Jan Ullrich: Volksheld, böser Bube, Motivator

Auch der ehemalige deutsche Radstar Jan Ullrich wohnt - wohl nicht nur wegen der guten Schokolade - in der Schweiz.
Vor zwanzig Jahren gewann Jan Ullrich als erster und einziger Deutscher den Radsport-Klassiker.

Am Samstag ist es exakt 20 Jahre her, dass ein rothaariger Deutscher für Rad-Welt veränderte: Jan Ullrich, schon 1996 Gesamtzweiter der Tour de France hinter dem Dänen Bjarne Riis, streifte erstmals das Gelbe Trikot des Gesamtführenden über. Der 23-Jährige machte Deutschland zur Radsportnation, mit seinen Kollegen vom Team Telekom machte er Magenta zur Modefarbe.

"Voilà le Patron", schrieb die Sportzeitung L’Équipe. Da war er tatsächlich, der Chef, und am Ende wurde er der erste und bislang letzte deutsche Tour-Sieger. Jan hier, Ulle dort, mit dabei Erik Zabel, der von 1996 bis 2001 stets die Wertung der besten Sprinter für sich entschied.

Doch mit der Dominanz in Magenta war auch der Weg bereitet für einen der größten deutschen Dopingskandale. Denn die Geschichte von Jan Ullrich ist die eines Helden, der in der Hochblüte des EPO-Dopings aufstieg – und später wie so viele andere auch auf den Boden der öffentlichen Verachtung krachte.

Jan Ullrich: Volksheld, böser Bube, Motivator
Sein damaliges Team steht im Zentrum jener Affäre um das Sportmedizinische Institut der Universität Freiburg, die noch immer nicht aufgearbeitet ist. Weil Akten verschwunden sind, weil die Aufklärungskommission untereinander streitet – und auch mit der Uni.

So geschickt sich Ullrich auf zwei Rädern bewegte, so schwierig war es für ihn im Auto: 2002 verursachte er betrunken einen Unfall in Freiburg, 2014 folgte in seiner Wahlheimat Schweiz ein weiterer. Er war viel zu schnell gefahren, nur knapp entging er einer Freiheitsstrafe.

Erster Absturz

Nach seiner Fahrerflucht im Jahr 2002 begab sich Jan Ullrich in eine Rehabilitationsklinik – und hatte Pech: In einer Blutprobe wurden Spuren von Amphetaminen gefunden, er erklärte das mit "Pillen", die er von Unbekannten in einer Diskothek erhalten habe, und wurde für sechs Monate gesperrt. Aktuell sind diese "sozialen Drogen" übrigens nur noch in Wettkämpfen strafbar.

Noch 2002 wechselte Ullrich zum niederländischen Radteam Coast, das im Jahr darauf wegen finanzieller Schwierigkeiten zwei Mal vom Weltverband UCI suspendiert und später von Co-Sponsor Bianchi übernommen wurde. Bei der Tour de France 2003 wurde er trotz einer Lebensmittelvergiftung zum fünften Mal Zweiter. Damals hieß der Sieger Lance Armstrong – wie immer zwischen 1999 und 2005.

Jan Ullrich: Volksheld, böser Bube, Motivator
2006: Zwei Tage vor dem Start der Tour de France werden neun Fahrer, darunter Jan Ullrich (Bild) und der Italiener Ivan Basso, von der Rundfahrt ausgeschlossen. Sie sollen mit dem mutmaßlichen spanischen Doping-Arzt Eufemiano Fuentes zusammengearbeitet haben. Diese Vermutung sollte sich nachher bestätigen.
2004, nun wieder für das Team Telekom, bremste eine Verkühlung Ullrich auf den vierten Tour-Platz, 2005 wurde er Dritter – und 2006 schloss ihn die Leitung der Tour de France am Tag vor dem Start aus. Die spanische Tageszeitung El Paíshatte vom mutmaßlichen Dopingskandal um das Team Liberty Seguros berichtet, und im Zuge der Recherchen waren die Journalisten auch auf Jan Ullrich gestoßen.

Zweiter Absturz

Am 20. Juli 2006 löste sein Team den Vertrag auf, im Oktober kündigte Ullrich an, eine österreichische Lizenz lösen zu wollen, was der österreichische Verband aber dankend ablehnte. 2007 verkündete Jan Ullrich dann seinen Rücktritt und zog sich zurück. In den Schlagzeilen blieb er dennoch: Es wurde bekannt, dass in Spanien entdeckte Blutbeutel ihm zugeordnet werden konnten. Die Staatsanwaltschaft Bonn ermittelte wegen Betrugs zum Nachteil seines damaligen Arbeitgebers, 2008 wurde das Verfahren gegen Zahlung einer sechsstelligen Summe eingestellt. Vorteil Ullrich: Zu seiner aktiven Zeit habe eine "weithin verbreitete Doping-Mentalität" vorgeherrscht. Nachteil Ullrich: "Ullrich hat gedopt", so lautete das Resümee von Oberstaatsanwalt Fred Apostel.

Jan Ullrich: Volksheld, böser Bube, Motivator
Erst 2012 rang sich Ullrich ein Geständnis ab. Nachdem ihm der Internationale Sportgerichtshof alle Ergebnisse ab dem 1. Mai 2005 aberkannt hatte, räumte er Kontakte zum spanischen Frauen- und Dopingarzt Eufemiano Fuentes ein. Und ein Jahr später sprach er auch über Blutdoping.

Außer seinem eigenen Blut habe er keine Präparate verwendet, sagte Ullrich dem Focus, und überhaupt sei das ja kein Betrug gewesen: "Betrug fängt für mich dann an, wenn ich mir einen Vorteil verschaffe. Dem war nicht so. Ich wollte für Chancengleichheit sorgen."

Rückkehr

Inzwischen hat Jan Ullrich seinen Frieden mit der Öffentlichkeit geschlossen – und viele mit ihm. Am zweiten Tag der laufenden Tour de France war er umjubelter Zaungast an der Strecke, als das Peloton durch Korschenbroich am Niederrhein fuhr. In der Heimatstadt des früheren deutschen Fußball-Bundestrainers Berti Vogts schrieb Jan Ullrich Autogramme, und von seiner Vergangenheit lebt der heute 43-Jährige ja auch ganz gut.

Vom 4. bis 6. September etwa kann man ein "Seminar für Führungskräfte" am Spitzingsee in Bayern buchen, bei dem er gemeinsam mit seinem einstigen Team-Telekom-Wegbegleiter Mario Kummer referiert: "Radtechnik für Entscheider", "Radtechnik und Radtraining", "Radsport und Wirtschaft" lauten die Themen, inklusive Übernachtung ist man ab 1290 Euro (exklusive Mehrwertsteuer) dabei.

Und am Samstag in einer Woche beginnt in Naturns in Südtirol die Pässewoche mit Jan Ullrich. Ohne Unterkunft bereits ab 399 Euro.

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