Wolff: „Messerstechereien unter Halbstarken“

Wiener Duo: Aufsichtsrats-Boss Lauda, Motorsportchef Wolff.
Der Wiener will 2014 mit Mercedes die Weltmeister von Red Bull angreifen.

Seit Anfang des Jahres ist der Wiener Christian „Toto“ Wolff einer der mächtigsten Männer in der Formel 1. Als Motorsportchef von Mercedes-Benz lenkt der 41-Jährige eines der großen Teams der Königsklasse. Anspruch und Druck sind groß. Mit seiner Ansage, in drei Jahren Weltmeister zu sein, und einer harten Personalpolitik schuf sich Wolff nicht nur Freunde im Fahrerlager. Im Juli drohte die Eskalation. Es ging um den Mitschnitt eines heiklen Gesprächs, von Erpressung war danach die Rede. Im KURIER-Gespräch zieht Wolff eine erste Bilanz.

KURIER: Herr Wolff, drei Rennen vor Schluss hat Mercedes bereits mehr als doppelt so viele WM-Punkte wie im letzten Jahr. Sind Sie rundum zufrieden?

Toto Wolff: Man darf die Ausgangslage am Anfang der Saison nicht vergessen. Einen dritten Platz hätten wir damals dankend angenommen. Jetzt kämpfen wir um den zweiten. Wir dürfen vorerst zufrieden sein.

Hat man zur Saisonmitte nicht doch noch mehr erwarten dürfen, als man auf Augenhöhe mit Red Bull gefahren ist?

Die Gefahr besteht in der Formel 1, dass man die Erwartungshaltung schnell ins Unermessliche steigert. Es stimmt: Zur Saisonmitte waren Polepositions und Podestplätze beinahe schon selbstverständlich. Tatsache ist leider, dass Red Bull in und nach der Sommerpause die besseren Entscheidungen getroffen hat als wir.

Wissen Sie, was Red Bull besser macht?

Nichts Weltbewegendes, aber viele Kleinigkeiten. Red Bull hat aus den vielen Ideen, die die Rennställe hier Wochenende für Wochenende präsentieren, die besten Schlüsse gezogen. Und eines darf man nicht vergessen: Die ganze Truppe weiß, wie man Weltmeister wird.

Bei Ihrem Antritt gaben Sie das Ziel aus, in drei Jahren Weltmeister zu sein. Bleibt’s dabei?

Das war der Grund, warum ich dazugekommen bin. Schritt Nummer eins war, vorne mitzufahren. Das haben wir geschafft. Jetzt arbeiten wir an der Konstanz. Wenn uns die gelingt, werden wir die Möglichkeit bekommen, um die Weltmeisterschaft mitzufahren.

Anfang des Jahres haben Sie betont, dass Sie nicht gerne in der Öffentlichkeit stehen, es aber nun als Motorsportchef müssen. Haben Sie sich daran gewöhnt?

Gefallen werde ich daran nie finden. Man muss aufpassen, dass man sich nicht zu sehr reinziehen lässt. Wenn man im Restaurant zum ersten Mal einen besseren Tisch bekommt, freut einen das. Beim zweiten Mal ist das schon wieder überflüssig. Die Einzige, die sich weiterhin über mein Bild in der Zeitung freuen wird, ist meine Mutter. Im Vordergrund sollten immer die Fahrer stehen. Die haben übrigens meinen größten Respekt, was Öffentlichkeit angeht.

Was meinen Sie?

Ich hab’ in diesem Jahr erstmals mitbekommen, wie schwierig es ist für sie, Weltstars zu sein. Es ist nicht angenehm, bei jedem Essen im Restaurant fotografiert zu werden. Ich bin begeistert, wie Lewis (Hamilton, Anm.) und Nico (Rosberg) mit diesem Druck umgehen.

Auch Sie persönlich standen im Sommer unter Druck und in der öffentlichen Kritik. Haben Sie mit so starkem Gegenwind gerechnet, als Sie den Job angetreten haben?

Ich bin zwanzig Jahre im Managementbereich tätig. Der Gegenwind bläst hier nicht stärker als in jedem anderen umkämpften Geschäftsumfeld. Der Unterschied hier ist, dass alles unter einer gigantischen Lupe geschieht. Das Fahrerlager ist vielleicht 500 mal 100 Meter groß, interessiert aber beinahe die ganze Welt.

Wie gehen Sie mit Druck um?

Ich habe einen Leitsatz: Es gibt viel größere Probleme auf der Welt als die hier im Fahrerlager. Wenn man sich das bewusst macht, dann sind das bestenfalls kleine Messerstechereien unter Halbstarken.

Wolff: „Messerstechereien unter Halbstarken“
epa03932633 British Formula One driver Lewis Hamilton of Mercedes AMG GP in action during the 2nd practice session at the Yas Marina Circuit in Abu Dhabi, United Arab Emirates, 01 November 2013. The Formula One Grand Prix of Abu Dhabi will take place on 03 November 2013. EPA/SRDJAN SUKI
Sie haben einmal gesagt, Sie sind als Fan zur Formel 1 gekommen. Verblasst die Faszination, wenn man Tag für Tag damit zu tun hat?

Die Faszination ist zum Job geworden. Mich hat immer am meisten die Technik der Autos interessiert und weniger das Umfeld. Daran hat sich nichts geändert. Ich kann es mir nicht mehr leisten, Fan zu sein. Wer zu enthusiastisch ist, der verliert den Blick für das Wesentliche. Am Ende des Tages zählt ohnehin nur das, was auf der Stoppuhr steht. Es ist wie in jedem anderen Job auch: Stimmt die Leistung, freue ich mich am Montag auf das Büro. Waren wir am Sonntag schlecht, kann ich mir Schöneres vorstellen.

Der Mutter-Konzern Daimler will durch die Formel 1 jünger und dynamischer wirken. Ist dafür die Formel 1 überhaupt noch die geeignete Plattform?

Das Kernprodukt von Mercedes-Benz ist das Automobil. Unser erstes Auto war ein Rennwagen. Die Formel 1 wächst stetig, was weltweite Zuschauerzahlen angeht. Unsere Rechnung stimmt.

2014 startet die Formel E mit rein elektrisch betriebenen Rennwagen. Passt das nicht eher zum Image eines Automobilbauers im 21. Jahrhundert?

Die Formel E ist ein ambitioniertes Projekt. Aber selbst die Formel 1 hat 30, 40 Jahre gebraucht, um das zu werden, was sie heute ist: die drittgrößte globale Sportveranstaltung nach Olympischen Spielen und Fußball-WM.

Indien und Korea fallen im nächsten Jahr aus dem Kalender. Ist die Asien-Expansion zu Ende?

Das Gute an der Formel 1 ist, dass sie weltweit funktioniert und ungebunden ist. Das erlaubt ihr, dorthin zu gehen, wo es Interesse für den Sport gibt. Das können neue Märkte sein wie Russland im nächsten Jahr, das kann aber auch eine Rückkehr wie nach Österreich sein, mit dem Rennen in Spielberg.

Der erfolgreichste Mann der Formel 1? Michael Schumacher! Aber wo. Die sieben WM-Titel des Deutschen kosten Adrian Newey ein müdes Lächeln. Selbst sieben weitere Konstrukteurs-Trophäen, die Schumacher seinen Teams Benetton und Ferrari beschert hat, reichen nicht an die Sammlung des 54-jährigen Engländers heran.

Vergangenes Wochenende in Indien sicherte Red-Bull-Pilot Sebastian Vettel Chefdesigner Newey die WM-Trophäen 19 und 20.

Da sitzt er also, Adrian Newey, im Pavillon seines Arbeitgebers in Abu Dhabi, und gibt Autogramme. Nicht unter sein Konterfei, sondern auf Skizzen seiner Geschöpfe, Meisterwerke der Ingenieurskunst.

Kamerateams haben sich rund um Newey postiert – RTL, Sky, BBC. Das Licht ist grell, er blinzelt, wippt nervös mit den Beinen, lächelt kurz. Adrian Newey hasst solche Auftritte. Nur selten ist er dafür zu haben, das hat er sich 2005 so festschreiben lassen, als ihn Red Bull köderte mit ungeahnten Freiheiten und einer Jahresgage, die im zweistelligen Euro-Millionenbereich liegen soll.

Der Red-Bull-Coup

„Wenn ich die Wahl zwischen Michael Schumacher und Adrian Newey hätte, würde ich mich immer für Adrian entscheiden“, sagte Red-Bull-Teamchef Christian Horner, nachdem ihm der Coup gelungen war und der junge Rennstall dadurch allmählich Fahrt aufnahm.

Neweys Spezialgebiet ist heiße Luft. Keiner in der Formel 1 versteht es besser, die Strömungen in und um den Boliden in Geschwindigkeit umzuleiten als der studierte Aero- und Astronautiker.

„Der Unterschied zwischen Red Bull und den anderen Teams ist Adrian“, sagt Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali. Die Italiener sind das einzige Top-Team, für das Newey noch nicht zum Skizzenblock gegriffen hat. Vor Red Bull entwarf er die Autos für McLaren und Williams. Als er das Team verließ, sagte Gründer Frank Williams: „Jemanden wie ihn zu verlieren, ist nur die halbe Geschichte. Die andere Hälfte besteht darin, dass er danach gegen einen arbeitet.“

2014 darf Adrian Newey seinen Gedanken wieder freien Lauf lassen, die Formel 1 steht vor einer ihrer größten Reglementänderungen. Seine Worte klingen für die Konkurrenten wie eine Drohung: „Ich liebe solche Herausforderungen.“

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