Scharner-Kolumne: Die EM war der Anfang vom Ende

Mai 2012: Teamchef Marcel Koller mit Paul Scharner
Rückblick auf die Ära Koller mit Höhen, Tiefen und dem selbst verschuldeten Problem Alaba.

Die geläufigste Begründung für das Scheitern in der WM-Qualifikation lautet "Wir hatten zu viel Pech." Mit dieser Analyse wäre auch die EM-Qualifikation davor schnell erklärt: "Nur Glück". So wie jetzt "dieses eine Tor nicht fallen wollte", haben wir damals sechs von neun Siegen mit nur einem Tor Unterschied – also "glücklich" – geschafft.

Fest steht, dass zwei WM-Qualifikationen mit Koller gescheitert sind. So gesehen hatte ich Recht, als ich 2012 bei meinem Bruch mit dem Teamchef angekündigt habe, dass es mit Koller "null Chancen" auf eine WM gibt.

Andererseits konnte Österreich unter Koller erstmals die sportliche EM-Qualifikation verbuchen – eine sehr respektable Leistung! Und genau diese EM war auch der Knackpunkt der nun zu Ende gehenden Ära Koller. Das Projekt war nicht für mehr oder langfristiger ausgelegt.

Im Erfolg haben sich zu viele ausgeruht. Nach den schlechten Tests sollte im Ernstfall der berühmte Schalter wieder umgelegt werden. Dazu ist es nie gekommen.

Nichts "Großes"

Eine Äußerung von Marko Arnautovic verrät den Hintergrund: "Wir Spieler stehen zu Koller, wir haben gemeinsam Großes erreicht."

Ja, wenn die EM-Quali schon etwas "Großes" ist, wie lautet dann das richtige Wort, um die beständigen Erfolge von Wales oder Island zu erklären? Diese kleinen Länder haben weniger Auswahl an Spielern, haben sich für die EURO qualifiziert, in Frankreich für Furore gesorgt und sind jetzt wieder auf dem Weg zur Endrunde nach Russland. Also: Die Teilnahme 2016 war ein Erfolg – aber nichts Großes!

Ebenso machen es sich viele mit der Ausrede "Zu viele Spieler waren verletzt oder nicht in Form" zu einfach. Das passiert in allen Nationalteams immer wieder – hier ist der Teamchef gefordert. Es sind nicht immer nur die Spieler schuld und im Umkehrschluss nicht immer die Trainer.

Ein Problem wird es erst, wenn – so wie unter Koller – zu viele Spieler auf einer ungewohnten Position ranmüssen. Das tragische Beispiel ist für mich Kevin Wimmer: Der reine Innenverteidiger hilft links hinten aus, hat wie erwartet Probleme und wird vom Teamchef wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen. Unglaublich, dass er sogar aus dem Kader geflogen ist!

(Hinteregger spielt den linken Verteidiger jetzt zwar tadellos, aber diese "Lösung" wurde zu spät entdeckt.)

Den Hintergrund dieses Problems habe ich im März erwähnt: David Alaba weigert sich, im Team links hinten zu spielen. Damals hat mich Koller attackiert, um abzulenken. Bereits nach dem Rücktritt von Christian Fuchs war dieses Problem absehbar. Als auch noch die Leistungen von Alaba im Zentrum nachgelassen haben, hätte Koller intern Klartext reden müssen: "David, entweder du spielst hinten oder ich hole dich nicht mehr."

Bei den Bayern spielt Alaba ja auch öfters Innenverteidiger ohne zu murren. Auf einer Position, wo er offensiv noch weniger "darf" als links hinten. Da ich bekanntlich auch einmal dachte, ich wäre gescheiter als alle anderen, weiß ich, dass Spielern oftmals der Weitblick fehlt, um das Beste für sie selbst und das Team zu erkennen. Was hätten Alaba und Arnautovic auf der linken Seite alles gemeinsam anstellen können?

Hier muss der Nachfolger von Koller ansetzen und Alaba klar erläutern, wo ihn Österreich am meisten braucht.

Noch eine Parallele erkenne ich zu den aktuellen Problemen mit David: Er hat sich im Team wieder am Knöchel verletzt. Das ist mir als Junger in besonders bewegten Zeiten passiert, das kann psychosomatische Gründe haben, also an der fehlenden Standfestigkeit liegen.

Drängende Fragen

Neben der "Einserfrage" Alaba sehe ich noch folgende, drängende Fragen:

Wann werden für einen Neuaufbau verdiente Spieler verabschiedet? Als Beispiel: Marc Janko hat uns zur EM geschossen, jetzt aber seinen Zenit überschritten. Weiters ist die Tormannfrage zu lösen. Das 0:1 gegen Wales war nicht unhaltbar.

Außerdem fehlt es an Flexibilität. Mehr als der "Plan A" von 2011 bis 2016 hat nie funktioniert. Mit nur einem Plan kommt aber lediglich Barcelona durch – weil sie die allerbesten Spieler stellen. Österreich benötigt aber mehrere eingeübte Pläne.

Und wer soll das umsetzen? Der im KURIER genannte Matthias Sammer würde mir sehr gut gefallen. Erfahrung, Strategie, Auftreten – das alles spricht für den früheren Sportchef der Bayern.

Bei Kandidaten aus Österreich stellt sich hingegen immer die Frage: Wie stark sind sie im System verstrickt? Sein Blick von außen hat Koller am Anfang geholfen. Aber dieses Plus ist Vergangenheit. Das zeigt sich auch an der Reaktion von Herbert Prohaska. Am Anfang war der Ex-Teamchef und ORF-Experte Kollers schärfster Kritiker. Jetzt, nach zwei Jahren Misserfolg, wünscht er sich dessen Vertragsverlängerung. Aber vielleicht liegt das auch am Spaß beim gemeinsamen Altherren-Kickerl.

paul.scharner@kurier.at

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