, der dank "des Jobs Bauern kennt, die kein Biozertifikat haben, weil mehr bio geht nicht", rührt nichts an. "Soll ich ehrlich sein?" Bitte! "Ich esse sehr gerne sehr gut - aber frühstücken? Eher nicht." Lieber die Hasselblad-Kamera (Anm. schwedische Mittelformat-Kamera) nehmen, nicht mehr über Essen, sondern viel mehr über seine Arbeit sprechen, den 240 Seiten Band "Arbeit" durchblättern und als Betrachter stumm sein. Staunen. "80 Prozent Auftragsarbeiten von Künstlern. 20 Prozent für Magazine."

Frühstück mit Ingo Pertramer

Von Alfred Hrdlicka über David Lynch, Josef Hader bis Ursula Strauss. Pertramer hat sie alle porträtiert. Unverwechselbar. Unbeschreibbar. Nicht nur für den Besuch, sondern auch für ihn, der zudem nichts mehr hasst, "als Menschen, die Fotos interpretieren. Ich mache mir keine Gedanken über ein Bild. In dem Buch sind keine Texte, weil ein Bild für sich sprechen muss. Das ist ein Bildband und kein Gedichtband."

Sätze wie diese sind nicht überheblich, abgebrüht oder effekthaschend. Sie sind unverblümt, authentisch, ehrlich. Wie lange er für ein Porträt braucht? "Kurz. Ich treffe mich mit den Leuten auf einen Kaffee, dann gehe wir spazieren, dann stelle ich sie irgendwo hin, sehe, wo das Licht gut ist, drücke vier, fünf Mal ab und dann gehen wir wieder Kaffee trinken." Das ist alles? "Ja. Ich arbeite ohne künstliches Licht, ohne Assistenten. Ich habe nur die Kamera und das Gegenüber." Gesagt. Getan.

Frühstück mit Ingo Pertramer

Pertramer bittet, neben ihm Platz zu nehmen, hält die rechts bestückte Kamera mit der linken Hand vor die Gesichter, wartet ein paar Augenblicke, drückt ab. "Fotografie hat viel mit Sympathie zu tun. Die Menschen müssen sich ja vor mir aufmachen." Woher dieses so selbstverständlich wirkende Selbstverständnis rührt, erklärt er, nachdem die zweite Zigarette brennt. "Ich habe den klassischen Werdegang hinter mir: Lehre, Geselle, Meister."

Strumpfband

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Das dritte Kind einer Hausfrau und eines gelernten Konditors wollte, seit er mit der Pocketkamera seiner Mutter experimentierte, Fotograf werden. Und das in seiner Geburtsstadt. "Ich habe Salzburg als Jugendlicher gehasst. Ich war alternativmäßig angehaucht, hatte Trainingsjacken an wie die Mitglieder von Tocotronic. Die Band war für mich wichtig, und dafür wurde man dort ausgelacht." Darüber kann er hier, heute, lachen. Auch über die Lehrzeit, in der er "Hochzeitsaufnahmen mit Strumpfband, Kommunionsfotos mit Rosentapete im Hintergrund zu fotografieren hatte" und rund 10.000 Passbilder. "Da habe ich Menschenkenntnis erlangt. Wenn sich ein Kunde auf dem analogen Passbild nicht gefallen hat, hat er es nicht genommen."

Buchtipp

Frühstück mit Ingo Pertramer

Arbeit, 2000-2010
der schlichte Titel von Ingo Pertramers Bildband,
erschienen im Metro Verlag

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