"Sport ist ein gutes Spiegelbild"

"Sport ist ein gutes Spiegelbild"
Anton Innauer über gedopte Sportler, dicke Kinder, überforderte Jungstars und die aktuellen Krisen auf der Welt.

Anton Innauer ist stolz und aufgeregt wie jeder Jungunternehmer, der bald sein neues Büro beziehen und loslegen kann.

Eben wurde die Hardware in der frisch gegründeten Firma Innauer+(f)acts OG installiert, in der kommenden Woche nimmt der langjährige Sportdirektor des Skiverbandes seine Mentor- und Beratertätigkeit auf. Vorher analysiert Innauer für das ZDF die Tourneespringen in Garmisch und Innsbruck.

KURIER: Herr Innauer, Sie haben es aber nicht lange ausgehalten ohne Skispringen. War Ihnen im Vorjahr etwa langweilig am 1. Jänner?
Anton Innauer: Ich muss zugeben, es war letztes Jahr nicht schlecht, einmal den ersten Jänner nur familiär gestalten zu können. Das war ungewohntes Freiheitsgefühl und das erste Mal seit 30 Jahren.

Inwieweit hat es gut getan, den Spitzensport hinter sich zu lassen?
Ich bin nicht mehr chronisch unter Erfolgszwang und auf dem Radar der Öffentlichkeit, muss nicht jeden Montag die Leistungen der Springer und Kombinierer argumentieren. Das ist eine Erleichterung. Durch die Distanz habe ich feststellen können: Es war höchste Zeit, in meinem Leben eine Kursänderung zu machen. Ohne aber mein Grundinteresse, meinen Instinkt für den Spitzensport verloren zu haben. Das bleibt Teil meiner Kernpersönlichkeit.

 

Was interessiert, was fasziniert Sie am Sport?
Das Grundkonzept eines ehrlichen, fairen Leistungsprinzips, das aber leider vielfach durch Erfolgswahn ruiniert wird. Grundsätzlich hat mich der Spitzensport immer mehr in seiner Tiefe und an den Schnittstellen zur Gesellschaft interessiert. Deswegen die Vorträge und Seminare, die ich in den letzten Jahren gehalten habe, deswegen auch mein Buch "Am Puls des Erfolgs". Ich bin ein Vermittler zwischen den beiden Kulturen, dem Mikrokosmos Leistungssport und dem normalen Berufs- und Wirtschaftsleben. Der Sport ist ein gutes Spiegelbild von gesellschaftlichen Phänomenen und Entwicklungen.

Stichwort Krise?
Das Interessante ist: An einer intensiven Diskussion ist ja niemand interessiert, solange persönliche Vorteile kurzfristig gesichert scheinen. Erst wenn’s wirklich bedrohlich wird, kommt das Bedürfnis nach Reflexion, nach grundsätzlichen Lösungen. Wieso gibt’s die Krise, wo sind die Wurzeln des Dopingproblems, woher kommen Burn-out und Depression auch im Sport. Und, und, und.

Sie haben eben Burn-out angesprochen. Wieso gibt es inzwischen so viele Fälle?
Der Sport ist Teil eines immer schnelleren Marktsystems geworden. Nur Sportler mit stabilen inneren Strukturen oder perfekter, durchgängiger Betreuung, einem emotionalen Schutzkokon sind dem auf Dauer gewachsen. Die verschiedenen Rollen, denen ein Sportler heute gerecht werden muss, gehen über das hinaus, was der Sportler als Einzelner noch alleine verarbeiten kann. Nehmen wir zum Beispiel den Fußball.

Den Fußball?
Fußball-Klubs haben heute mancherorts Religionscharakter, sie haben unfreiwillig sozialmedizinische Verantwortung. Ob einer ein Tor schießt, ob einer einen Ball reinlässt, das steuert Lust und Frust von Zehntausenden. Früher hätte man gelacht darüber. Aber heute geht’s um gewaltige Summen, die Börsenkurse der Klubs hängen davon ab. In so einem Umfeld kann jemand, der sich heldenhaft dazu entschließt, perfekt zu sein, die Außenerwartungen zu erfüllen und dabei seine eigenen Gefühle und Ängste als Warnsysteme abspaltet, ins Trudeln geraten. Glauben Sie mir, es war schon vor 30 Jahren nicht einfach, als jugendlicher Nobody, zum Sportstar hinaufkatapultiert und hochgejubelt zu werden.

Sie sprechen vom jungen Anton Innauer?
Ja. Heutzutage heißen sie Arnautovic und anders. Plötzlich wird man auf der Straße erkannt, das ist cool, aber anstrengend, weil die Sozialkompetenz im Umgang damit fehlt. Fußballer werden mehr als andere sehr früh kulturell umgetopft, alles geht rasend schnell: In Profiligen verlieren diese "Zukunftsaktien", bevor sie irgendwas gerissen haben, den Bezug zu Arbeit und gerechtem Lohn. Die haben früh eigene Homepages und Facebook-Fangemeinden.

Wie erging es seinerzeit dem jungen Anton Innauer?
Ich bin wirklich aus dem Wald rausgekommen, vom Berg herunter. Ich war schüchtern, für mich war alles eine Riesenüberwindung. Genötigt zu sein, mit Leuten zu reden, mit denen ich gar nicht reden will. Und wenn ich’s nicht getan habe, dann bin ich der Grantscherben gewesen. Für mich war das sozial eine völlige Überforderung. Ich hatte die Fertigkeiten und Erfahrung auch nicht. Woher auch?

Burn-out, Leistungsdruck, Doping, etc. Ist der Sport gnadenlos?
Nicht der Sport an sich. Aber der Spitzensport, der absolute Hochleistungssport, der ist grundsätzlich gnadenlos. So wie übrigens jede Wettbewerbsgesellschaft, in der Systeminteressen, der Markt oder der Staat über den Einzelnen gesetzt werden. Sport kann nur humanisiert werden durch die verschiedenen Personen, die darin agieren; durch die Art, Spielregeln zu definieren und zu kontrollieren; durch verantwortungsbewusste Betreuer, die erkennen, dass etwa Gesundheitsprobleme nicht einfach als "Part of the Game" hinzunehmen sind, sondern persönliche Initiative erfordern.

Sind Sie desillusioniert?
Nicht nur. Ich sehe viele Inseln mit tollen Ansätzen, sogar im Alpinrennsport ist die Zeit des kollektiven Wegschauens bei Verletzungen endlich vorbei. Wie Österreichs Kombinierer oder die Springer arbeiten, wie jetzt auch bei den Springern in Deutschland gearbeitet wird. Da sind tolle Persönlichkeiten am Werk, mit einem hervorragenden Know-how und bewusstem Sportethos. Wo es nicht um jeden Preis nur um den Erfolg geht und Kollateralschäden nicht einfach verdrängt werden.

Themenwechsel: Sie schreiben in Ihrem Buch von den Parallelen zwischen Sport und Gesellschaft.
Eine große Parallele, die ich eins zu eins im Sport, Wirtschaft oder Politik wahrzunehmen glaube: Substanzielle Änderungen passieren meist erst auf den letzten Abdruck. Obwohl man sachlich und vor den Sitzungen genau weiß, dass Änderungen unabwendbar sind, dass es eigentlich gar nicht mehr anders geht, passiert doch nichts. Es wird erst dann was verändert, wenn das Gesamtsystem und damit auch kurzfristige Vorteile gefährdet werden. Bevor nicht wirklich der Hut komplett brennt, wird nichts gemacht.

Wo wird im Sport so agiert?
Der Sport ist eine vergleichsweise reduzierte Wirklichkeit, man kann relativ schnell Änderungen von globaler Tragweite vornehmen. Die Anti-Doping-Anstrengungen laufen international aber oft ins Leere. Zu unterschiedlich werden die Regeln interpretiert, zu wenig einheitlich ist die Ernsthaftigkeit der Bemühungen in den verschiedenen Ländern. Analog dazu scheitert der EU-Versuch, die globalen Finanzspekulanten an die Leine zu nehmen, schon am Veto Großbritanniens. In der großen Welt möchten viele auch weiterhin Profiteur eines Systems sein, welches Gemeinwohlinteressen völlig ignoriert und gefährdet.

Sie schreiben auch: Ein fairer Sportler könne zusperren. Ist das Ihr Ernst?
In manchen Sportarten ist es sicher so. Ich hatte gerade erst ein interessantes Erlebnis, das weiterführend zeigt, dass Erfolge, die erreicht wurden, indem man betrogen hat, nicht nur glücklich machen.

Erzählen Sie.
Ich war in Suhl, zusammen mit Hans-Georg Aschenbach (ein Ex-Skispringer aus der DDR, Anmerkung) bei einer Podiumsdiskussion vor 600 Sportinteressierten und ich war beeindruckt von der Größe, mit der er auch vor Ex-Kollegen sagte: "Meine Medaillen sind mir nichts wert, weil ich sie gedopt errungen habe. Ich habe sie alle verschenkt, weil sie mich nicht interessieren. Ich mag mich nicht mehr damit identifizieren."

Mit dieser Einstellung ist Aschenbach aber eine löbliche Ausnahme, oder?
Ja, und zwar eine wertvolle. Dieses Beispiel zeigt, dass bei manchen der Zeitpunkt kommt, wo sie sich wieder in den Spiegel schauen wollen und reinen Tisch machen. Aufarbeitung ist unbequem, aber für junge Beobachter wichtig. Darum bin ich auch dafür, dass die vielen Unbelehrbaren auch nachträglich geahndet werden können, falls es neue Nachweismethoden gibt, um Herrn oder Frau X nachträglich zu entlarven. Wobei dann sicher einige aufschreien würden: "Wen interessiert’s?"

Und wen interessiert’s wirklich?
Meines Erachtens muss dieses Spiel mit der Zeit und zukünftigen Nachweismethoden im Interesse des Sports sein. Für mich wäre das mittelfristig eine der wenigen Hoffnungen, wenn man das Problem eindämmen will: Das macht das Risiko für Sportbetrüger unberechenbar. „Puh, geschafft, ich bin durch, Karriere beendet. Hinter mir die Sintflut“ gilt dann nicht mehr.

Können Sie nachvollziehen, dass Stephanie Graf oder Christian Hoffmann nachträglich lange Sperren ausgefasst haben, obwohl von ihnen kein positiver Dopingtest vorliegt?
Vom Prinzip der Prävention ja, wenn das Verfahren korrekt war. Damit man nicht jenen Vorschub leistet, die glauben: "Ich brauch nur zwei Jahre Glück. Oder in den letzten Jahren meiner Karriere scheiß’ ich mich nichts mehr." Weil sie damit immer wieder Benchmarks setzen, für jene Hasardeure, die nachkommen: Die Unsicherheit für Sportbetrüger zu erhöhen, ist sicher eine wesentliche Methode.

Kann Sich jemand wie Sie eigentlich für die Tour de France begeistern?
Ich sag’s ganz ehrlich: Bei mir schwingt beim Zuschauen bei vielen Sportarten ein Staunen mit, aber auch eine gewisse Ungläubigkeit. Als ein Mensch, der selbst viel trainiert und gemerkt hat, wo man an seine Grenzen stößt, hat man ein Gefühl dafür, was menschlich möglich ist und was übermenschlich ist. Zur Tour de France: Ich bin der Meinung, dass der Radsport eine Bringschuld hat, auch gegenüber den ehrlich begeisterten Nachwuchstalenten. Die Profis müssen sich einiges einfallen lassen, um die Glaubwürdigkeit nicht nur bei mir zurückzugewinnen. Aber mich erschrecken auch Dinge bei uns in Österreich.

Nämlich?
Meldungen wie eine aktuelle Untersuchung aus Niederösterreich. Die Kinder werden immer dicker und bedenklich bewegungsgestört. Als gelernter Leibeserzieher schockiert mich, wie sich menschliches Grundrepertoire während einer Generation durch die geänderten Rahmenbedingungen dermaßen verschlechtert. Der degenerierte Bezug zur eigenen Körperlichkeit wirkt sich oft auf die Psyche aus – das gibt vielschichtige Probleme, die wir volkswirtschaftlich irgendwann stemmen müssen, wenn wir nicht die kluge Verbindung mit Bildung schaffen.

Der Ruf nach der täglichen Turnstunde?
Nicht nur. Der Ruf nach Investition in Bildung und eine tägliche Bewegungsstunde. Da rede ich gar nicht von Sport, sondern von Körperbezug. Das ist eine Offensive, die kommen muss, weil viele Kinder natürliches Umfeld und Vorbilder verloren haben. Und weil es im Freien keine Steckdosen gibt. Der Trend ist schockierenderweise im ländlichen Bereich am deutlichsten. Aber da sind wir wieder beim Thema: Jeder weiß, dass es dieses Problem gibt, alle sehen es, aber gehandelt wird vermutlich erst, wenn schon viel Zeit vertan ist.

Abschließend: Ganz ehrlich: Haben Sie Sich mit Ihren klaren Aussagen, mit Ihrem Buch nur Freunde gemacht?
Ich bin viel öfter darauf angesprochen worden, dass ich sehr zurückhaltend war. Bis auf eine Person hat sich niemand direkt bei mir beschwert, aber manche, die verschnupft sind, haben sich vermutlich nicht die Mühe gemacht, den "Puls des Erfolgs" zu lesen, dann müssten sie ihr Urteil nämlich revidieren. Sie würden entdecken, dass es mir viel mehr um Zusammenhänge, Trends und Prinzipien geht als um deren Verkörperungen. Es war mein Bemühen, den Bogen der Ironie nicht zu überspannen, was bei vielen Lesern im Übrigen auch gut angekommen ist.

Lese-Tipp: Am Puls des Erfolgs

Autor
Nach seinem Rücktritt als ÖSV-Sportdirektor im Jahr 2010 veröffentlichte Anton Innauer das Buch "Am Puls des Erfolgs". Darin beschreibt der Vorarlberger seine Erfahrungen aus 30 Jahren Spitzensport, zeigt Parallelen zwischen Sport und Wirtschaft auf und hinterfragt Tendenzen und Phänomene. Das Buch wurde zum Bestseller, in Österreich wurden mehr als 25.000 Exemplare verkauft. Zuvor hatte Innauer bereits den "Kritischen Punkt" veröffentlicht.

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