Neue Regeln, neuer Boss: FIFA entgeht dem Kollaps

Gianni Infantino (li.) ist der neue Boss.
Unter dem Druck der Justiz und der Sponsoren beschloss der Weltverband ein umfassendes Reformpaket.

Seit Freitagabend ist die 17-jährige Herrschaft von Joseph S. Blatter im Weltfußball auch offiziell zu Ende. Sein Schweizer Landsmann Gianni Infantino wurde im zweiten Wahlgang zum neuen FIFA-Präsidenten gewählt.

Doch in Zürich ging es nicht nur um das Präsidentenamt, der mächtigste Sportverband der Welt verordnete sich auch neue Spielregeln. Zu schamlos wurde das System in der Vergangenheit ausgenützt, zu unverschämt bedienten sich hochrangige Funktionäre.

Dem mächtigen Männerbund Beine gemacht hat ausgerechnet eine Frau: US-Justizministerin Loretta Lynch hat mit ihren gnadenlosen Ermittlungen den Ball Richtung Reformen erst richtig ins Rollen gebracht.

Imageproblem

Die Verhaftungswelle, die viele hochrangige Funktionäre erfasste und der immer größer werdende Druck seitens der Sponsoren haben den FIFA-Mitgliedern gar keine andere Wahl mehr gelassen, als den Verband zu erneuern. Der alarmierende Finanzreport, mit dem der FIFA-Kongress am Freitag eröffnet wurde, dürfte den Funktionären dann den Rest gegeben und sie damit zur Absegnung der Neuerungen bewogen haben.

Denn erstmals seit 20 Jahren konnte der Weltverband keine Gewinne verbuchen, vielmehr schlugen sich all die Skandale auch negativ in der Bilanz nieder. Das verdeutlicht auch die horrende Summe der Anwaltskosten, die sich auf zehn Millionen Dollar belaufen – pro Monat.

Allein 2015 betrug das Defizit 108 Millionen US-Dollar, bis 2018 rechnet FIFA-Finanzdirektor Markus Kattner sogar mit Verlusten von mehr als einer halben Milliarde. Wären die Verbände jetzt nicht zu umfassenden Reformen bereit gewesen, hätte der FIFA sogar das völlige Aus gedroht, zumal einige Geldgeber auch schon über einen Rückzug nachdachten.

Auch deshalb fiel das Votum so deutlich aus. 179 der 207 stimmberechtigten Verbände sprachen sich für eine Neuausrichtung und Neuorganisation der FIFA aus. "Die FIFA beginnt ihre Reise mit dem Ziel, Vertrauen wiederherzustellen", sagte Interimspräsident Issa Hayatou.

Die markanten Eckpfeiler dieses Reformpakets machen deutlich, dass diese Abstimmung tatsächlich die wichtigste Botschaft war bei diesem Kongress in Zürich. Bedeutender und zukunftsweisender auch als die Wahl von Gianni Infantino zum neuen Präsidenten, der künftig im Weltverband weit weniger Kompetenzen haben wird als noch sein Vorgänger, der ballmächtige Joseph S.Blatter.

Der Präsident

Die Zeiten der One-Man-Shows und Alleingänge sind vorbei. Der Handlungsspielraum des Präsidenten wird eingeschränkt. Gianni Infantino ist nicht mehr der Strippenzieher wie viele seine Vorgänger, sondern er muss in erster Linie repräsentativen Verpflichtungen nachkommen. Passend dazu wurde die Amtszeit verkürzt. Spätestens nach drei Perioden (12 Jahre) muss Infantino das Spielfeld räumen. Er hat einen Sitz und eine Stimme im neuen FIFA-Council und ein Vorschlagsrecht bei der Ernennung des Generalsekretärs.

Der Generalsekretär

Im operativen Alltagsgeschäft spielt der Generalsekretär in Zukunft die zentrale Rolle. Allerdings unter strenger Aufsicht des FIFA-Councils.

Das Council

Das neue Entscheidungsgremium ersetzt das Exekutivkomitee und wird von 25 auf 37 Mitglieder aufgestockt. Die FIFA wird weiblicher – jeder der sechs Kontinentalverbände muss eine Frau in das Council entsenden. Auch da ist die Amtszeit maximal zwölf Jahre.

Die Kontrollorgane

Die wichtigsten Kommissionen (Disziplinar, Ethik) werden künftig nur noch extern besetzt, um Unabhängigkeit und Objektivität zu gewährleisten.

Die Grundwerte

Die Kontinentalverbände sind verpflichtet, demokratische Grundregeln in die Statuten aufzunehmen und unabhängige juristische Institutionen installieren. Dazu sollen sie sich zur Wahrung der Menschenrechte bekennen.

Ein Bekenntnis zu demokratischen Regeln und den Menschenrechten also? Allein das macht deutlich, wie gestrig dieser Fußballweltverband über all die Jahre doch eigentlich war.

Wie hoch denn die Quote für eine Wette sei, die eine Verhaftung eines hochrangigen Funktionärs wohl brächte. Ein Schelm, der zumindest geschäftstüchtig denkt und wissen wollte, ob nicht schon wieder einer der honorigen Herren auf dem Weg vom Züricher Hotel zum FIFA-Kongress abhanden gekommen sei.

Die medienträchtige Verhaftung, zuletzt fast Fixpunkt im Veranstaltungsprogramm des Weltfußballs, entfiel dieses Mal. Schade irgendwie, denn das Image, ein korrupter Haufen zu sein, hat die FIFA in der Vergangenheit ohnehin zur Genüge gepflegt.

Dieses Mal ging es um die Existenz. Das Weiterbestehen einer Institution, die von der US-Justiz in den Erklärungsnotstand gedrängt wurde. Mit Härte, ohne Kompromiss, bei Verweigerung des erkennbaren Reformwillens zur endgültigen Zerschlagung bereit. Egal, ob Amerikaner vom weltweiten Lieblingsspiel Ahnung haben oder nicht. 179 von 207 Verbänden erkannten den Ernst der Lage und stimmten unter anderem für die Beschneidung der Befugnisse des künftigen FIFA-Präsidenten. Eine im Jahr 2016 erzwungene Reform, die nur zeigt, wie sich das von allmächtiger Figur geleitete Konstrukt gegen alle Neuerungen sträubte. Ob jetzt eine Verbesserung eintritt, ist dennoch fraglich. Zu viele Verbliebene sind fett und reich geworden im alten System. Behäbig wie der gestrige Wahlvorgang. Einsichten? Blatter, der abgesetzte Chef, beharrt auf seiner Präsidentschaft auf Lebenszeit, das Nachrichtenmagazin Weltwoche kürte ihn gar zum Schweizer des Jahres.

Die Vorgänge von Zürich könnten zumindest Warnung sein für die Macher, die den publikumswirksamen sportlichen Wettkampf zum Wettbewerb mafioser Ideen gemacht haben. Eine Fußball-WM in Katar, Schmiergelder bei Vergaben der Großereignisse bis hin zur gekauften Dopingprobe ..., die Liste der gewinnbringenden Grauslichkeiten ist lang. Vielleicht ein Weckruf für das Publikum, das den Schmarotzern beim Versuch, den Sport zu ruinieren, ab jetzt wohl schneller auf die Schliche kommt. Immerhin.

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