Formel 1: Unerklärbare Radlosigkeit

Nach dem Reifendesaster sucht die Formel 1 Antworten und Halt.

Die ersten Tage auf dem Nürburgring gehörten weder Weltmeister Sebastian Vettel, noch Lokalmatador Nico Rosberg vom deutschen Mercedes-Team. Der erste Tag des Formel-1-Wochenendes auf dem traditionsreichen Kurs in der Eifel gehörte Ingo.

Ingo ist ein freundlicher Herr mit markanter runder Brille und ebenso markantem pfälzischen Dialekt. Er trägt eine gelbe Warnweste, in der rechten Hand hat er einen Greifarm. „Wer verliert denn so was“, sagt Ingo in ein Mikrofon des TV-Senders Sky.

Sein Arbeitsgerät hat da gerade den Teil einer Antriebswelle zu fassen bekommen. Ingo gehört zu jener Gruppe von Helfern, die vor dem Grand Prix den Kurs von Müll und gefährlichen Gegenständen befreit. Seit Jahren macht er das bereits, doch heuer ist irgendetwas anders, das weiß freilich auch Ingo. Nicht, dass seine ehrenamtliche Tätigkeit nicht geschätzt wird, aber diesmal interessiert sich die breite Öffentlichkeit für den Müll, den Ingo und seine Kollegen so zu fassen bekommen.

Das Rennen in Silverstone am vergangenen Sonntag hat Staub aufgewirbelt – und Reifenfetzen durch die Luft fliegen lassen. Fünf Pneus platzten, vier davon jeweils an der gleichen Stelle und bei einer Geschwindigkeit von fast 300 Kilometern in der Stunde. „Verdammte Reifen“, schimpfte Lewis Hamilton, „wir setzen unser Leben aufs Spiel.“

Solch scharfe, direkte Sätze in Richtung eines Partnerunternehmens sind selten in der Formel 1. Doch der englische Mercedes-Pilot blieb eher die Regel als die Ausnahme.

Ursache und Wirkung

Formel 1: Unerklärbare Radlosigkeit
The full range of Formula One tyres of Italian official F1 tyres supplier Pirelli are lined up July 4, 2013, in preparation for this weekend's German F1 Grand Prix at the Nuerburgring racing circuit. REUTERS/Wolfgang Rattay (GERMANY - Tags: SPORT MOTORSPORT)
Die Schuldfrage an dem Desaster ist auch fünf Tage nach dem Rennen in Silverstone nicht geklärt, vielleicht wird sie das auch nie sein. Die Liste an möglichen Gründen ist lang: ein spitzer Randstein; zu geringer Reifendruck; zu steile Anstellung der Reifen. Oder sorgte für den urplötzlichen Haftungsverlust gar das fahrlässige Handeln einiger Teams, die – entgegen der Empfehlung von Hersteller Pirelli – die Hinterreifen seitenverkehrt montierten, in der Hoffnung, einen rennentscheidenden Vorteil daraus zu ziehen? „Jetzt geht es nicht mehr um irgendeinen Vorteil, sondern nur noch um die Sicherheit“, befand der Wiener Motorsportchef von Mercedes, Toto Wolff.

Gefordert, getan. Pirelli lieferte nach Deutschland neue Hinterreifen. Ein Kohlefaser-Gürtel verstärkt nun die Gummis, anstatt wie bisher ein Stahlband.

Dass die Gefahr dadurch gebannt ist, wagt niemand zu behaupten. Erst recht nicht auf einer Strecke wie dem Nürburgring, auf dem die Formel-1-Boliden nur alle zwei Jahre kreisen. Pirelli rüstet die Königsklasse im vierten Jahr aus, die Italiener haben daher erst einen Referenzwert (2011) für die Haltbarkeit ihrer Produkte auf dem Kurs. Beim Durchfahren der Schikane etwa müssen die Reifen Kräften von 800 Kilogramm standhalten.

In Ungarn Ende Juli werden schließlich komplett neu entwickelte Reifen montiert.

Anspruch und Wirklichkeit

Die Problematik ist durchaus hausgemacht. Pirelli ist in der Lage, Reifen herzustellen, die locker und leicht ein gesamtes Rennen halten. Doch langlebige Reifen bedeuten wenige Boxenstopps, und wenige Boxenstopps bedeuten wenig Abwechslung und viel Planbarkeit. Und das ist so gar nicht im Sinne der Erfinder bzw. Vermarkter, die den Zuschauern und TV-Anstalten eine spektakuläre, unberechenbare Show um viel Geld verkauft haben.

Von der Show sieht Helfer Ingo wenig. Sein Blick ist starr gen Boden gerichtet. „Ja nur kein Steinchen übersehen!“ Die Autos sollen über den Asphalt fliegen, nicht die Fetzen.

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