Cool Runnings: Die Rückkehr der Exoten

Der jamaikanische Zweierbob im Eiskanal von PyeongChang.
Vor 30 Jahren raste erstmals ein Schlitten aus Jamaika durch den Eiskanal. 2018 boomt das olympische Exotentum.

"Was wollt ihr denn hier überhaupt?" Der Empfang im Eiskanal war durchaus frostig, als Jazmine Fenlator-Victorian und Carrie Russel plötzlich mit ihrem Schlitten beim Weltcup aufgetaucht waren. Alle lieben "Cool Runnings", den legendären Film über die Abenteuer des Viererbobs aus Jamaika rund um die Winterspiele 1988 in Calgary. Aber die Nachfolgerinnen von der Karibikinsel wurden nicht mit offenen Armen empfangen. "Wir wurden belächelt, alle haben gefragt, was wir hier verloren hätten", erinnert sich Jazmine Fenlator-Victorian, die Pilotin des Bobs Jamaika I. Dreißig Jahre nach den berühmten Pionieren flitzen nun erstmals zwei Jamaikanerinnen bei Olympia durch den Eiskanal.

Es braucht auch gar nicht weiter zu verwundern, dass die Exotinnen nicht überall auf Gegenliebe stoßen. Das Damen-Bobfahren ist ein Sport, der seit Jahren um Anerkennung und Aufmerksamkeit kämpft, und dann tauchen auf einmal zwei Jamaikanerinnen auf und stehlen allen die Show.

Faszination Bob

In PyeongChang sind Jazmine Fenlator-Victorian und ihre Anschieberin Carrie Russel gefragte Interviewpartner. Die Pressekonferenz mit dem Bob-Team aus der Karibik musste wegen des enormen Interesses sogar in das große Auditorium verlegt werden, wo normal Superstars wie Lindsey Vonn oder Mikaela Shiffrin zum Volk sprechen.

Aber die Geschichte fasziniert nun einmal. "Wir wollen einen historischen Moment erleben und die Legende von ,Cool Runnings‘ fortsetzen", erklärt Jazmine Fenlator-Victorian, die wie alle Jamaikaner den Film "unendlich oft" gesehen hat. "Jeder bei uns kennt ,Cool Runnings‘. Darüber sprechen die Menschen in Jamaika noch heute."

Auch wenn die beiden Damen im Bob Jamaika I nur bedingt auf den Eisspuren ihrer Bobvorfahren wandeln. Mit dem jamaikanischen Quartett von Calgary, das seinerzeit eher einer Freizeittruppe geglichen hatte, haben Jazmine Fenlator-Victorian und Carrie Russel lediglich die Herkunft gemein. Die beiden betreiben den Bobsport nicht aus Jux und Tollerei, sondern höchst professionell und mit großen Ambitionen.

Ernsthafter Sport

Dudley Stokes, der Pilot von 1988 und heute ein Art Mädchen für alles beim neuen Team Jamaika, erklärte, das man beim Team Jamaika mittlerweile in den "german mode" ("deutschen Modus") gewechselt sei: "Arbeiten, arbeiten, arbeiten! Wir haben uns eine andere Einstellung verschafft", sagte der 54-Jährige der Süddeutschen Zeitung.

Man merkt dem Damenbob-Team auch an, dass Dabeisein längst nicht alles ist. Carrie Russel, 2013 WM-Bronzemedaillengewinnerin mit der jamaikanischen 4x100-Meter-Staffel, verweist zwar auf den Exotenstatus, wenn sie sagt: "Ein Jamaikaner weiß gar nicht, was Schnee ist." Andererseits sprechen die beiden auch ganz offen vom Traum einer Medaille.

Und dass das kein leeres Gerede ist, haben Jazmine Fenlator-Victorian und Carrie Russel gestern beim Abschlusstraining für den Olympia-Bewerb unter Beweis gestellt. Bob Jamaika fuhr da auf den sechsten Rang, noch weit vor den Österreicherinnen.

Hubertus von Hohenlohe, der mexikanische Adelige, ist seit seinem Erstauftritt bei Olympia im Jahr 1984 der Grandseigneur des Exotentums. Es folgten 1988 jamaikanischen Bobfahrer und der englische Maurer "Eddy the Eagle", der als Skispringer dilettierte.

Migration, Mobilität und Globalisierung haben dazu beigetragen, dass Exoten ein bisschen weniger exotisch sind als einst.

Sabrina Simader kam mit drei Jahren nach Österreich, fährt in Südkorea für ihr Mutterland Kenia. Für Bolivien fährt der Tiroler Simon Breitfuss Kammerlander. Nicola Zanon, Sohn einer Thailänderin und eines Italieners, startet für sein Mutterland. Michel Macedo startet für Brasilien, seine Familie ist in die USA ausgewandert als er drei Jahre alt war.

Cool Runnings: Die Rückkehr der Exoten
Bolivia's Simon Breitfuss Kammerlander competes in the Men's Giant Slalom at the Jeongseon Alpine Center during the Pyeongchang 2018 Winter Olympic Games in Pyeongchang on February 18, 2018. / AFP PHOTO / Martin BERNETTI

Die Mutter von Yohan Goutt Goncalves flüchtete aus Osttimor, der Sohn wuchs in Frankreich auf. Shannon-Ogbnai Abeda wurde in Kanada geboren, der 21-jährige IT-Student aus Calgary ist der erste Starter für Eritrea, und das im alpinen Skilauf. Das neueste europäische Land auf Wintersport-Niveau ist der Kosovo. Nach der Sommer-Premiere in Rio 2016 mit Judo-Gold von Majlinda Kelmendi ist nun Skifahrer Albin Tahiri (28) an der Reihe.

Mialitiana Clerc (16), die für Madagaskar fährt, wurde als Einjährige von französischen Eltern adoptiert und wuchs in den Alpen auf.

Das tropische Malaysia darf sogar auf Anhieb in zwei Sportarten mitfiebern. Skifahrer Jeffrey Webb (18) ist oft zum Trainieren im Land seines Vaters, in den USA. Eiskunstläufer Julian Yee konnte in seiner Heimat nur am frühen Morgen oder späten Abend in den Einkaufszentren rund um Kuala Lumpur trainieren – manche hatten eine kleine Eisfläche: "Es war wie der Versuch, einen A380 auf einer Miniatur-Landebahn aufzusetzen."

Langlauf-Exoten

Echte Exoten wie Taufatofua gibt es bei den Langläufern. German Madrazo ist Mexikaner und freute sich über Platz 116. Egal, ob Letzter, Hauptsache im Ziel.

Sebastian Uprimny aus Kolumbien landete vor dem Mexikaner, aber hinter seinem Freund aus Tonga. Klaus Jungbluth Rodriguez aus Ecuador war einst Gewichtheber. Der 38-jährige Langläufer lebt als Sportstudent in Australien.

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TOPSHOT - Tonga's Pita Taufatofua competes during the men's 15km cross country freestyle at the Alpensia cross country ski centre during the Pyeongchang 2018 Winter Olympic Games on February 16, 2018 in Pyeongchang. / AFP PHOTO / Odd ANDERSEN

Akwasi Frimpong verpasste als Sprinter die Sommerspiele in London 2012, im Bobteam der Niederlande war er 2014 nur Reservist. Nun geht der 31-Jährige als Skeleton-Pilot für sein Geburtsland Ghana in PyeongChang an den Start.

Als illegaler Einwanderer lebte Frimpong 13 Jahre in den Niederlanden, ehe er einen holländischen Pass bekam. Er stammt aus ärmsten Verhältnissen. Zu Weihnachten gab es einst zur Feier des Tages eine Flasche Cola für ihn und seine neun Geschwister, erzählte er. Er wuchs bei seiner Großmutter in einer 16 Quadratmeter großen Kammer auf. Seine Olympia-Teilnahme finanzierte Frimpong zuletzt als Staubsauger-Vertreter.

Die Eisschnelläuferin Anice Das startet für die Niederlande, ist aber die erste in Indien geborene Sportlerin, die an Winterspielen teilnimmt. Sie und ihre Zwillingsschwester wurden im Alter von acht Monaten von einem holländischen Ehepaar adoptiert.

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