Handball: Österreich schafft erstmals EM-Quali

16.06.2013 Handball, EM Qualifikation, Innsbruck, Eishalle Olympiaworld, Oesterreich - Russland, AUT - RUS Alexander Pyshkin , Viktor Szilagyi , Christoph Edelmueller , Sergiy Shelmenko Copyright DIENER / Georg Diener Marktgasse 3-7/4/5/21 A-1090 Wien Telefax +43 1 955 32 35 Mobil +43 676 629 98 51 BA-CA Bank Nr. 12000 Account Nr. 00712 223 783 e-mail: agentur@diener.at Datenbank: www.diener.at
Mit einem 30:25 gegen Russland qualifizieren sich Österreichs Handballer für die Endrunde.

Auf einmal ging es heiß her in der schwülen Tiroler Wasserkraft-Arena. Rund um die Spielerbank der österreichischen Handballer wurde aufgeregt getuschelt, auf der Tribüne fielen sich Funktionäre des Handball-Verbandes um den Hals, allerorts wurden plötzlich in der Innsbrucker Arena Fäuste in die Luft gereckt und Jubelschreie ausgestoßen.

Handball: Österreich schafft erstmals EM-Quali
APA13257492-2 - 16062013 - INNSBRUCK - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT SI - Tormann Nikola Marinovic (AUT) am Sonntag, 16. Juni 2013, während des Handball-EM-Qualifikationsspiels zwischen Österreich und Russland in Innsbruck. APA-FOTO: ROBERT PARIGGER
Wer nicht wusste, was genau los ist, der musste zwangsläufig den Kopf schütteln. Ekstase, obwohl erst 17 Minuten im entscheidenden EM-Qualifikationsspiel gegen Russland gespielt waren? Euphorie, obwohl die Russen eben noch mit 6:4 die Oberhand hatten? Gar ein Fall von: zu früh gefreut?

Der große Wurf

Handball: Österreich schafft erstmals EM-Quali

Handball, EM Qualifikation, Oesterreich - Russland
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Vorfreude

Ganz im Gegenteil: Der vorzeitige Siegestaumel in Rot-Weiß-Rot war nur dem würdigen und feierlichen Anlass entsprechend. Denn in dieser 17.Minute, als das Ergebnis vom Spiel SlowenienWeißrussland bekannt wurde (33:35) war klar, dass den österreichischen Handballern ein historischer Wurf gelungen war. Unabhängig vom Ausgang des Spiels gegen Russland war dem Team die Teilnahme an der EM in Dänemark 2014 sicher. Damit sind die österreichischen Handballer den heimischen Kickern einen Schritt voraus. Nach dem fixen Startplatz bei der Heim-EM (2010) konnte sich das Team nun erstmals sportlich für ein EM-Turnier qualifizieren.

Die erlösende Nachricht aus Slowenien hatte auch für das Spiel der Österreicher eine befreiende Wirkung. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Hausherren nicht in EM-Form präsentiert. Die Spieler, selbst die Routiniers, wirkten fahrig und hektisch, da hatten einige angesichts der historischen Chance sichtlich weiche Knie und zittrige Hände. Die Russen lagen bald 4:1 voran.

Spielrausch

Doch ab dieser ominösen 17. Minute wurde auf einen Schlag alles anders. Nicht nur, dass die Österreicher kurz darauf erstmals in Führung gingen (7:6), plötzlich spielte das Team wie aufgedreht und aufgezogen. Und auf einmal gelangen auch Kunstwürfe wie etwa beim spektakulären Treffer von Raul Santos zum zwischenzeitlichen 12:10.

Die kollektive Ekstase hatte längst auch die österreichischen Handballer unten auf dem Feld erfasst, die sich fortan in einen Spielrausch steigerten und die Russen phasenweise sogar an die Wand spielten. Und beinahe hätten die Österreicher, die am Ende selbst nicht auf Schützenhilfe angewiesen waren, Deutschland einen Nachbarschaftsdienst erwiesen: Bei einem Sieg mit neun Toren Differenz wären sogar noch die kriselnden und hadernden Deutschen ins EM-Teilnehmerfeld gerutscht. Doch die Österreicher begnügten sich mit einem beeindruckenden 30:25-Erfolg – und Deutschland verpasst erstmals überhaupt eine EM. „Unfassbar, was wir geleistet haben“, jubelte Kapitän Viktor Szilagyi, „das wird einige Zeit brauchen, bis wir das realisiert haben.“

17 Minuten werden dafür wohl nicht reichen.

Österreich fährt erstmals zu einer EM an der Deutschland erstmals nicht teilnehmen darf. So ungewohnt das auch klingen mag in einer der traditionellen olympischen Mannschaftssportarten, Zufall ist keine der beiden historischen Tatsachen. Während der deutsche Handball verzweifelt nach Führungsfiguren sucht, sind die Hierarchien im österreichischen Team stark ausgeprägt. Handball lebt von Struktur und präzisen Anweisungen, offenbar auch abseits des Feldes.

Die Generation um Kapitän Viktor Szilagyi, 34, Stamm-Tormann Nikola Marinovic, 36, und Rückraum-Ass Roland Schlinger, 30, ist nicht zwangsläufig die talentierteste, die Österreichs Herren-Handball je vertreten hat, in jedem Fall aber die prägendste, weil beharrlichste.

Die Mannschaft war in der Vergangenheit mehrmals in Qualifikationen gescheitert, mitunter grandios (etwa beim 24:39-Heimdebakel gegen die Ukraine auf dem Weg zur WM 2009).

Selbst nach der Heim-EM 2010, die als Initialzündung historisiert werden wird, ging der Weg nicht stetig steil nach oben. Dennoch hat diese Generation seit Sonntag alles erreicht, was sie – realistischerweise – erreichen konnte: die Hauptrunde bei der Heim-EM, ein WM- (2011) sowie nun ein EM-Turnier (2014).

Der österreichische Verband war wach genug, um diese identitätsstiftende Rolle zu erkennen und ist längst dabei, die goldene Generation langfristig an den Handball zu binden.

Patrekur Johannesson (Teamchef Österreich): "Ich bin einfach überwältigt, mit welch toller Mannschaft ich arbeiten darf. Dieser Erfolg ist eine Folge harter Arbeit. Jetzt sollen die Spieler zwei Wochen feiern. Dann bekommen sie eine Email und dann beginnt die harte Vorbereitung auf Dänemark. Ich will sicher nicht als Tourist nach Dänemark fahren, wir wollen auch dort etwas erreichen. Wir haben in der Quali gesehen, dass wir auch mit Serbien, der derzeit wahrscheinlich besten Mannschaft Europas, mithalten können."

Markus Kolar (Spieler Österreich): "Wir haben super gekämpft und die Halle ist super mitgegangen. Es hatte ungefähr 50 Grad in der Halle, ich bin froh, dass es vorbei ist. Nach der Nachricht vom Sieg der Weißrussen war der Druck weg. Wir haben uns gesagt, dass wir trotzdem unbedingt gewinnen wollen. Der Teamchef hat in der Pause gemeint, dass die zweite Hälfte schon das erste EM-Testspiel ist. Und so sind wir auch aufgetreten."

Viktor Szilagyi (Kapitän Österreich): "Die Heim-EM 2010 war irgendwie eine Initialzündung. Schon zwei Jahre vorher haben sich die Strukturen im Verband geändert. Während ander Verbände kämpfen müssen, dass ihre Spieler zum Team kommen, ist es bei uns genau umgekehrt. Wir haben eine wirklich gute Mischung aus Routiniers und jungen Leuten. Herausheben muss man heute wirklich Alexander Hermann und Markus Kolar. Was die heute in der Abwehr gegen die körperlich starken Russen geleistet haben, das war unglaublich."

Robert Weber (Spieler Österreich): "Wir haben nach einer Viertelstunde gewusst, dass wir es geschafft haben und trotzdem die Konzentration bewahrt. Wir haben hier fast die Russen noch aus der Quali geschossen, das ist unpackbar."

Konrad Wilczynski (Spieler Österreich): "Das ist ein historischer Erfolg und ein unglaublich geiles Gefühl. Eigentlich schade, dass wir Routiniers auf so einen Moment 13 Jahre warten mussten."

Zehn Jahre nach dem EM-Titel und sechs Jahre nach dem Wintermärchen im eigenen Land (WM-Gold) haben Deutschlands Handballer erneut für einen Eintrag ins Geschichtsbuch gesorgt: Sie sind nicht für die EM 2014 in Dänemark qualifiziert.

Die historische Dimension daran? Noch nie zuvor hat der größte und bedeutendste Handball-Verband der Welt eine EM-Endrunde verpasst. Ein 38:19-Heimsieg am Samstag gegen Außenseiter Israel genügte den Deutschen nicht zur Qualifikation als Gruppen-Zweiter, da zeitgleich Tschechien gegen die bereits zuvor qualifizierten Montenegriner gewann. An das mehr als unrealistische Szenario als bester Dritter der sieben Qualifikationsgruppen nach Dänemark zu fahren, glaubte bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe keiner der Deutschen.

Mahnender Kapitän

„Dass wir nicht dabei sind, ist natürlich ganz schlimm, nicht nur für die Nationalmannschaft, sondern auch für die Bundesliga. So etwas darf uns nie wieder passieren“, sagte Kapitän Oliver Roggisch.

Kann es aber. Denn durch das Scheitern in der EM-Qualifikation muss sich die deutsche Auswahl erstmals in der Geschichte durch die mühselige Vorqualifikation zur WM 2015 in Katar kämpfen. Diese Vorausscheidung sollten die Deutschen zwar mühelos überstehen, im Play-off wartet dann allerdings mit einem der Viert- bis Zwölft-Platzierten der EM 2014 ein harter Brocken.

Misslingt auch diese Qualifikationsrunde, findet im Jahr 2016 in Rio de Janeiro zum zweiten Mal nacheinander ein olympisches Handball-Turnier ohne die einstige Großmacht statt.

Angezählter Coach

Im Zentrum der öffentlichen Kritik steht der Bundestrainer: Martin Heuberger hatte erst vor zwei Jahren das schwere Erbe von Langzeit- und Meister-Trainer Heiner Brand angetreten. Nun könnte sein ehemaliger Assistent Heuberger bereits im Sommer seinen Job verlieren.

Rückendeckung bekommt er von den Spielern: „Wir brauchen jetzt nicht über den Trainer zu reden“, sagt Tormann Silvio Heinevetter. „Es war Unvermögen. Wir haben keine Alternativen, keine Optionen, denn die guten jungen Spieler versauern in der Regionalliga oder in der zweiten Liga.“

Die Lage wirkt grotesk. Die Deutsche Bundesliga ist die alles überstrahlende Spielklasse im Welt-Handball. Zum zweiten Mal in Folge stellt Deutschland mit dem Hamburger SV den Champions-League-Sieger. Mit Vorjahressieger THW Kiel schaffte auch ein zweiter deutscher Klub den Sprung ins Final Four. Doch die Top-Klubs der Bundesliga setzen auf Legionäre. Heuberger forderte einmal mehr eine freiwillige Selbstbeschränkung der Vereine. „Wir haben keine Überflieger in der Mannschaft, keine internationalen Stars“, klagt Heuberger.

Ob sein Flehen erhört wird, ist ungewiss. Erst am Sonntag hat Champions-League-Sieger Hamburg eine Neuverpflichtung bekannt gegeben: Davor Dominikovic, 35, aus Kroatien.

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