Gottwald: "Tun wir im Skisport das Richtige?"

Gottwald: "Für Angepasstheit und Uninformiertheit braucht es in Österreich ja nicht noch mehr Vorbilder, für Individualität und Mut schon."
Felix Gottwald, Österreichs erfolgreichster Olympionike, geht mit dem heimischen Sportsystem hart ins Gericht.

Felix Gottwald wurde in seiner aktiven Karriere als Nordischer Kombinierer drei Mal Weltmeister und drei Mal Olympiasieger. Heute leitet der 39-jährige Salzburger als Coach erfolgreiche Seminare und studiert Gesundheitswissenschaften.

KURIER: Herr Gottwald, wie bewusst verfolgen Sie die Nordische WM in Falun?
Felix Gottwald: Ich verfolge den Sport aus einer gesunden Distanz. Die Prioritäten verschieben sich, wenn du ein kleines Kind daheim hast. Ich richte meinen Tag nicht nach dem Sportprogramm im Fernsehen aus.

Bei welchen Sportarten und Athleten bleiben Sie hängen?
Wo ich auch gerne hinhöre, ist, was Athleten in Interviews sagen. Das ist für mich oft interessanter und aussagekräftiger, als der Sport an sich.

"Menschen können zwischen Fassadenlächeln und echter Freude sehr gut unterscheiden"

Was beobachten Sie dabei?
Hätte ich es nicht zufällig in meinem Leben selbst anders erlebt, dann würde ich auch meinen, Erfolg im Sport kann nur vier unterschiedliche Gefühlslagen auslösen: cool, voll cool, geil, voll geil. Wenig, oder? Menschen können zwischen professionellem Fassadenlächeln und echter, innerer Freude sehr gut unterscheiden. Ich schaue mir Interviews an, weil ich hoffe, dass etwas Herzerfrischendes kommt. Etwas, das mich berührt oder gescheiter macht.

Verraten Sie uns Sportler, bei denen Sie gerne hinhören?
Hannes Reichelt nach seinem WM-Titel im Super-G ist mir noch präsent, als er sagte: „Vorm Ziel habe ich mir gedacht: ‚So Hannes, mehr kannst du nicht.‘“ Das war authentisch, witzig, nahbar. Bode Miller, der nach seinem Sturz mit klaffender Wunde seine Frau abbusselt. Aksel Lund Svindal ist ein Segen für den Skisport: Ich kann mich nicht erinnern, dass ich ihn jemals Blabla hätte reden hören. Bei ihm merkt man, dass ihm schon eines klar ist: Er redet nicht mit einem Reporter, sondern mit allen, die ihm zuschauen.

"Solange die Sponsoren zahlen und die Quoten stimmen, fragt sich niemand: Tun wir im Skisport noch das Richtige?"

Beim ÖSV sind kritische Geister und Athleten, die Klartext reden, aber nicht unbedingt erwünscht.
Mag sein. Nur: Wem nützt diese Feststellung? Weder dem Verband, noch den Athleten. Es wird unglaublich viel in Materialentwicklung, Training und Betreuerstab investiert, weil es noch immer die Vorstellung gibt, der sportliche Erfolg sei das Ein und Alles. Sportlicher Erfolg ist nur die Pflicht. Die Kür wäre, über das Medium Sport, Menschen zu erreichen. Nicht nur gutes Entertainment zu liefern, sondern eine Message. Dafür fehlt in unserem System das Bewusstsein, dafür liegt viel zu wenig Fokus auf der Persönlichkeitsentwicklung der Athleten. Selbstzufriedenheit ist ein warmer Anorak. Solange die Sponsoren zahlen und die Quoten stimmen, fragt sich niemand: Tun wir im Skisport noch das Richtige?

Ist die Persönlichkeitsentwicklung denn Verbandssache oder liegt es in der Verantwortung eines jeden Sportlers?
Gute Frage, einfache Antwort: Sie sollte, neben der sportlichen Basis, für beide Seiten oberste Priorität haben. Charismatische, eigenverantwortliche Athleten müssten im Interesse des Verbandes sein, weil sie das richtige Signal in die Gesellschaft senden. Für Angepasstheit und Uninformiertheit braucht es in Österreich ja nicht noch mehr Vorbilder, für Individualität und Mut schon. Das könnte eine Kernaussage des Sports sein. In meine Seminare kommen Fußballer, Tennisspieler, Leichtathleten, Motorsportler, Golfer – ÖSV-Athleten selten bis nie. Das wird nicht nur daran liegen, dass sie nicht gewöhnt sind, Investitionen in die eigene Qualität selbst zu tätigen.

"Von der Zahnseide bis zur Krawatte alles gratis"

Was meinen Sie damit?
Ich meine damit, dass die Generalversorgung durch den Skiverband – der von der Zahnseide bis zur Krawatte alles für Athleten gratis beschafft, zur eigenartigen Einstellung führt, dass es völlig normal sei, immer alles geschenkt zu bekommen: Essen, Bekleidung, Reisen, Trainer. Das erzeugt eine Scheinwelt und entmündigt die Athleten auf eine Weise. Jedenfalls bereitet es nicht wirklich gut auf das Leben nach dem Sport vor. Ich frage mich wie lange sich der Ballon noch weiter aufblasen lässt.

Haben Sie eine Lösung?
Wieder auf ein gesundes Maß reduzieren, daran führt kein Weg vorbei. Der Apparat ist zu aufgebläht – Geld allein gewinnt keine Medaillen und gutes Training ist auch nicht immer eine Frage des Geldes. Peter Schröcksnadel sagt ja auch ganz offen, dass Ski alpin und Skispringen alle anderen Sparten im ÖSV mitfinanzieren. Dem kann man mit Kreativität oder Sparsamkeit Rechnung tragen.

Apropos Kreativität: Wären Sie je darauf gekommen, dass sich Peking für Winterspiele (2022) bewerben würde?
Da sind wir wieder bei der Echtheit. Wie innen, so außen. Der Sport muss sich fragen, wohin die Reise gehen soll. Olympiavergaben als Friedens- und Demokratie-Signal zu argumentieren, geht natürlich immer. Zuletzt waren die Spiele in Russland: Hat das Signal gewirkt? Ein anderer Ansatz wäre, den Fokus weniger auf Austragungspolitik, als auf das Inhaltliche, den Sport selbst, zu richten. Außerhalb der offiziellen Sportstrukturen gelingt es immer wieder, Sportarten zu kreieren oder auf ein neues Level zu entwickeln. Nur im Verbandssystem selbst gelingt das offenbar nicht, im Gegenteil.

"Spitzensport bleibt ein Beruf mit Ablaufdatum"

Ein Beispiel?
Snowboard-Cross: ein Weltcup-Rennen vor der WM (der ausgefallen ist), einen Wettkampf danach – das war schon die Saison. Wie soll das vermarktbar sein? Es läuft auf eine Monokultur aus Fußball, Formel 1 und Skifahren hinaus.

Themenwechsel: Noriaki Kasai hat mit 42 Jahren Skispringen gewonnen, Claudia Riegler ist mit 41 Jahren Snowboard-Weltmeisterin geworden. Sie wären erst 39. Hat Sie ein Comeback nie gereizt?
Die wichtigste Triebfeder bleibt die Begeisterung. Mich begeistert, was ich jetzt tun darf, deshalb stellt sich für mich diese Frage nicht mehr. Spitzensport bleibt ein Beruf mit Ablaufdatum. Beim einem früher, beim anderen etwas später.

Sie haben offenbar rechtzeitig den Absprung geschafft.
Spät genug, aber zumindest selbstbestimmt. Oft wird der richtige Zeitpunkt auch „vergessen“ – dafür haben wir auch in Österreich genügend Beispiele. Das hängt auch damit zusammen, dass der Spitzensport bei uns so ein in sich geschlossenes System ist und Athleten nicht oder zu wenig dazu ermutigt werden, während der Karriere Visionen für ihr Leben außerhalb und nach dem Sport zu entwickeln. Auch hier stünde ein Kulturwandel beim ÖSV an.

Was ist notwendig?
Es braucht ein Augenhöhe-Prinzip. Athleten brauchen Unterstützung in der Entwicklung ihrer Eigenverantwortlichkeit, anstatt einer divenhaften Behandlung während der Karriere. Danach kommen sie schwer zurecht. Es kann nicht jeder Trainer oder Funktionär sein – und TV-Experten gibt’s auch schon genug.

Felix Gottwald, der Medaillenhamster

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