"Meine Aufgabe ist nicht vollendet"

"Meine Aufgabe ist nicht vollendet"
Der Schweizer Skisprungstar über Harry Potter, Bernhard Russi und die Tournee.

Er ist vierfacher Olympiasieger und ein Weltmeister seines Fachs, er gewann den Gesamtweltcup und die Goldmedaille bei der Skiflug-WM. Die Vierschanzentournee (Qualifikation am Samstag in Oberstdorf/ab 15.45 Uhr live ORFeins) ist die letzte Trophäe im Skispringen, die Simon Ammann noch fehlt. Viele Gelegenheiten bleiben dem Schweizer nicht mehr: Ammann ist 31, seit wenigen Wochen sitzt er im Verwaltungsrat der Toggenburg Bergbahnen AG und ist auch Investor.

KURIER: Herr Ammann, bereitet da jemand seinen Absprung aus dem Leistungssport vor?
Simon Ammann: Keine Angst, ich bin in erster Linie immer noch Sportler. Aber ich sehe das als spannende, neue Aufgabe. Und eines kann ich versprechen: Ich gehe sicher nicht nur zu den Sitzungen hin, denn ich will nicht nur auf dem Papier Verwaltungsrat und Investor sein.

Sondern?
Erstens interessiert mich das wirklich, zweitens ist es mir eine Herzensangelegenheit. Ich habe den Wunsch, der Region etwas zurückzugeben. Man muss den Mut haben, Neues zu beginnen.

Wie geht es Ihnen im Wissen, dass Sie im Spätherbst Ihrer Karriere angelangt sind? Verspüren Sie so etwas wie Wehmut?
Wehmütig würde ich jetzt nicht unbedingt sagen. Mir fallen jetzt nur öfter Dinge auf, die ich zum letzten oder vorletzten Mal mache. Bewusster trifft es wahrscheinlich besser. Ich lebe jetzt bestimmt bewusster und versuche, die Zeit richtig zu genießen und mich auch nicht vom Leistungsdruck erdrücken zu lassen. Weil mir klar ist, dass es als Skispringer sicher nicht mehr ewig gehen wird.

Wie leicht oder schwierig ist es überhaupt als Sportler, den richtigen Zeitpunkt für das Karriereende zu erwischen?
Für mich gab es im Jahr 2011 eine Phase, wo ich mich intensiv mit diesem Schritt beschäftigt habe. Damals habe ich wirklich nicht gewusst, was ich tun soll.

Was hat am Ende den Ausschlag für die Fortsetzung Ihrer Karriere gegeben?
Für mich war die Aufgabe noch nicht vollendet. Ich hatte das Gefühl, dass es noch einige Ziele gibt, die ich erreichen möchte. Ich bin zwar froh, wenn es in zwei, vielleicht auch erst in drei Jahren dann vorbei sein wird, aber bis dahin werde ich alles dem Skispringen unterordnen. Denn ich will nicht, dass der Sport nur ein Lückenbüßer wird und die Leute vielleicht auch noch sagen: "Der springt nur weiter, weil er nicht weiß, was er sonst tun soll."

Aber wird es für jemanden wie Sie, der schon so lange im Weltcup dabei ist, nicht manchmal monoton? Immer die gleichen Schanzen, immer nur von einem Weltcup zum anderen, das ständige Leben aus dem Koffer?
Richtig langweilig wird es dann doch nie. Jetzt gibt es bei uns zum Beispiel wieder neue Teamkollegen, die sind alle zehn Jahre jünger als ich. Da entstehen dann manchmal ganz lustige Situationen. Mir macht es Spaß, wenn ich den anderen Springern etwas mitgeben kann.

Was hat jemand wie Sie , der fast alles gewonnen hat, überhaupt noch für Ziele? Siebente Plätze werden Sie ja nicht befriedigen.
Wenn es in der ganzen Saison nur ein siebenter Platz wäre und ich die restliche Zeit immer weiter vorne lande, dann könnte ich damit gut leben. Aber im Ernst: Ich habe mir immer große Ziele gesetzt, die Olympischen Spiele in Sotschi sind so ein Ziel.

Und wie ist es mit der Vierschanzentournee? Warum fehlt Ihnen ausgerechnet dieser Titel noch in Ihrer Trophäensammlung?
Vielleicht war ich in der Vergangenheit öfter übermotiviert. Manchmal bist du aber auch schlicht chancenlos, weil ein Konkurrent in dieser Zeit gerade in Höchstform ist. 2009 hätte ich die Tournee gewinnen können, aber der Wolfgang Loitzl hat sich da in einen Siegesrausch hineingesteigert, der nicht zu bremsen war. Eines weiß ich aber: Wenn man die Tournee gewinnen will, dann muss man es passieren lassen. Deshalb auch mein Ziel für heuer: die Tournee locker angehen und nicht allzu sehr verkrampfen.

Themenwechsel: Sie wurden vor Kurzem anlässlich des 100-jährigen Bestehens von Swiss Olympic zum größten Olympiahelden Ihres Landes gewählt. Hat Sie die Ehrung überrascht?
Ich gebe es offen zu: Mich macht diese Auszeichnung sehr stolz. Genauso stolz wie meine beiden Siege bei der Wahl zum Sportler des Jahres. Man darf nicht vergessen: Bei uns gibt es einen Roger Federer. Wobei ich jetzt nicht gewusst hätte, wen ich hätte wählen sollen anlässlich 100 Jahre Swiss Olympic. Natürlich hat kein Schweizer bei Olympia mehr Goldmedaillen gewonnen als ich, aber wie will man diese Erfolge mit jenen von Bernhard Russi, Pirmin Zurbriggen oder Vreni Schneider vergleichen? Der Olympiasieg von Russi war in jener Zeit sehr wichtig für den Skisport. Ich sage: Jede Goldmedaille ist sehr viel wert.

Ihre österreichischen Kollegen Gregor Schlierenzauer und Thomas Morgenstern klagen mitunter über den extremen Hype in Österreich. Wie leicht fällt Ihnen das Leben als Superstar?
Dann sollten die beiden in die Schweiz kommen, denn bei uns ist es ruhiger. Ich muss zugeben: Ich selbst bin nicht allzu oft ausgegangen, seit ich berühmt bin. Es kann manchmal auch anstrengend sein, wenn man ständig nur gefragt wird: Wie ist die Form, wie läuft’s, und, und, und. Das ist dann eben die Kehrseite des Erfolges. Aber ich gehe davon aus, dass das Interesse an meiner Person abnimmt, wenn ich einmal nicht mehr springe.

Wie wird’s dann um das Schweizer Skispringen bestellt sein?
Wir hatten jetzt sicher seit 2002 eine gute Zeit erwischt. Auch mit Andreas Küttel, der 2009 Weltmeister geworden ist, auch durch mich. Wir haben durch Leistung eine große Aufmerksamkeit für das Skispringen erkämpft. Das ist uns gelungen, obwohl der Sport in der Schweiz nur auf wenigen Köpfen verteilt ist. Natürlich wäre es schöner, wenn es bei uns mehr Nachwuchs gäbe.

Damit Sie auch einmal eine Chance auf eine Mannschaftsmedaille hätten?
Ich unterhalte mich öfter mit den Österreichern über die Wertigkeit des Teambewerbs. Die gewinnen ja seit Jahren praktisch alles. Diese Ehre hatte ich leider nie. Eine Medaille mit dem Team – das wäre das Größte überhaupt. Wenn das noch passiert, dann gibt es kein Halten mehr. Das wäre die Krönung.

Zum Abschluss eine Frage, die bei keinem Interview mit Ihnen fehlen darf: Ihr Ruf als Harry Potter der Schanzen. Nervt es Sie, wenn Sie immer noch darauf angesprochen werden?
Überhaupt nicht. Das gehört zu meiner Biografie. Ich finde es cool, wenn ich heute zurückblicke zu den Olympischen Spielen 2002 in Salt Lake City. Im Endeffekt war das eine echt gute Zeit. Hey, ich war bei David Letterman und auf der Titelseite der New York Times! Wenn das nicht cool ist.

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