"Ein Braver gewinnt nie Rennen"

"Ein Braver gewinnt nie Rennen"
Die Ski-Cheftrainer Mathias Berthold und Herbert Mandl im KURIER-Gespräch.

Vor dem Start der Herren-Bewerbe in Lake Louise und der Damen-Rennen in Aspen (ab Samstag) sprechen Österreichs Cheftrainer über die Heim-WM in Schladming, Ski-Star Marcel Hirscher und den ewigen Kampf der Geschlechter.

KURIER: Herr Berthold, kennen Sie die Qualitäten Ihrer Athleten nicht?
Mathias Berthold: Natürlich kenne ich die Qualitäten meiner Jungs. Wie kommen Sie darauf?

Sie haben vor der vergangenen Saison gemeint, dass der Gesamtweltcup kein Thema sei. Wir wissen, was passiert ist.
Damals war es nicht realistisch. Und war es nicht der Zeitpunkt, um die Athleten künstlich unter Druck zu setzen. Dass Marcel Hirscher so eine Serie starten würde, war nicht absehbar.

Herr Mandl, müssen die Damen jetzt nachlegen in Sachen Gesamtweltcup?
Herbert Mandl: Eigentlich schon, wir kommen mächtig unter Druck. Eine Anna Fenninger hätte sicher das Können dazu, aber sie ist noch eine sehr junge Läuferin. Zuerst muss man den Schritt machen, sechs oder sieben Rennen zu gewinnen. Erst dann kann man weiterdenken.

Wie ist überhaupt ein Gesamtweltcup-Sieg im Vergleich zu einem WM-Titel einzustufen?
Mandl: Ein Weltcup-Gesamtsieg ist sicher gleich viel wert wie ein WM-Titel.

Apropos WM: Wie sehr lässt sich der mediale Hype vor den Rennen in Schladming steuern?
Berthold: Klar ist die Aufregung groß, aber das haben wir im Grunde jedes Jahr in Kitzbühel oder beim Night­race in Schladming. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und alles organisiert.
Mandl: Gott sei Dank ist es so. Seien wir doch froh, dass sich etwas rührt. Denn wenn sich in Österreich einmal nichts mehr bewegt, dann ist es eh schlecht bestellt um den Alpinsport.

Wie präsent ist die WM denn schon bei den Athleten?
Mandl: Noch nicht so. Als Österreicher muss man sowieso erst einmal dabei sein. Da muss man zuerst im Weltcup gute Rennen fahren. Darauf liegt derzeit das Hauptaugenmerk. Bei der letzten WM in Garmisch haben die Damen Österreichs Ehre gerettet. Ist der Druck auf die Herren deshalb größer?
Berthold:
Die Leistung der Jungs war trotz allem okay. Man darf nicht vergessen: 60 Prozent unserer Medaillenanwärter sind verletzt vor dem Fernseher gesessen.

Marcel Hirscher gehörte 2011 auch zu den Verletzten. Wie gut tut er dem Skisport?
Berthold: Sehr gut. Er ist ein bisschen ein Rocker. Ich finde es gut, wenn ich auf den Pisten die grünen Kappen sehe und die Jungen fragen, wo der Hirscher ist.
Mandl: Ich kann dem Mathias nur beipflichten. Marcel Hirscher spricht die Jugend an, das ist für den Skisport extrem wichtig, wo wir eh Nachwuchsprobleme haben. Er ist ein cooler Typ mit dem notwendigen Zeitgeist.

Gibt es bei den Damen auch solche Typen?
Mandl: Eine Elisabeth Görgl ist schon auch eine Type für sich. Auch Anna Fenninger ist ein sehr nettes Wesen, aber von ihrem Temperament einfach nicht so wie ein Hirscher, der die Massen anspricht. Vielleicht kommt das noch.

Man hatte den Eindruck, dass Typen eine Zeit lang gar nicht so sehr erwünscht waren.
Berthold: Das täuscht. Du kannst auch nicht erwarten, dass die Läufer Kopf und Kragen riskieren in diesem gefährlichen Sport und andererseits nie aufmucken. So gesehen sind Typen schon erwünscht. Das muss sich halt in einem gewissen Rahmen abspielen, damit nicht das Team gestört wird. Letztendlich brauchst du nicht nur einen Superstar, sondern ein starkes Team, in dem auch noch andere Stars heranwachsen können.
Mandl: Das sehe ich auch so. Ein ganz ein braver und langweiliger Läufer wird nie Rennen gewinnen.

Warum nicht?
Mandl: Weil zum Skifahren ein gewisses Temperament und Ego dazugehören.

Vor einigen Jahren waren Bode Miller und Aksel Lund Svindal Vorbilder für die Jugend. Jetzt ist es Hirscher – macht das stolz?
Berthold: Das ist eine coole Sache. Ich habe lieber einen Hirscher als Vorbild für die Jungen als einen Miller.

Bekommt ein Star wie er eigentlich eine Sonderbehandlung?
Berthold: Gesamtweltcupsieger wie Benjamin Raich oder Hirscher haben schon Privilegien. Das beginnt etwa beim Business-Class-Fliegen. Im Training ist es anders: Da achte ich sehr darauf, dass jeder gleich behandelt wird. Man muss jedem Athleten das Gefühl geben, dass er ein wichtiger Bestandteil des Teams ist.
Mandl: Das ist eine schwierige Geschichte. Man muss darauf achten, dass neben so einer Persönlichkeit keine Minderwertigkeitsgefühle aufkommen.

Sie haben beide schon mit Damen und Herren gearbeitet. Wo liegt der Unterschied?
Berthold: Den großen Unterschied gibt es nicht. Männer sind genauso sensibel wie Frauen, nur äußern sie es anders. Die haben genauso nach dem Rennen ihre Krisen und Scheißmomente, auch wenn sie nicht weinen. Die Jungs sind generell vielleicht ein bisschen unkomplizierter.
Mandl: In der Denkweise und im technischen Verständnis sind Burschen einfacher. Auch vom Umgang her. Bei den Mädels kullern schon einmal die Tränen, wenn man sie schärfer anredet. Wenn du aber als Trainer nur fein und nett bist, wirst du nie erfolgreich sein.

Welche Rolle spielt Gerechtigkeit bei den Damen?
Mandl: Eine sehr große. Wenn die Mädels das Gefühl haben, du bist ungerecht oder behandelst eine anders als die andere, bist du als Trainer verloren und verkauft.

Wo wir schon beim Geschlechter-Vergleich sind: Was halten Sie von Lindsey Vonns Plänen, in der Herren-Abfahrt anzutreten?
Mandl: Es ist eine blöde Idee. Wenn sie den Vergleich braucht, dann soll sie das im Training machen. Dazu gibt es einen Damen- und einen Herren-Sport. Im Fußball spielen Männer und Frauen ja auch nicht gemeinsam. Außerdem ...

... außerdem?
Außerdem hätten sich das schon ganz andere überlegen können. Eine Annemarie Moser-Pröll war wesentlich näher bei den Herren als es jetzt eine Lindsey ist.

Themenwechsel: Können Sie sich vorstellen, noch einmal die Seiten zu wechseln?
Berthold: Momentan nicht. Ich stelle die Arbeit mit den Herren nicht über die mit den Damen, aber im Moment gefällt es mir hier. Es ist einfach eine geile Aufgabe.
Mandl: Ein Wechsel ist zurzeit für mich auch kein Thema. Bei mir gehen die Gedanken eher in die Richtung, familiärer zu werden. Wenn man so viel unterwegs ist, denkt man sich schon manchmal, dass man die Kinder im Stich lässt. Ich habe jetzt noch relativ junge Kinder mit neun und drei Jahren. Da besteht jetzt noch die Chance, etwas daran zu ändern.

Mathias Berthold (*18. Mai 1965 in Gargellen, Bild links) ist seit 2010 Cheftrainer der österreichischen Ski-Herren. Zuvor war er Techniktrainer der US-Damen und Cheftrainer des deutschen Damenteams.

Herbert Mandl (*5. Juni 1961 in Scheibbs) ist seit 2002 Cheftrainer der Damen. Zuvor coachte er unter anderem das norwegische Damenteam.

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