"Jedes Heim-Rennen wie eine Heim-WM"

"Jedes Heim-Rennen wie eine Heim-WM"
Herren-Coach Mathias Berthold über Hoffnungen und Ängste, Herzensangelegenheiten und die Heim-WM in Schladming.

Mauritius. Strahlender Sonnenschein, eine traumhafte Villa am Meer, ein hauseigener Pool, Cocktails. Mathias Berthold machte Urlaub. Doch ließ es der Herren-Cheftrainer beim Après-Ski im Sommer ordentlich krachen? Lag er nach dem Winter-Stress auf der faulen Haut? Ließ er die Weltcup-Seele baumeln?

Nein. Er telefonierte.

Mathias Berthold weiß in seinem Urlaub tatsächlich nichts Besseres zu tun, als ständig mit der Heimat zu telefonieren.

27 Anrufe, keiner kürzer als acht Minuten, zählte Berthold an seinem ersten Urlaubstag auf der Trauminsel. Besessenheit? Mathias Berthold, ein kleines Arbeitstier? "Vielleicht", sagt der 46-jährige Ex-Läufer, der auch in der Freizeit immer und überall für seine Trainer und Athleten erreichbar sein möchte. "Weil ich nichts dem Zufall überlassen will und mir der Austausch und die Kommunikation mit meinem Team wichtig sind."

Er redet überhaupt gerne Klartext. Vor dem Riesentorlauf in Sölden (9.45 und 12.45 Uhr, ORF 1) nahm sich Berthold Zeit für ein Gespräch mit dem KURIER.

KURIER: Herr Berthold, sind Sie derzeit eigentlich froh, dass Sie kein Schweizer sind?
Mathias Berthold: Ich bin grundsätzlich immer froh, dass ich kein Schweizer bin. Aber was soll die Frage?

Nun ja, Sie haben vermutlich mitbekommen, welcher Empfang dem neuen österreichischen Fußball-Teamchef bereitet wurde, nur, weil er ein Schweizer ist.
Ganz ehrlich: Ich hab' das gar nicht so bewusst verfolgt. Mir ist das nur in den letzten Tagen zugetragen worden.

Wie ist es denn Ihnen damals ergangen als Österreicher in Deutschland? Haben Sie Gegenwind gespürt?
Natürlich war auch Skepsis da. Aber ich habe sofort klargemacht, dass ich nicht der österreichische Trainer bin, der nur seine Kohle verdienen will und der nur darauf wartet, dass er wieder beim ÖSV einen Platz bekommt. Im Gegenteil: Die Arbeit in Deutschland war für mich eine Herzensangelegenheit. Deshalb ...

... deshalb?
Deshalb freu' ich mich auch heute noch, wenn die Deutschen gut fahren. Mit einer Maria Riesch bin ich sieben Jahre lang durch dick und dünn gegangen. Das lässt man nicht so einfach hinter sich. Das hat auch nichts mit Deutschland und Österreich zu tun.

Apropos Österreich: Im Fußball gibt es hierzulande acht Millionen Teamchefs: Gibt es auch acht Millionen Ski-Cheftrainer?

Sicher, es gibt bei uns viele, die selber Ski fahren. Aber wie viele fahren schon Rennen? Da kann es automatisch nicht so viele geben, die sich wirklich gut auskennen. Beim Fußball ist das anders.

Inwiefern?
Ganz einfach: Weil es im Skifahren weniger Argumentationsspielraum gibt. Hier zählt im Prinzip nur die nackte Zeit. Außerdem ist es für die Leute viel komplizierter, beim Skifahren Fehler zu sehen. Wobei: Auch bei uns weiß im Nachhinein immer jeder, wie man es hätte besser machen können.

Österreich ist eben eine erfolgsverwöhnte Ski-Nation. Ist Ihnen die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit manchmal zu groß?
Nein, nein. Das muss man der Öffentlichkeit zugestehen. Den hohen Anspruch haben wir selbst ja auch. Aber es hängt natürlich immer von der Mannschaft ab, die zur Verfügung steht. Im Moment haben wir eine gute Mannschaft, die noch besser wird. Da bin ich mir sicher.

Was macht Sie so zuversichtlich? Bei Ihrem Amtsantritt haben Sie noch gemeint, dass die Österreicher in technischer Hinsicht nicht mehr die Vorreiter sind.
Wir haben uns weiterentwickelt. Ich kann mir schon vorstellen, dass man etwa im Riesentorlauf im Ausland heute nicht mehr nur Videos von Ted Ligety anschaut, sondern auch von Philipp Schörghofer. Ich sage: Wir sind auf einem guten Weg.

Trotzdem glauben Sie heuer nicht an einen österreichischen Weltcup-Gesamtsieger.
Natürlich haben wir Leute, die gewinnen können. Aber wir sind eben nicht die Topfavoriten. Da muss man einfach die Kirche im Dorf lassen. Der Benni, der als letzter Österreicher den Gesamtweltcup geholt hat, war ein halbes Jahr verletzt.

Sie haben das Thema angesprochen: Sie mussten in Ihrer ersten Saison viele verletzte Läufer erleben. Wie geht's einem Trainer, wenn er sieht, wie einer seiner Läufer ins Koma stürzt?
Ganz schlecht. Das war eine schreckliche Zeit, sicher die schlimmste in meinem sportlichen Leben. Es war ja auch für unsere Fahrer eine Extremsituation. Die mussten am nächsten Tag den Super-G fahren.

Georg Streitberger wurde sogar Zweiter.
Super, vor allem in dieser Ausnahmesituation. Aber dann kommst du runter ins Ziel, und dort ist Highlife und Party. Das war einfach nur pervers. Ich habe dann schnell meine Interviews abgewickelt, meinen Job erledigt und mir nur gedacht: "Nichts wie weg!".

Sie sind ja nicht nur Cheftrainer, sondern auch Vater eines Rennläufers. Haben Sie keine Angst um Ihren Sohn Frederic?
Als sich abgezeichnet hat, dass er Talent hat, habe ich mir schon gedacht: "Irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, wo ich meinen Buam im Krankenhaus besuchen muss." Aber was soll ich tun? Er liebt nun einmal den Sport. Sicher habe ich ein mulmiges Gefühl. In Wahrheit bin ich immer froh, wenn ein Tag vorbei ist und alles super gelaufen ist.

Ist der Spagat zwischen der Vater- und Trainerrolle eigentlich schwer?
Für mich überhaupt nicht. Und der Frederic hat das von Anfang an gecheckt, dass es für ihn nicht einfacher wird, weil ich der Cheftrainer bin, sondern eher schwerer.

Warum?
Weil ich mit ihm sicher etwas kritischer bin. Außerdem steht er wegen der Konstellation automatisch mehr im Fokus als die Kollegen.

Wo wir gerade beim Fokus sind: Inwieweit haben Sie bereits ein Auge auf die Heim-WM 2013?
Schladming ist immer im Hinterkopf. Aber man darf es auch nicht übertreiben. Nur weil alles perfekt organisiert ist, darf man ja nicht glauben, dass schon alles erledigt ist. Das Hauptereignis bleibt immer noch das Skifahren.

Kann man eigentlich einen Erfolg bei der WM planen?
Viele Dinge sind planbar: Die Räumlichkeiten, das Essen, die Trainingseinheiten, die wir in Schladming machen werden - das alles ist bereits erledigt. Aber das so zu timen, dass du genau in den 14 Tagen in der Form deines Lebens bist, ist dann sicher schwieriger.

Vor allem, wenn ganz Österreich auf einen schaut. Muss man die Athleten auf die spezielle Drucksituation Heim-WM vorbereiten?
Es ist wichtig, dass man das Thema vernünftig angeht. Aber man darf jetzt auch nicht zwei Jahre lang ständig nur von Schladming reden. Es ist ein Rennen wie jedes andere.

Wirklich?
Wir sind es gewohnt. In Österreich ist ja jedes Rennen praktisch wie eine Heim-WM.

Also: Was erwarten Sie dann für die Heim-WM am Sonntag in Sölden?
Sölden ist immer ein bisschen anders. Du bist in der Vorbereitung noch nicht so weit, du hast noch keinen Vergleich. Je länger man dabei ist, desto gelassener wird man - und beim nächsten Rennen normalisiert sich alles wieder. Aber klar ist auch: Ein guter Anfang wäre super.

Abschließend zum Dauer-Thema Material-Reform. Nerven Sie die Debatten?
Puh, man hat so viel darüber geredet. Ich finde, dass es an der Zeit wäre, dass man auch wieder die Schönheit des Sports in den Vordergrund rückt.

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