Schlierenzauer: Luftikus mit Bodenhaftung

Schlierenzauer: Luftikus mit Bodenhaftung
Gregor Schlierenzauer oder: Ein Jungstar ist erwachsen geworden.

Ani aus Istanbul macht ihm eine Liebeserklärung. Missy aus Madrid wünscht ihm alles Gute für die neue Saison. Und Kasia aus Polen schickt ihm überhaupt gleich eine Million Küsse. Gregor Schlierenzauer ist nicht nur ein leidenschaftlicher Überflieger, der Tiroler ist offenbar auch ein echter Frauenschwarm, wie die zahlreichen Einträge weiblicher Groupies im Gästebuch seiner Website beweisen. „Das ist mir auch extrem wichtig“, gesteht der Skispringer, „mir würde es nicht taugen, wenn mich die Leute nicht mögen würden.“

Bei der Konkurrenz ist der Tiroler dafür weit weniger beliebt, seit er 2006 als Teenager schnurstracks an die Weltspitze und ins Rampenlicht gesprungen ist. Denn der passionierte Rekordjäger und Trophäensammler stiehlt seither häufig den anderen Adlern die Show – selbst jenen, die in ähnlichen Sphären schweben wie er.

Im Mittelpunkt

Als am vergangenen Sonntag Thomas Morgenstern in Lillehammer mit einem dritten Platz zur Weltcup-Gesamtführung sprang, war Schlierenzauers Kärntner Dauerrivale trotzdem nicht in der Poleposition. Beim Après-Skispringen im Szenelokal Bryggerikjelleren drängten sich die Journalisten um Gregor Schlierenzauer, der gerade sein 41.Weltcupspringen gewonnen hatte, während Weltcup-Leader Morgenstern sichtlich genervt und schmähstad abseits an der langen Tafel hockte.

Gregor Schlierenzauer genießt es heute, im Mittelpunkt zu stehen. Das war nicht immer so. Lästige Journalistenfragen konnten den 22-Jährigen in der Vergangenheit schon einmal aus der Flugbahn werfen. Seit er nun aber zwei Medien- und PR-Berater engagiert hat, wirkt der Tiroler im Umgang gelöster und gelassener. „Ich sehe heute sicher nicht mehr alles so engstirnig wie als Junger“, weiß Schlierenzauer, „mir macht es auch nicht mehr so viel aus, wenn ich einmal nur Fünfter werde.“

Im Aufwind

Das kommt bei ihm ohnehin nur sehr selten vor. Fünfte Plätze sind für einen, der in seiner Karriere im Schnitt in jedem zweiten (!) Weltcupspringen auf dem Sieges­podest gelandet ist, beinahe schon Ausreißer nach unten.

Verwunderlich eigentlich, dass jemand, dessen Flugschreiber so beeindruckende Daten ausspuckt, in seiner Heimat noch nie den Titel Sportler des Jahres gewonnen hat – weder in Österreich, noch in Tirol. Und erstaunlich auch, dass es tatsächlich Sprungschanzen gibt, auf denen Schlierenzauer noch nie triumphiert hat. Die Rukatunturi-Schanze im finnischen Kuusamo, auf der am Freitag (Teambewerb, 16.45 Uhr/live ORFeins) und am Samstag (Einzel) der Weltcup fortgesetzt wird, ist einer der letzten weißen Flecken auf der Landkarte des Seriensiegers. Dasselbe gilt für Kuopio (Finnland) und die neu im Weltcup vertretenen Orte Wisla (Polen) und Sotschi (Russland).

Den jungen Gregor Schlierenzauer, den überehrgeizigen und hyperpeniblen Teenager, hätte dieser Umstand gewurmt. Der Gregor Schlierenzauer von heute sieht die Welt ein wenig gelassener, aus seiner ganz persönlichen Vogelperspektive. „Ich bin ja im Grunde in einer Luxussituation“, weiß der Stubaier Luftikus, „nicht jeder Skispringer hat mit 22 so ein Leben und fast alles schon gewonnen. Alles, was jetzt noch kommt, ist eigentlich nur noch Draufgabe.“

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