Warum Belgiens Fußball so erfolgreich ist

Fan-Lieblinge: Belgiens erfolgreiches Fußball-Nationalteam gilt als Symbol der Einheit einer gespaltenen Nation und zieht die Massen an.
Standard Lüttich und Genk haben an Belgiens Fußballwunder mitgebastelt – und mitverdient.

Es kommt selten vor und ist deshalb umso interessanter: ein doppelter Ländervergleich im Europacup. An den nächsten beiden Europa-League-Spieltagen treffen je zwei österreichische und belgische Klubs aufeinander.

Zunächst empfängt heute Belgiens Vierter Genk Österreichs Vierten Rapid (19 Uhr, live ORFeins, Sky Austria). Danach kommt es in der Red-Bull-Arena zum Duell der Leader Salzburg und Standard Lüttich (21.05, live ORFeins, Sky Austria).

Warum Belgiens Fußball so erfolgreich ist
Dynamo Kiev's Benoit Tremoulinas (R) fights for the ball with Genk's Jelle Vossen during their Europa League soccer match at the Olympic stadium in Kiev September 19, 2013. REUTERS/Gleb Garanich (UKRAINE - Tags: SPORT SOCCER)
Belgiens Fußball sorgt derzeit für Schlagzeilen. Das Nationalteam qualifizierte sich unbesiegt für die WM 2014 und wird als ein Geheimfavorit gehandelt. Der Aufstieg war rasant: 2010 waren die Belgier 62. in der FIFA-Weltrangliste, 13 Plätze hinter Österreich. Mittlerweile ist Belgien auf Rang fünf, 48 Plätze vor Österreich.

Fragt man Experten nach den Gründen dafür, wird als einer die Akademie von Standard Lüttich genannt, in der Teamspieler wie Fellaini, Witsel, Miralles oder Pocognoli ausgebildet wurden, die allerdings wie alle anderen Teamstars nicht mehr in der belgischen Liga spielen.

Salzburgs Gegner hat eine der angesehensten Talenteschmieden Europas. Die Grundsätze klingen vertraut: „Wir haben uns der Eliteförderung verschrieben, um die besten Fußballer des Landes zu entwickeln“, sagt Jean-François de Start, der Technische Leiter des Klubs.

Talenteschuppen

Warum Belgiens Fußball so erfolgreich ist
epa03817293 Standard de Liege's Michy Batshuayi ( L) and Xhanti's Bobbi De Guzman (C) fight for the ball during the UEFA Europa League third qualifying round second leg match between Standard de Liege and Skoda Xanthi, at the Maurice Dufrasne stadium in Liege, Belgium, 08 August 2013. EPA/JULIEN WARNAND
Einen kleinen Unterschied in der Philosophie gibt es vielleicht doch: Standard versteht sich noch mehr als Ausbildungsverein für europäische Topklubs als die österreichischen Vereine. Wohl auch, weil die Nachfrage wesentlich größer ist. Der Grund dafür liegt laut De Start in der geografischen Lage: „Wir sind nahe bei Deutschland und Frankreich. England ist in zwei Stunden erreichbar. Deshalb sind bei uns immer Scouts von allen Topklubs.“

Für Standard ist die Akademie ein gutes Geschäft, 75 Millionen Euro wurden in den letzten fünf Jahren durch Spielerverkäufe eingenommen. Österreichs Zehner-Liga kam in diesem Zeitraum insgesamt nur auf 60 Millionen Euro Einnahmen.

Während sich in Österreich die Transfereinnahmen und -ausgaben seit 2008 mit 60 Millionen die Waage hielten, nahmen die belgischen Klubs 330 Millionen ein und gaben 180 aus. Viel vom überschüssigen Geld wurde in die Infrastruktur investiert. Das kommt wiederum der Nachwuchsförderung und letztendlich dem Nationalteam zugute.

In der belgischen Liga ist generell viel mehr Geld im Umlauf. Die großen Klubs verkaufen ihre besten Spieler in Topligen und kaufen von den kleineren Klubs nach. Ein Beispiel: Steven Defour, der mittlerweile bei Porto spielt, kam als 18-Jähriger um beachtliche 1,5 Millionen Euro zu Standard Lüttich. Profiteur war dessen Stammklub Genk, der auch eine äußerst erfolgreiche Jugendarbeit betreibt. Der Verkauf der Teamspieler Courtois, De Bruyne und Benteke brachte dem Rapid-Gegner fast 25 Millionen Euro.

Millionenangebot

Von den finanziellen Unterschieden machte sich Zoran Barisic am Samstag ein Bild. Am Rande des 4:0-Erfolgs gegen Lierse sprach der Rapid-Trainer mit Genks Sportdirektor über Aufsteiger Kara. Der 23-jährige Innenverteidiger aus dem Senegal, der 2012 auch in Salzburg ein Thema war, wurde im Jänner um 1,6 Millionen aus Norwegen geholt. „Es gibt schon Angebote für ihn um zehn Millionen Euro. Und was sagt Genk dazu? ,Das ist uns zu wenig‘“, erzählt Barisic.

Große Unterschiede gibt es auch in der Spielphilosophie der Ligen. Während in Österreich die Klubs aus den hinteren Tabellenregionen gegen die Spitzenvereine vor allem verteidigen, sah Barisic bei seiner Genk-Studie stets offensiv ausgerichtete Gegner: „Die Kleinen wollen dort immer Fußball spielen, auch wenn sie dadurch im Moment gegen Favoriten noch seltener punkten. In Österreich wäre für so einen Weg kaum Geduld da.“

Ähnlich erscheint, dass das belgische Team wie das österreichische eines von Legionären ist. Aber die Belgier haben nicht nur einen Alaba: „Jede Position bei uns ist doppelt besetzt mit Spielern, die bei Europas Topklubs unter Vertrag stehen. Das war noch nie so“, sagt Ex-Teamkeeper Jean-Marie Pfaff.

Konfliktlöser

Talentierte Fußballer hatten die Belgier schon immer. Doch jahrelang bremste der Konflikt zwischen Flamen und Wallonen. In der heutigen Generation ist das kein Thema mehr. „Das interessiert uns nicht. Wir sind Freunde, kennen uns, seitdem wir 16 sind“, sagt Teamverteidiger Pocognoli.

Warum Belgiens Fußball so erfolgreich ist
Der Hannover-Legionär ist in Lüttich geboren, aber trotzdem kein Wallone, sondern Italiener. Pocognoli ist eines von vielen Einwandererkindern, die mittlerweile für Belgien Fußball spielen.

Das Team ist längst zu einem Symbol der Einheit des sonst gespaltenen Landes geworden. Ministerpräsident Elio de Rupo bezeichnete die Mannschaft von Teamchef Wilmots gar als „großen Quell des Stolzes“. Auch die Fans lieben mittlerweile ihr Team. Der Sprachenstreit wird elegant umgangen: Mit „Belgium“, also auf Englisch, wird das Team angefeuert.

Auf Teamebene hat Belgien Österreich nicht nur überholt, sondern abgehängt. Wie der Vergleich auf Klubebene ausfällt, werden die nächsten beiden Spieltage der Europa League zeigen.

In Belgien empfand man das Ausscheiden in der Vorrunde bei der Heim-EM 2000 als desaströs. Der Fußball-Verband legte sich ein neues Konzept zurecht, das auf die konsequente Jugendförderung abzielte – wie es EM-Mitveranstalter Niederlande schon lange zuvor hatte. Österreich erhielt 2002 den EM-Zuschlag mit der Schweiz, wo es schon seit 1995 ein Nachwuchskonzept gibt. Das österreichische Projekt „Challenge 08“ wurde 2003 ins Leben gerufen. „Spätestens 2008 muss Österreich an die internationale Spitze zurückgekehrt sein“, schrieb der damalige ÖFB-Präsident Friedrich Stickler. Österreich spielte in der Vorrunde 0:1 gegen Kroatien und Deutschland, 1:1 gegen Polen. Desaster? Nicht doch. War ja fast heldenhaft.

Schon 2003 lobte Stickler die Erfolge der Nachwuchsteams. Zehn Jahre danach freut man sich, an einer U-17-WM teilzunehmen, für die sich Deutschland und Spanien nicht qualifizieren konnten.

2003 hieß der „Vorsitzende des Lenkungsteams Challenge 08“ Leo Windtner. Der könnte sich daher fragen: Warum haben die Konzepte in der Schweiz und Belgien gefruchtet? Warum schaffen es dort so viele Nachwuchs-Teamspieler in die Weltspitze und bei uns nicht?

Doch Windtner, mittlerweile ÖFB-Präsident, plagen derzeit andere Fragen: Hätte ich Marcel Kollers Konzept vertrauen und den Teamchefvertrag früher verlängern können? Und wer könnte wie der Schweizer auf konsequentem Weg dem Team eine Linie geben?

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