Schlierenzauer: Dauergast auf Wolke sieben

Austria's World Cup overall leader Gregor Schlierenzauer reacts after winning the third jumping of the 61st four-hills ski jumping tournament at the Berg Isel stadium in Innsbruck, January 4, 2013. Austria's Gregor Schlierenzauer won the competition ahead of Poland's Kamil Stoch and Norway's Anders Bardal. REUTERS/Kai Pfaffenbach (AUSTRIA - Tags: SPORT SKIING TPX IMAGES OF THE DAY)
Gregor Schlierenzauer hebt um 16:30 Uhr in Bischofshofen zu seinem zweiten Tourneesieg ab.

Überflieger. Jungstar. Superadler. Weitenjäger. König der Lüfte. Schanzengott. Schlierinator – Gregor Schlierenzauer fliegen die Kosenamen und Komplimente nur so um die Ohren. Nicht erst seit Freitag, seit er mit dem emotionalen Heimsieg am Bergisel für einen neuerlichen Schlierenzauber gesorgt und Kurs auf den Tournee-Gesamtsieg genommen hat.

Die Superlative und Bestmarken begleiten den Tiroler schon die gesamte Karriere. Erster Weltcupsieg mit zarten 16; erster Tournee-Tagessieg beim ersten Tournee-Springen überhaupt (2006 Oberstdorf); Skiflug-Weltmeister mit 18, Weltcup-Gesamtsieger mit 19, Team-Olympiasieger mit 20; Einzel-Weltmeister mit 21, Tournee-Sieger mit knapp 22 – im Überschallflug räumt dieser Gregor Schlierenzauer einen Titel nach dem anderen ab.

Im Gesamtweltcup hat der Tiroler seine Verfolger bereits abgeschüttelt (152 Punkte Vorsprung), auch der zweite Gesamtsieg bei der Tournee scheint für ihn nur mehr einen Katzensprung entfernt. Schlierenzauer reiste mit 10,7 Zählern Vorsprung auf den norwegischen Herausforderer Anders Jacobsen zum Finale nach Bischofshofen (16.30 Uhr, live in ORF eins), wo der heftige Regen der Schanze zugesetzt hat.

Ausnahmetalent

Wie macht dieser Gregor Schlierenzauer das nur? Wieso fliegt er seinen Gegnern ständig um die Ohren? Warum landet er in jedem zweiten Springen auf dem Siegespodest (siehe Grafik)? Vor allem aber: Wie kann einer seit sechs Jahren der Mann der Stunde sein?

"Der Gregor hat überdurchschnittliche Fähigkeiten", meint Anton Innauer, der langjährige Sportdirektor des Österreichischen Skiverbandes, "er ist grenzgenial." Sprungkraft, Fluggefühl, Technik, Feinsensorik – Schlierenzauer kombiniert die wichtigsten Zutaten des Skispringens zu einem Erfolgsrezept. "Im Zusammenspiel wird das zu einer perfekten Mischung“, meint Cheftrainer Alexander Pointner, der seinen Seriensieger in den Himmel lobt. "Gregors Sprünge haben künstlerische Qualität."

Bodenhaftung

Der Superstar selbst präsentiert sich als Mann mit Bodenhaftung, Gregor Schlierenzauer wirkt mittlerweile gereift und gelassen. Verflogen ist die gespielte Lässigkeit vergangener Tage, verschwunden die Verbissenheit jüngerer Jahre. "Da habe ich mich selbst oft ein bisschen narrisch gemacht", erinnert sich Schlierenzauer, "vor allem bei der Tournee. Ich habe gelernt, dass man Dinge auch passieren lassen muss."

Mit diesem Motto lebt und fliegt sich’s für ihn nun leichter. Es ist wohl nur mehr eine Frage von Tagen oder Wochen, bis Schlierenzauer die nächsten Rekorde "passieren". Drei Weltcupsiege noch, dann hat er auch Matti Nykänen, die finnische Nummer eins (46 Siege), überflügelt.


Schlierenzauer über . . .

... seine Ziele: "Die 47 Siege haben für mich eine enorme Bedeutung. Es zeigt, dass du konstant in der Weltspitze dabei bist. Was mich stolz macht: Ich kann diese Marke schon in meinem jungen Alter erreichen. Das ist aber nicht das einzige Ziel: Olympiagold fehlt mir auch noch."

... seine steile Karriere: "Mir ist bewusst, dass ich ein Riesenglück im Leben habe. Ich hatte die günstige Situation, dass ich mit einer Technik und einer Ausbildung in den Weltcup gekommen bin, die gleich für Siege gereicht haben. Ich habe damals mit 16 mehr oder weniger mit den Schanzen gespielt, wahrscheinlich war ich sogar überlegen."

Schlierenzauer: Dauergast auf Wolke sieben
Gregor Schlierenzauer of Austria stretches prior to his first training jump for the fourth event of the 61st four-hills ski jumping tournament in Bischofshofen, January 5, 2013. REUTERS/ Dominic Ebenbichler (AUSTRIA - Tags: SPORT SKIING)
... sein Leben als Jungstar: "Es ist schwierig, wenn du mit 16 erwachsen sein sollst. Wenn du auf einmal der Chef bist in deinem Job und plötzlich von allen Seiten belagert wirst. Auf mich ist damals sehr viel hereingeprasselt, das war eine richtige Challenge. Mein Glück war, dass mit meinem Onkel ein Topsportler in unserer Familie ist."

... seine Lehren: "Wenn man eine Saison mit 13 Weltcupsiegen hat und alles niederreißt, dann ist die Latte eine andere. Man denkt sich: Es geht eh so weiter, es hat ja immer funktioniert. Heute weiß ich, dass es nicht selbstverständlich ist, dass alles so leicht von der Hand geht. Man muss sich jeden Sommer alles wieder neu erarbeiten."

... seine Verbissenheit: "Ich bin gelassener geworden, weil ich weiß: Eigentlich bin ich in einer Luxussituation. Mir macht es heute nichts mehr aus, wenn ich einmal nur Fünfter werden sollte."

... seine Popularität: "Manchmal würde ich mir wünschen, dass ich ein anderer wäre. Wenn ich nicht mehr unbeobachtet durch die Stadt gehen kann. Ich will als normaler, bodenständiger Typ wahrgenommen werden. Mir würde es nicht passen, wenn mich die Leute nicht mögen."

Welche Gefühle löst dieser Sieg in der heimatlichen Arena bei Ihnen aus?
Schlierenzauer: Ein Heim-Weltcup ist etwas Spezielles, und wenn man dann die Sprünge am Punkt erwischt vor 22.000 Leuten, das ist etwas Besonderes. Ich habe es genossen, das war der absolute Adrenalinkick. Auf der Heimschanze Top-Sprünge auszupacken, da gibt es nichts Schöneres.

Welche Vorteile für sich sehen Sie beim finalen Duell mit Anders Jacobsen in Bischofshofen?
Vom Gewinnen ist noch nicht die Rede, dazu bin ich zu lange dabei. Aber es ist kein Nachteil, jetzt eine österreichische Schanze zu haben. Ich war seit Engelberg (in nun 5 Bewerben, Anm.) immer auf dem Podest, die Konstanz ist da, die Form passt. Dennoch kann immer noch etwas passieren. Man braucht auch das nötige Wetterglück, und das habe ich heute auch gehabt."

Waren Sie als Tourneesieger vor dem Heimbewerb diesmal weniger nervös?
Es war eine spezielle Situation. Ich war etwas nervös, aber nicht so wie in vergangenen Jahren. Es war ein gutes Gefühl vor dem Start. Ich hab' selbst schmunzeln müssen, weil ich so ruhig war. Ich war in der Lage, die Stimmung besser aufzusaugen, war immer im Jetzt und das ist für einen Sportler das Genialste, was es gibt. Für solche Momente arbeitet man sein ganzes Sportleben."

Es ist nicht gerade der günstigste Zeitpunkt, Sven Hannawald nachzueifern und auf den berühmten Grand Slam loszugehen. Der Deutsche hatte bekanntlich 2001/’02 als erster und einziger Springer alle vier Tourneebewerbe gewonnen und damit Sportgeschichte geschrieben.

Noch im Vorjahr war für eine Wiederholung von Hannawalds Kunststück eine stolze Sonderprämie von einer Million Schweizer Franken ausgelobt worden, bei der aktuellen Tournee bekäme ein Grand-Slam-Sieger hingegen keinen Cent mehr als für den gewöhnlichen Tourneeerfolg, der mit 16.600 Euro – neben dem obligaten Preisgeld – auch nicht übermäßig dotiert ist.

Lohnniveau

Den Superstar wie Gregor Schlierenzauer ist das Lohnniveau der Adler schon lange ein Dorn im Auge. Vor allem seit die FIS vor drei Jahren den Verteilungsschlüssel modifiziert hat und die 60.000 Euro Preisgeld an die ersten 30 Springer ausschüttet und nicht mehr nur an die Top Ten.

"Wir sorgen für die Show und machen Werbung für den Sport und kriegen weniger. Das passt nicht", hatte sich Schlierenzauer schon mehrmals beschwert.

Tour de Ski

FIS-Renndirektor Walter Hofer, ein Landsmann von Schlierenzauer, lässt dieses Argument nur bedingt gelten. "Wir müssen auf alle Athleten schauen. Für Leute, die zwischen Platz 15 und Platz 30 kommen, sind das wichtige Einnahmen", erklärt Hofer, "die Stars haben ohnehin zusätzliche Verdienstmöglichkeiten."

Die Adler blicken derweil ein wenig neidisch auf die Langläufer, die eben bei der Tour de Ski für den Gesamtsieg 75.000 Euro erhalten. Allerdings ist deren Arbeitszeit auch deutlich länger als jene der Skispringer.

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