Rios vergessene Kinder
Weihnachten im größten katholischen Land der Welt. Weihnachten im Gefängnis. Wie jeden Dienstag besucht Roberto dos Passos auch heute eingesperrte Kinder in Rio de Janeiro. Der Brasilianer ist Gründungsmitglied der kirchlichen NGO AMAR, die sich um das Los der Ärmsten kümmert und die auch von der österreichischen Dreikönigsaktion unterstützt wird. „Das Kinderschutzgesetz sieht vor, dass Kinder gut behandelt werden müssen, dass sie ein Recht auf gute Nahrung haben, dass ihnen ein Schulbesuch ermöglicht wird“, sagt Dos Passos. „Aber das ist Theorie, die Regierung macht das Gegenteil.“
Säuberungen
Die Straßenkinder von Rio de Janeiro verschwinden. Bis vor wenigen Monaten wurden Touristen auf der weltberühmten Copacabana von Straßenkindern belästigt. Doch das ist vorbei. Wer Rio knapp vor der Fußball-WM 2014 und vor Olympia 2016 besucht, dem fällt auf, dass die Kinder fort sind. Durch brutale Säuberungen, wie Kritiker meinen.
Einer davon ist der Belgier Jan Daniels, der seit Anfang der 1990er-Jahre als Entwicklungshelfer in Brasilien lebt und ebenfalls Mitarbeiter bei AMAR ist. „Viele Touristen sagen: Gratulation, es gibt keine Straßenkinder mehr“, sagt Daniels, um gleich darauf emotional zu werden: „Sie sind aber nur weggesperrt worden. In Gefängnisse.“
Vermisste
Zumal das Problem mit dem Einsperren auch nur die halbe Wahrheit ist, wie Daniels befürchtet: „In den vergangenen zwei Dekaden sind mehr als 90.000 Menschen verschwunden. Das sind fast 15 Menschen pro Tag. Die Hälfte davon sind Kinder. Und wir fragen uns, was mit ihnen passiert ist? Wo sind sie hin? Bringt sie jemand um? Und wo sind ihre Leichen?“
Noch immer gebe es viel Gewalt in den Favelas, sexuellen Missbrauch, Alkoholprobleme. Drogenbanden würden auch vor Hinrichtungen nicht zurückschrecken. Doch zumindest bezüglich der betroffenen Kinder gebe es „alternative Lösungsansätze“. Wie AMAR mit dessen Slogan: „Ganzheitliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen für ein volles Bürgerrecht.“
Doch Daniels will die Kinder nicht unbedingt aus den Favelas herausholen. „Es soll auch ein Reintegrationsprozess gestartet werden. Wir bieten Start-up-Projekte an. Für Jugendliche, die arbeiten wollen.“ 15-oder 16-Jährige bekommen Mikrokredite, um ihr eigenes Business zu starten. Einen Friseur-Laden oder einen Shop.
Falsche Versprechen
Solche Projekte machen staatliche Versäumnisse wett, meint Daniels: „In Brasilien funktioniert das öffentliche Bildungs- und Gesundheitswesen nicht.“ Dass Fußball-WM und Olympia daran etwas ändern werden, glaubt der Belgier nicht. Ärmere Viertel würden nicht profitieren. Im Gegenteil. Das einzige Stadion, in dessen Nähe Favelas waren, war das Maracanã. Aber da wurden die Menschen von der Polizei abgesiedelt. Man hat ihnen versprochen, dass sie soziale Unterkünfte kriegen. Die oft ohne Genehmigung errichteten Häuser wurden abgerissen. „Aber kein einziger hat ein Ersatzquartier bekommen.“ Die Vertriebenen leben jetzt auf der Straße. Dort, wo sie keiner haben will.
In Brasilien startet am 12. Juni 2014 die 20. WM-Endrunde. Bis 13. Juli wird in den Städten Belo Horizonte, Brasilia, Cuiabá, Curitiba, Fortaleza, Natal, Recife, Rio de Janeiro, Salvador da Bahia, São Paulo, Porto Alegre und Manaus gespielt.
Gruppe A: Brasilien, Kroatien, Mexiko, Kamerun.
Gruppe B: Spanien (TV), Niederlande, Chile, Australien.
Gruppe C: Kolumbien, Griechenland, Elfenbeinküste, Japan.
Gruppe D: Uruguay, Costa Rica, England, Italien.
Gruppe E: Schweiz, Ecuador, Frankreich, Honduras.
Gruppe F: Argentinien, Nigeria, Bosnien-Herzegowina, Iran.
Gruppe G: Deutschland, Portugal, Ghana, USA.
Gruppe H: Belgien, Algerien, Russland, Südkorea.
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