Berühmte Oberösterreicher im Gespräch

Michael Horowitz  (li.) im Gespräch mit dem Maler Christian Ludwig Attersee
Der Künstler Christian Ludwig Attersee im Gespräch über Segeln, Musik, Malerei - und singende Hunde.

Als begeisterter Segler wählte er Attersee als Künstlernamen und wurde mit sieben Jahren von seinem Vater in ein Segelboot gesetzt – ohne schwimmen zu können. Aber vor dem Wasser hatte Christian Ludwig Attersee nie Angst, im Gegenteil – „auf Wasser kann ich praktisch gehen“ … und am liebsten schauen, wenn er malt. Der Maler der Erotik und der Poesie, der Opernsänger werden wollte, ist heute einer der erfolgreichsten Künstler Österreichs. Doch das war nicht immer so.

Das Nachkriegskind, das nie etwas zu essen hatte, hat er als junger Künstler zehn Jahre lang kein Bild verkauft, und sich lange Zeit die Essenswelt ermalt. „Ich habe ein Stück Fleisch gemalt – es ‚gegessen‘ – und wieder übermalt.“ Heute ist Attersee als Künstler auf einer ganz anderen Suche: auf jener nach dem Gesamtkörperglücksgefühl: „Wenn ich das spüre, höre ich zu malen auf“ … bis zu seinem nächsten Bild, dann malt er wieder, bis es passiert: das Ersterlebnis.

Auszüge aus einem Gespräch aus dem Buch "Einkehr & Auszeit - Kultur und Genuss in Oberösterreich" von Michael Horowitz.

Michael Horowitz: Wir sitzen auf der Terrasse des Hotels "Das Traunsee", wo du bereits zum dritten Mal die Sommerakademie leitest. Warum hast du diesen Platz gewählt?

Christian Ludwig Attersee: Weil er direkt am See liegt und ich am liebsten mit Blick auf das Wasser male. Die Sommerakademie am Traunsee entwickelt sich sehr gut. Auch das Wetter war dieses Mal sehr schön, aber wenn hier einmal die Wolken hängen, dann ist es immer einen Tag länger hässlich als anderswo.

Warum? Am Attersee oder am Mondsee geht der Wind, der das schlechte Wetter vertreibt, hier nicht.

Also kein Segelrevier für den „Meister der Bootgefühle“? Nein, der Attersee ist für Segler einfach der beste aller österreichischen Seen.

Hat er dich deshalb immer so besonders angezogen? Ich bin dort bereits 1947 als Kind – ohne schwimmen zu können – von meinem Vater in ein Segelboot gesetzt worden.

Hattest du keine Angst? Nein, ich bin im Wasser aufgewachsen und kann praktisch am Wasser gehen. Ich war ein hochtalentierter Segler und mit zwölf Jahren bereits in der Piratenklasse österreichischer Meister.

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Wolltest du zu dieser Zeit nicht auch Opernsänger werden?Ja, das auch …

… und Segler und Opernsänger werden zu wollen, das widerspricht sich nicht? In keinster Weise. Mir hat aber leider das Gehör gefehlt, weil ich auf einem Ohr taub bin und am anderen nur sehr wenig höre. In meinem neunten Lebensmonat habe ich durch eine Krankheit – es war eine eitrige Mittelohrentzündung, an der damals zehntausende Kinder gestorben sind und die nur mit Penizillin heilbar gewesen wäre – mein Gehör verloren. Ich lag damals drei Jahre lang im Krankenhaus und war einer der Wenigen, die überlebt haben.

Hast du eine Erinnerung an diese Zeit? Viele, und ich kann alle Erinnerungen deuten, nur eine nicht: Vor mir stehen vier, fünf dunkelhäutige Krankenschwestern. Alle nackt mit einem riesigen Arsch. Das ist meine älteste Jugenderinnerung.

Und aufgrund des Gehörverlustes konntest du nicht Opernsänger werden? Jedenfalls wurde mir aus diesem Grund die Ausbildung zum Opernsänger – wahrscheinlich zu Recht – verweigert. Aber mit Musik schlage ich mich ja nach wie vor herum.

Wie nimmst du bei deinem schlechten Gehör Musik eigentlich wahr? Auf meine Art und Weise. Ich habe ja immer schon sehr viel und intensiv Musik gehört.

Und auch gespielt. Ja, aber immer nur auf einem mechanischen Klavier, weil ich die unteren zwei Oktaven nicht höre, die spüre ich mit der Haut. Die Haut ist ja auch ein Gehörorgan. Außerdem bin ich kein normaler Musiker. Ich habe eine andere Sicht der Musik. Da ich nicht Opernsänger werden konnte, wollte ich Schlagersänger werden. Das tue ich auch heute noch mit Begeisterung, wie meine letzte CD „Äpfel der Liebe“ zeigt. Das ist eine Art Scherz, den ich mir geleistet habe.

Irgendwer hat einmal gesagt, du hättest eine ebenso erotische Stimme wie Leonard Cohen. Ja, das war die ehemalige Unterrichtsministerin Hilde Hawlicek. Das hat mich sehr gefreut, und wenn ich „Love Me Tender“ singe, kann ich nicht einmal urheberrechtlich belangt werden. Da stimmt weder der Text noch die Melodie, nur die Erotik überlebt offenbar meine Interpretationen.

Wurde dein Zeichentalent früh entdeckt? Das war in der Volksschule in Aschach bei Linz. Ich war eine Art Wunderkind und habe 1946 einen Zeichenwettbewerb zum Thema „Schlitten“ gewonnen, den die amerikanische Besatzungsmacht ausgeschrieben hatte. Ab der dritten Volksschulklasse – mit acht Jahren – habe ich nur mehr den Kunstunterricht mitgemacht.

Wann hast du dich entschieden, Maler zu werden? Nachdem es mir einfach zu blöd war, meine Zeit nur mit Seglern zu verbringen. Segler denken an nichts anderes als an ihr Boot und stecken alle zwei Jahre ein Vermögen in das nächste, neuere. Deshalb habe ich mir eines vorgenommen: „Ich werde dreimal Staatsmeister, danach gehe ich nach Wien und werde ein berühmter Künstler.“

Und so kam es auch. Welches Boot war denn das aufregendste, auf dem du je gesegelt bist? Das war die „Puritan“, einer der schönsten Schoner der Welt, ein klassischer Zweimaster aus dem Jahr 1931, der früher Errol Flynn gehört hat. Mit diesem Schiff habe ich gemeinsam mit Freunden – darunter auch Gerhard Rühm – zum Jahreswechsel 1979/1980 von Gran Canaria aus den Atlantik überquert.

Wie lange hat eure Überquerung gedauert? Sechzehneinhalb Tage. Auf dem Schiff war ein Klavier, das ich heute noch besitze.

Hast du an Bord Klavier gespielt? Selbstverständlich. Und Gerhard Rühm natürlich, der spielt ja großartig. Wir nutzten die Reise aber auch für unsere Arbeiten. Er würfelte unter Einfluss der schaukelnden Bewegungen des Bootes Klaviernoten und ich malte jeden Tag. Die „Atlantik-Tage“ heißt dieser 17-teilige Zyklus.

Hast du auch einmal einen sehr stürmischen Segeltörn erlebt? In Kuba. Dort ist es am schwierigsten zu segeln, es gibt rund 2500 Untiefen. Genau dort kamen wir in einen Sturm – die Elektronik ist ausgefallen, das Schiff hatte unzählige Haarrisse. Es war ein stundenlanger Kampf mit den Wellen.

Hattest du Todesangst? Nein, es hätte mir nichts ausgemacht, im Wasser zu sterben. In meiner Jugend wollte ich immer mit meinem Boot hinaussegeln und einfach verschwinden. Eine gewisse Todessehnsucht hat ja jeder in sich … und meine war immer: ins Licht und ins Wasser hinaus. Ich bin kein Bergsteiger.

Das Wasser ist also dein Urelement. Absolut.

Die einzigen Dinge, die ich nicht kann, sind Kochen, Autofahren und Balletttanz

Unlängst hast du anlässlich deiner CD-Präsentation wieder alte Freunde wie Hermann Nitsch, Gerhard Rühm und Günter Brus getroffen und mit ihnen Dichtermusik gemacht. Wirst du nicht ein wenig wehmütig, wenn du an früher denkst, oder akzeptierst du die Vergänglichkeit? Die muss man akzeptieren. Viele Freunde sind ja inzwischen tot. Wie zum Beispiel mein Freund Walter Pichler, mit dem ich seit den 1960er Jahren zusammengearbeitet habe, zum Beispiel auch für die berühmte Ausstellung „Österreich stolz“. Es stirbt ja ständig einer.

Wie gehst du mit dem Tod so naher Freunde um? Künstler sterben entweder früh oder werden alt. Das ist wohl unsere Art zu leben.

Hast du Angst vor dem Tod? Nein, ich will nur nicht als Trottel im Rollstuhl sterben.

Hast du dir als junger Maler vorstellen können, je 70 Jahre alt zu werden? Nein, ich wollte immer schon mit 30 sterben. Aber ich lebe im Jetzt und bin einer der wenigen Künstler, der aus der Malerei heraus alles macht. Es gibt nur drei Dinge, die ich nicht kann: Kochen, Autofahren und Balletttanz.

Kochen interessiert dich auch nicht? Schon, aber ich bin in so vielen Dingen ein Meister, daher ist mein Anspruch einfach zu hoch. Meister des Kochens bin ich jedenfalls keiner.

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Bei euch zuhause kocht deine Frau?Ja, Ingried kocht gut. Wir leben ja meistens in Wien und am Semmering, und da wir beide bis spät am Abend schöpferisch tätig sind, treffen wir uns meist erst in der Nacht wieder. Dann setzen wir uns zusammen – sie als Ausstellungsgestalterin und ich als Kunsterfinder – und diskutieren. Diese Gespräche sind immer sehr spannend.

Streitet ihr nie? Nein, ich streite nicht, ich gehe. Ich habe zu viele Freunde sterben gesehen. Aber wir diskutieren und trinken dabei zwei, drei Flaschen Wein miteinander.

Und Autofahren? Hasse ich. Ein Boot ist für mich hingegen wie eine Frau oder auch ein Mann, mit dem ich segle. Gegenstände haben für mich einen erotischen Charakter. Genauso wie ein Tisch und eine Tischin. Ich habe ja mein großes Attersee-Alphabet.

Deine Atterseesprache? Ja, das ist eine Sprache, die aus der Bildtitelsuche entstanden ist. Wortschöpfungen für etwas, was ich in meinem Bild erklären will, um die Menschen mit frischer Wortware zu locken. Ich mache eine Bild-werfende Malerei, das ist eine erzählende Malerei, die immer gesellschaftskritisch ist oder eine Poesie in sich trägt. Vor allem aber bin ich ein Maler der Erotik, die mich ein Leben lang interessiert hat. Es macht mir auch unglaublich viel Spaß, Produkte zu erfinden, weil ich selbst gerne und leidenschaftlich esse und trinke. Als Nachkriegskind, das nie etwas zu essen hatte, und auch als Künstler, der zehn Jahre lang kein Bild verkauft hat, habe ich mir lange Zeit die Essenswelt ermalt. So habe ich zum Beispiel ein Stück Fleisch gemalt – es „gegessen“ – und wieder übermalt. Oder ich habe Gegenstände wie die „Speisekugel“, das „Attersteck“ erfunden. Es waren aber immer nur Objekte, die man benützen kann – das ist der Unterschied zum Dadaismus.

Das heißt, du denkst dir Gegenstände aus? Ja, das war vor allem in den 1960er Jahren, da wollte ich nur Erfindungen machen und habe mich mit dem Begriff der Schönheit auseinandergesetzt. An sich ist ja jeder Mensch gleich schön, trotzdem werden wir von gewissen Schönheitsidealen geprägt. Ich bin zum Beispiel mit dem Unsinn aufgewachsen, dass Frauen mit kürzeren Beinen hässlicher sind als Frauen mit längeren Beinen. Daraufhin habe ich einbeinige Mannequins erfunden, denn demnach müssten Frauen mit einem Bein ja noch schöner sein. Ich habe immer versucht, mit meiner Kunst Menschen aus ihren Klischees herauszureißen.

Gibt es für dich in der Kunst Tabus? Nein, ich glaube, es gibt keine Tabus mehr. Als Themenfindung gibt es keine Tabus – auch nicht die Religion, natürlich ist das bei mir vor allem die christliche Religion, denn in diese bin ich hineingeboren, und ich bin gezwungen, in ihr zu leben. Die Frage ist, ob man sich wirklich jedes Themas annehmen muss. Unser aller Problem ist ja, dass wir in einem Leben leben, das wir uns nicht ausgesucht haben.

Wie wichtig ist dir die materielle Seite deiner Kunst? Es hat lange gedauert, bis ich von meiner Kunst leben konnte. Mich interessiert Geld nicht, es reicht mir, wenn ich meine Mieten zahlen kann. Und da sich meine Frau selbst erhalten kann, ist das Thema „Geld“ damit auch schon erledigt.

Es gibt Kritiker, die behaupten, der Attersee gibt sich ja sogar für eine Putenwurst her. Was antwortest du ihnen? Ich habe die PutenwurstAttersee Gold“ nur deshalb gemacht, weil das die erste Putenwurst ist, die aus allen sieben Muskeln der Pute hergestellt wird. Heute ist es die meistverkaufte Wurst Österreichs in den arabischen Ländern. Und der meistverkaufte Wein Österreichs in Amerika ist der „GrüVe“ vom Bründlmayer, dessen Etikett ich jedes Jahr neu gestalte – dafür geniere ich mich nicht, denn das ist angewandte Kunst …

… im wahrsten Sinn des Wortes. Du hast ja auch die wunderschöne Flasche des „Atterbitter“ gestaltet … … und die Rezeptur dafür gemacht. Das ist das beste Getränk überhaupt. 20 verschiedene Kräuter aus den Karpaten mit Welschriesling aus der Gegend zwischen Pressburg und Budapest, von der anderen Donauseite. Das Geheimnis dabei: 50 Prozent weniger Zucker als in anderen Getränken wie beim Wermut zum Beispiel. Aber wenn man als Künstler wirklich Geld verdienen will, darf man nicht in Österreich bleiben, dann muss man als Kasperl nach Paris oder New York gehen. Ich wurde oft dazu eingeladen, wollte aber immer in Österreich bleiben. Hier haben während der 1960er Jahre die besten Künstler gelebt. Ich war der Jüngste in der Gruppe rund um die Wiener Aktionisten. Sie haben mich alle geliebt. Da war der Ossi Wiener und der Arnulf Rainer – einer meiner größten Feinde „künstlerischen Inhaltes“. Hier war ich immer frei. Wenn mir der Sinn danach stand ein schönes Glied zu malen – ich habe ja den Glied-Schmuck erfunden –, konnte ich das in Österreich auch ausstellen. Das wäre in Amerika damals nicht möglich gewesen. Aber im Gegensatz zu den Wiener Aktionisten habe ich nie zerstörerisch gemalt. Zwar auch mit Aggression, aber immer lebensbejahend, das ist der große Unterschied. Ich war daher als Einzelperson in der Szene immer wichtig. Man darf die Bedeutung der Kunst in diesem Land nicht vergessen, hier waren es die bildenden Künstler, die Österreich frei gemacht haben und den meisten Mut gezeigt haben.

Wolltest du nie in eine Gruppe eingebunden sein? Nein, ich war immer Einzelkämpfer. Ich habe meine Inhalte gefunden, und Zerstörung war für mich nie ein Mittel. Die Wiener Aktionisten wollten die Kunst auflösen. Aber die Kunst kann man nicht auflösen. Alle zehn Jahre einmal tauchen Leute auf, die die Kunst auflösen möchten oder die Malerei abschaffen wollen. Das war für mich immer Unsinn. Dazu bin ich zu gebildet. Ich komme aus einer bürgerlichen Familie, war als Segler erfolgreich, bin so viel herumgekommen und habe mit 18 Jahren bereits fast jedes Museum in Europa gekannt. Das hat mich natürlich auch geprägt.

Gibt es für dich ein Lieblingsmuseum in Europa? Museum nicht, Ausstellung ja. Eine meiner Lieblingsausstellungen der letzten Jahre war im Van-Gogh-Museum in Amsterdam „Die Spätwerke der letzten Jahre von Gauguin und Van Gogh“. Das war eine unglaubliche Ausstellung.

Gibt es einen Maler, der dir Vorbild war? Der Lieblingsmaler meiner Jugend war Kandinsky. Bei ihm hatte ich immer das Gefühl einer ähnlichen Entwicklungsgeschichte und einer charakternahen Verbindung. Bei ihm kann man – so wie auch bei mir – ein Bild neben das andere stellen und man sieht die Entwicklung als Maler. Das gibt es bei anderen Künstlern kaum. Die hatten immer große, merkbare Veränderungen. Die gab es bei mir zwar auch, aber langsamer. Ich war meiner Zeit immer voraus und gehöre auch heute noch zu den wenigen Avantgardisten.

Wird es nicht immer schwieriger, Neues zu erfinden? Ja, natürlich. Trotzdem ist es immer möglich.

„Wenn mir beim Malen das Ersterlebnis passiert, ist das ein Gesamtkörperglücksgefühl

Wie funktioniert der künstlerische Prozess in dir? Ich habe ein Grundprinzip: Für mich ist das schönste Erlebnis das Ersterlebnis, und bei meinen 8500 Bildern habe ich immer nur so lange an einem Bild gemalt, bis etwas geschehen ist, das mir vorher noch nie passiert ist.

Kann man darauf hinarbeiten? Nein, das passiert einfach irgendwann, deshalb sind manchmal drei bis vier andere Bilder unter einem Bild. Nur wenn mir dieses Ersterlebnis passiert, ist das ein Gesamtkörperglücksgefühl.

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Wie oft erreichst du dieses Gefühl?Manchmal öfter, manchmal länger nicht. Aber letzten Endes habe ich es bei jedem Bild, denn ich höre so lange nicht auf zu malen, bis mich dieses Gefühl überkommt. Und nur das suche ich. Ich bin eine Kunstmaschine, die davon lebt, solche Erlebnisse zu haben. Das ist mein Grundprinzip. Wenn ich das Gesamtkörperglücksgefühl spüre, höre ich zu malen auf. Zwei Wochen später schaue ich mir das Bild noch einmal an, spätestens dann nehme ich dem Bild noch das eine oder andere weg. Später nicht mehr, dann habe ich mit dem Bild nichts mehr zu tun. Daher arbeite ich auch nie in Serien, sondern immer nur an einem einzigen Bild.

Dauert es nicht oft lange, bis sich dieses Gefühl einstellt? Natürlich. Manche Bilder sind Geniestreiche, manche sind gelungene Bilder. Das ist der Unterschied.

Wird die Suche nach diesem Glücksgefühl zur Sucht? Ja, man wird süchtig, und diese Sucht zwingt mich immer wieder zum Malen. Nur in der Malerei komme ich dem Jetzt ganz nahe. Je näher ich dem Jetzt komme, desto mehr bin ich ein Teil der Schöpfung. Und das ist meine Aufgabe. Teil der Schöpfung zu sein, halte ich überhaupt für den einzigen Sinn des Lebens.

Du bist als Künstler Einzelgänger, bist du das auch als Privatperson? Ich lebe gerne mit wenig Menschen, das erscheint mir sinnvoller. Freunde sind jene Menschen, die, wenn sie Hilfe brauchen, auch welche bekommen.

Bist du gerne mit Künstlerfreunden zusammen? Ich halte sie nicht lange aus, weil sie mir jeden Abend erzählen, was ihnen heute nicht wieder für ein gutes Bild gelungen ist. Diesen Satz kann ich nicht mehr hören. Ich wechsle gerne die Gesellschaft, daher wechsle ich auch immer wieder die Kunstrichtung und mache – wie zuletzt – Musik.

Was ist dir die Musik im Vergleich zur Malerei? Wenn ich male, bin ich allein. Wenn ich Musik mache, bin ich mit Menschen zusammen. Ich übe nie. Bei der Musik reizt es mich aufzutreten und nicht zu wissen, was ich mache. Es muss einfach passieren. Trotzdem gehen nur wenige Abende schief. Aber auch das habe ich erlebt. Früher habe ich ja viel getrunken, weil das Gehör bei einem Alkoholschock besser wird. Das muss man allerdings so dosieren können, dass man noch auftrittsfähig ist.

Kann man das denn dosieren? Ja. Allerdings hatte ich einmal das Pech, dass diejenige, die vor mir gesungen hat – das war Christine Jones – nicht von der Bühne gegangen ist.

Und du hast auf einen bestimmten Zeitpunkt deines Auftrittes hingetrunken? Genau. Sie hat 20 Minuten zu lange gesungen und ich habe in der Zwischenzeit eine dreiviertel Flasche Whiskey ausgetrunken.

Und? Ich habe es musikalisch nicht mehr geschafft, es war sehr peinlich und ich bin daraufhin die ganze Nacht lang durch Wien spaziert und habe mich immer wieder gefragt, wie mir das nur passieren konnte.

„Die meisten Menschen haben anfangs ihren Schwanz in der Hand und ab einem gewissen Alter nur noch ihr Handy“

Zweifelst du je an dir? Das brauche ich nicht. Ich kann ja machen, was ich will. Ich bin der freieste Künstler, den ich kenne. Mir passiert auch nichts Schlechtes. Ich mache alles immer nur ein Mal.

Du lehnst dich nie bei einer Arbeit an die vorherige an? Nein, ich bin vielseitig und mache so viele Dinge. Ich besitze 65.000 Musikträger, 30.000 DVDs mit Filmen und tausende Bücher. Natürlich lese ich nicht alle von vorne nach hinten, aber ich freue mich, dass ich sie habe, lese dort und da eine Seite. Ich bin noch aus einer Welt, in der man gerne etwas in die Hand nimmt, und ich liebe das haptische Erlebnis. Ich hasse elektronische Nachrichten. Ich will mit einem Buch an den Strand gehen und nicht immer in dieses Kastl hineinschauen. Die meisten Menschen haben anfangs ihren Schwanz in der Hand und ab einem gewissen Alter nur noch ihr Handy.

Beides geht nicht? Nicht mit derselben Hand.

Kannst du malen, wenn du getrunken hast? Nein, nur singen oder Klavier spielen, aber nicht malen. Daher trinke ich tagsüber nie. Es gibt zwar Künstler, die behaupten, sie könnten malen, wenn sie getrunken haben, aber das stimmt nicht. Die Bilder werden dadurch schlechter. Ich brauche zum Malen einen hungernden Körper. Und ein gutes Licht. Daher male ich jetzt vor allem bei Tageslicht und am liebsten mit Blick aufs Wasser.

Du liebst ja auch Hunde … Ja, meine Frau und mich umkreisen ständig zwei Hunde. Ein Mops, der Xaverl, hat sogar eine eigene Website und berichtet jede zweite, dritte Woche aus seinem Hundeleben. Zuletzt war er am Millstätter See und hat sich in ein Saiblingsmädchen verliebt. Der zweite ist ein Lhasa Apso, ein tibetanischer Hund.

Du hattest ja sogar einmal einen singenden Hund. Ja, das war der Maxi, der hat bei mir fünf, sechs Töne gelernt. Ich habe die Akkorde dazu gefunden und wir sind zusammen aufgetreten. Das war sehr professionell, bis ich mir eines Tages einen zweiten Hund gekauft habe. Leider, denn damit begann der Kampf der beiden Hunde um die Vorherrschaft im Hause und der Maxi hat zu singen aufgehört.

Kannst du dir ein Leben ohne Hunde vorstellen? Nein, ohne Tiere will ich nicht leben, sie gehören für mich zum Leben. Vor allem Hunde. Sie sind ein Beispiel dafür, dass man im Jetzt leben kann. Ich versuche bei meinen Bildschöpfungen ja auch dem Jetzt so nahe wie möglich zu kommen. Der Hund scheißt auf die Vergangenheit und die Zukunft, der lebt nur im Augenblick. Der Hund lebt ewig und ich will auch ewig leben, bis zu meinem Tod. Alle anderen warten nur aufs Sterben.

Das Gespräch führte Michael Horowitz.

Lesen Sie demnächst auf KURIER.at Gespräche mit den Schauspielern Wolfgang Böck und Fritz Karl, sowie mit der Künstlerin VALIE Export.

INFO: Die Galerie Ernst Hilger eröffnet am Freitag, 22.3., 19 Uhr in der "HilgerBROTKunsthalle" in der ehemaligen Ankerbrotfabrik in Wien-Favoriten. Es werden Großformate der vergangenen 20 Jahre von Christian Ludwig Attersee sowie ausgewählte neue Arbeiten des Künstlers gezeigt

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