Wie schwer haben es Schiedsrichter wirklich?

Heikel: Bei „fahrlässigen Zweikämpfen“ reicht ein Pfiff. Wenn’s „rücksichtslos“ wird, sollte der Referee die Gelbe Karte zücken.
Wie schwer haben es Schiedsrichter wirklich? Der KURIER war bei einer Regelschulung dabei.

Foul? Kein Foul? Gelb? Rot? Oder doch keine Karte? Schiedsrichter-Entscheidungen sind ein garantierter Aufreger. Auch in der vergangenen Herbstsaison gab es wieder offensichtliche Fehlentscheidungen.

"Fehler wird es geben, solange es Schiedsrichter gibt", sagt Fritz Stuchlik, Österreichs Referee-Manager. Immer öfter wird aber auch nach der x-ten Superzeitlupe diskutiert. Was stimmt wirklich? Und was hört sich nur am Stammtisch gut an?

Die UEFA hat aus den vergangenen Champions-League-Saisonen 20 knifflige Szenen ausgewählt, je zwei Zeitlupen dazugeschnitten und mit der richtigen Bewertung als Leitfaden für Europas Schiedsrichter vorgegeben. Stuchlik und Regelreferent Gerhard Gerstenmayer gehen damit auf Interessierte zu. In Kooperation mit der Bundesliga wurden Journalisten zur "Regelschulung" eingeladen. Der KURIER ließ sich das nicht entgehen.

Stuchlik wendet sich bewusst an die Journalisten: "Ältere Jahrgänge dieser Meinungsbildner haben oft ein Regelwissen, das aus dem letzten Jahrhundert stammt – und dementsprechend nicht mehr im Regelbuch zu finden ist."

Auch mit den Spielern wird der Kontakt gesucht. Bei den jährlichen Schulungen der Bundesliga-Kicker fiel Gerstenmayer auf, "dass die Spieler schon viel mehr über die Regeln wissen als früher".

In Veränderung

Das ominöse Regelbuch umfasst 17 Spielregeln, ab Regel Nummer 11 (Abseits) wird’s spannend. Wer heute beim Abseits noch von "aktiv" und "passiv" spricht, beweist, dass er/sie nicht mehr auf dem letzten Stand ist.

Dabei wäre der Download des gesamten Textes auf der ÖFB-Homepage nur einige Klicks entfernt.

Genug Theorie, los geht’s mit der Praxis. Die ersten sechs der 20 Videoclips behandeln besonders heikle Abseitsentscheidungen. Ich starte mit weißer Weste – war Stuchliks Ankündigung ("Von Ihnen wird sicher keiner 20 Richtige haben") vielleicht falsch?

Weiter geht’s mit sieben Clips zum Foulspiel und der nötigen Bestrafung. Stuchliks Leitfaden: "Das Regelwerk soll die Spieler schützen, nicht den Foulspielern Erklärungen liefern."

Bei der ersten Szene wird mit einem riskanten Tackling der Ball gespielt, danach der Gegenspieler weggeräumt. Ich entscheide auf Foulspiel, aber keine Karte. Stuchlik bessert aus: "Das wird nur in der Premier League so ausgelegt. Grundsätzlich gilt: Wenn ein Zweikampf nicht nur fahrlässig, sondern auch rücksichtslos bestritten wird, muss es eine Verwarnung geben." Also Gelb – und halbrichtig.

Bei internationalen Auftritten wird übrigens von den englischen Referees doch nach UEFA-Vorgaben gepfiffen. "Die können sich so schnell umstellen."

Nach 13 Clips halte ich bei elf Volltreffern und zwei richtigen Pfiffen, aber "vergessenen" Verwarnungen.

Mörderisches Hands

"Jetzt wird’s mörderisch! Es geht um das Handspiel", kündigt Stuchlik an. Den Kalauer "Da wissen nicht einmal die Schiris, was sie pfeifen sollen", erspare ich mir. Eine Hilfestellung gibt es noch: Den Faktor "Absicht" gibt es in den Regeln nur einmal – und zwar beim Handspiel.

Alte Hilfestellungen wie "Hand zum Ball oder umgekehrt" sind längst passé.

Aber was ist schon Absicht? War die Handbewegung wirklich "natürlich"? Eigentlich weiß das nur der betroffene Spieler. Ich offensichtlich nicht. Von vier Entscheidungen sind zwei falsch, einmal vergesse ich beim richtigen Elfmeterpfiff erneut auf die Gelbe Karte.

Es kann nur besser werden – und zwar bei den Simulationen, im Volksmund "Schwalben" genannt. "Die sind für den Schiedsrichter im realen Tempo besonders oft nicht klar zu sehen. Da geht’s auch um das Bauchgefühl", meint Gerstenmayer.

Gut so, als früherer Amateur-Stürmer sollte das Gespür dafür, warum sich einer hinlegt, noch da sein. Tatsächlich erkenne ich in den letzten Videoclips, ob simuliert wird. Nur mein Mitleid mit Mario Balotelli (immerhin hatte er vor seinem Sturz einen leichten Stoß in den Magen bekommen) ist fehl am Platz. "Der fällt nur, weil er gerade im Strafraum ist. Weiterspielen lassen ist also zu wenig. Es muss Gelb geben, weil der Spieler offensichtlich auf einen Strafstoß aus ist", erklärt Stuchlik.

Das Ergebnis

Endergebnis: 14 Richtige; vier "vergessene" Verwarnungen; zwei klare Fehlentscheidungen.

Stuchliks Einschätzung: "Alles über zwölf Richtige ist gut. 20 Volltreffer hätte bei diesen Videos nicht einmal ein aktiver Schiedsrichter."

Nicht zu vergessen: Wir Journalisten hatten zwei Wiederholungen. Den bestmöglichen Blickwinkel. Keinen Stress. Das Wissen, dass gleich eine heikle Situation zu beachten sein wird.

Schiedsrichter haben – vor allem keine Zeit.

Stuchlik: "Wenn Sie heute etwas gelernt haben, ist es gut. Noch schöner wäre es, wenn sich Ihre Sichtweise auf den Job der Schiedsrichter verändert hätte."

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