Stams, Wiege der Sporthelden

Arno Staudacher
Was steckt hinter den Erfolgen des Skigymnasiums? Ein Besuch bei den Stars von morgen.

Der erste Eindruck? Kälte. Grimmige, unsympathische Kälte. Der gefrorene Boden knirscht unter den Füßen, der Wind pfeift unerbittlich um die Ohren, die Sonne macht blau und wie immer in den Wintermonaten einen weiten Bogen um Stams. Als hätten sie das Skigymnasium ganz bewusst an diesen Ort hingestellt – als unmissverständliche Botschaft an die Schüler. "Wer an die Weltspitze will, der muss sich warm anziehen."

Stams im Oberen Inntal, 1300 Einwohner, das sehenswerte Zisterzienserstift wurde 1273 erbaut, der Tiroler Freiheitskämpfer Alois Kluibenschedl, ein Weggefährte von Andreas Hofer, gilt bis heute als berühmtester Sohn der Gemeinde.

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Arno Staudacher
Dabei hat dieses Stams doch noch viel mehr Berühmtheiten hervorgebracht. Olympiasieger und Weltmeister, Superstars und Sporthelden, Persönlichkeiten und Publikumslieblinge. Wer kennt sie nicht? Die Anton Innauers und Patrick Ortliebs, die Felix Gottwalds und Ernst Vettoris – sie alle waren als junge Sportler und als Nobodys nach Stams ins Skigymnasium gekommen. Verlassen haben sie den Ort dann als angehende Stars und Sieger. "Im Skisport sind wir sicher die erfolgreichste Schule der Welt", sagt Arno Staudacher, Direktor der österreichischen Gold-Schmiede.

Sportplatz

Wer durch die Glastür mit der Aufschrift Internatschule für Schisportler Stams schreitet, der wähnt sich nicht in einer Schule. Im Eingangsbereich springen junge Burschen leichtfüßig immerfort die kniehohen Stufen der Aula hinauf. Teenager in Langlaufoveralls und mit Skistöcken in den Händen wuseln durch die Gänge, der Geruch von frischem Skiwachs liegt in der Luft. Es ist früher Nachmittag, der Unterricht ist vorbei, jetzt steht jenes Fach auf dem Stundenplan, wegen dem all die Mädchen und Buben zwischen 14 und 19 Jahren überhaupt erst in Stams sind – das Fach Spitzensport.

Stams, Wiege der Sporthelden
Arno Staudacher
Seit 1967 hat sich die Schule schon dem Sport verschrieben. Inzwischen gilt Stams als Inbegriff der österreichischen Erfolge im Wintersport. Hier werden Sieger geformt, hier werden Persönlichkeiten geprägt, hier haben viele der Superstars von heute das Einmaleins des Gewinnens gelernt. Und nicht nur die ausländische Konkurrenz wundert sich: Was machen die in Stams anders als in anderen Sportschulen?

Frage also an den Direktor: "Wie produziert man eigentlich Seriensieger?"

Sportkultur

Stams, Wiege der Sporthelden
Internatsschule für Schisportler Skigymnasium Stams. Repotage 30.10.2012. Foto Robert Parigger.
Arno Staudacher verzieht demonstrativ den Mund. "Das Wort produzieren gefällt mir überhaupt nicht", erklärt der Schuldirektor. Diesem Wort hängt noch der Ostblock-Mief dran. "Ausbildung gefällt mir besser. Was wir machen: Wir fördern und fordern die Schüler. Unser Vorteil ist, dass sich über all die Jahre in Stams eine Kultur entwickelt hat." So sind heute etliche ehemalige Stams-Absolventen als Trainer in Stams aktiv. "Dadurch wird auch unsere Mentalität weitergetragen."

Tatsächlich wirken diese Schüler in Stams anders als Gleichaltrige. Sicher, es rennt auch hier der Schmäh beim Mittagessen, natürlich, einige Modetrends machen auch vor dieser Schule nicht Halt. Und trotzdem: Der Sport scheint diese Schüler extrem zu prägen, er macht sie fokussierter und lässt sie auch ein wenig erwachsener erscheinen. "Wir sind zwar Einzelsportler, aber wir lernen hier auch Sachen wie Stressbelastung oder Teamfähigkeit", sagt David Pommer, Juniorenweltmeister in der Nordischen Kombination, "wir werden hier auch auf das soziale Leben vorbereitet."

Pommer hat wie jeder andere Stams-Schüler eine harte Aufnahmeprüfung bestehen müssen. Zwei Tage lang werden die 14-Jährigen beim sportlichen Casting getestet, am Ende schaffen es von 150 Bewerbern jedes Jahr nur 45 in die zwei Schulklassen (AHS bzw. Handelsschule).

Rennferien

Das Gedränge um die Plätze ist enorm da in Stams mittlerweile neben Skifahrern und Skispringern auch Kombinierer, Snowboarder und Biathleten zur Schule gehen können. "Da haben wir keinen fixen Aufteilungsschlüssel, sondern stellen die Klassen nach Leistung zusammen", erklärt Harald Haim, der Sportdirektor.

Stams, Wiege der Sporthelden
Arno Staudacher
Jetzt in den Wintermonaten sind die Klassen ohnehin meist verwaist. Der Wettkampfkalender der jungen Wintersportler lässt keinen geregelten Unterricht zu. "Wir haben im Winter relativ oft zu", lächelt Haim, "bei uns heißt das Rennferien."

Doch bevor jetzt vielleicht Ottonormalschüler der Neid frisst – die Stamser Schüler müssen den ganzen versäumten Stoff nachlernen. Deshalb gibt es in Stams auch immer noch die Sechstage-Woche, und deshalb beginnt hier das Schuljahr eine Woche früher und endet eine Woche später. Nur das Sitzenbleiben bleibt den jungen Sportlern erspart – durch das Leistungsstufensystem müssen die Schüler nur das Fach wiederholen, in dem sie einen Fünfer haben.

Schlechte Schüler gibt es natürlich auch in Stams. Für Überflieger Gregor Schlierenzauer wurde seinerzeit mit den Lehrern ein individueller Fahrplan geschneidert, um die Schullaufbahn mit halbwegs guten Haltungsnoten zu bewältigen. Der Direktor ist freilich immer wieder verblüfft, zu welchen Punktlandungen die Jungsportler fähig sind. "Es ist faszinierend, wie die ihre Leistung auf den Punkt bringen können", schmunzelt Arno Staudacher, "da waren Leute fünf Jahre lang die große Pflaume, und dann bei der Matura auf einmal sehr gut."

Unikat

53 Lehrer, Trainer und Erzieher sind mittlerweile im Skigymnasium im Einsatz. Das heißt: Auf fünf Schüler kommt ein Angestellter. "Die Kosten-Wahrheit darf man nicht scheuen“", sagt Direktor Staudacher, "es gibt sicher keine vergleichbare Schule."

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Arno Staudacher
Wie wichtig das Skigymnasium für den österreichischen Sport ist, belegen auch die Investitionen der letzten Jahre. Von 2005 bis 2012 wurden 11,5 Millionen in den Ausbau der Infrastruktur (Rollerstrecke, Kraftkammer, Turnhalle) gesteckt.

Aber auch für Eltern ist Stams ein teures Vergnügen: 500 Euro beträgt das Schulgeld – im Monat. Für Familien, die sich diese stolze Summe nicht leisten können, hat die OMV einen Talentefonds eingerichtet.

Und trotzdem: Modernste Infrastruktur hin, beste Trainer her – nicht jeder Teenager, der nach Stams geht, kommt auch tatsächlich groß raus. "Die, die mit 14 kommen und dann Karriere machen, dass sie davon leben können, da reden wir von ein bis zwei Prozent", erklärt Arno Staudacher.

Gregor Schlierenzauer ist genau so ein Hauptdarsteller der Stamser Erfolgsstory. "Stams war zäh", erinnert er sich, "ich war oft gerädert. Aber es hat mich geprägt. Als Sportler und als Mensch."

Wer nach Stams will, der muss ins Internat. Ohne wenn und aber. Selbst jener Schüler aus Stams, der seinerzeit nur unweit des Gymnasiums daheim war, durfte nicht im eigenen Bett schlafen.

Konsequenz und Disziplin werden auch sonst groß geschrieben. "Wir wollen niemanden mit Zigaretten erwischen und besoffen sollte auch keiner sein“, erklärt Sportdirektor Harald Haim. Auch Snus, ein skandinavischer Kautabak, der besonders in Skisprung und Kombiniererkreisen weit verbreitet ist, wird nicht geduldet.

Da in Stams auch noch am Samstag Unterricht ist, bleiben etliche Schüler über das Wochenende im Internat. Vor allem jene, die nicht aus Tirol, Salzburg oder Vorarlberg kommen. Vielleicht ist ja genau das der Grund, warum Stams auch ein fruchtbarer Boden für Liebespaare ist. "Da gibt es inzwischen schon einige, die sich bei uns gefunden haben", lächelt Harald Haim. Anton Innauer war einer der Ersten, seine heutige Frau Marlene war früher eine Langläuferin.

Raich & Stecher

Stams, Wiege der Sporthelden
APAHKT13 - 16022006 - PRAGELATO - ITALIEN: OLYMPISCHE WINTERSPIELE 2006 IN TURIN - Mario Stecher und Freundin Carina Raich am Donnerstag, 16. Februar 2006, nach dem Gewinn des 4x5 Kilometer Sprint im Mannschaftsbewerb der Nordischen Kombination in Pragelato. APA-FOTO: ROBERT JAEGER
Carina Raich, die Schwester von Benjamin und ebenfalls eine Alpinläuferin, ist mit dem Nordischen Kombinierer Mario Stecher verheiratet, der sich heuer bereits in seiner 21.Weltcupsaison befindet.

Schild & Raich

Marlies Schild und Benjamin Raich haben sich ebenfalls im Skigymnasium in Stams kennen gelernt. Mittlerweile liebt das Traumpaar des Alpinsports im Pitztal, auch wenn Schild diesmal Weihnachten daheim in Saalfelden verbringt.

Winkler & Vettori

Die ehemalige Kärntner Abfahrerin Sieglinde Winkler und Skisprung-Olympiasieger Ernst Vettori (1992) haben beide eine Stams-Vergangenheit. Vettori gehörte auch zu jener Clique rund um die Absamer Skisprungkollegen Andreas Felder und Werner Haim , die seinerzeit sogar eine Stams-Tribute-Band gegründet haben – die Stams ’n’ Roses.

6.00 Aufstehen

6.30 Morgenstudium

7.00 Frühstück

7.50 Unterricht in den Klassen, die aus Schülern aus verschiedenen Sportrichtungen gebildet werden.

12.40 Mittagessen

14.00 Beginn des vierstündigen Trainings in den hauseigenen Turnhallen, Kräftekammern oder Kletterwänden. Die Skispringer trainieren im Sommer auf der Schanze nebenan in Stams, im Winter in Seefeld. Die Skifahrer zieht es in die nahe gelegenen Skigebiete (Jerzens, Ötztal, Kühtai).

18.15 Abendessen

19.00 Freizeit

19.45 Studium

21.30 Freizeit

22.00 Nachtruhe

www.schigymnasium-stams.at

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