Profi-Vertrag? Ein junger Flüchtling spielt groß auf

Bakery Jatta
Der HSV will einen Burschen aus Gambia, der durch die Wüste ging und noch nie in einem Verein gespielt hat.

Die Geschichte von Bakery Jatta ist drauf und dran, das Fußballmärchen des Jahres 2016 zu werden.

Ob mit gutem oder bösem Ende, wird sich zeigen.

Von vorne: Es war einmal ...

... ein junger Mann, der durch die Wüste und übers Meer geflohen ist, der nie in einem Verein gespielt hat, noch keine 18 Jahre alt ist. Und nun bald Fußballprofi in einer der besten Fußball-Ligen der Welt werden soll.

Bakery Jatta, 17 Jahre alt. Heimatland: Gambia, ein kleiner, armer, islamischer Staat in Westafrika. Regiert wird das Land von Diktator Yahya Jammeh – mit eiserner Hand. Jammeh, der den Staat laut eigener Aussage „eine Milliarde Jahre“ lang anführen will (und das schon über 20 Jahre lang tut), ist ausgeprägter Schwulenhasser, behauptet, Aids heilen zu können und ein Mittel gegen weibliche Unfruchtbarkeit entwickelt zu haben.

Regierungskritische Meinungen werden unterdrückt, Journalisten verfolgt. Rund 60 Prozent der Bevölkerung seines kleinen Staates leben in Armut. Von allen Westafrikanern, die den Weg nach Europa auf sich nehmen, stammt der Großteil aus Gambia.

So auch Bakery Jatta, der Deutschland im Sommer vergangenen Jahres laut Mär nur mit einem Plastiksackerl oder einer Tasche in der Hand erreichte – alleine, als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling. Die Süddeutsche Zeitung traf ihn in der „Akademie Lothar Kannenberg“ in der kleinen niedersächsischen Gemeinde Bothel. Kannenberg kümmert sich um asylsuchende Halbwüchsige. Dieser Einrichtung wurde Jatta zugeteilt, nach einer rund 6000 Kilometer weiten, lebensgefährlichen Flucht – durch die Sahara und übers Mittelmeer. Sprechen will der 17-Jährige über seine mutmaßliche Odyssee noch nicht.

Vereinslos

Im Juli oder August 2015 kam er über eine Bremer Erstaufnahme zur Akademie Kannenberg, wo großer Wert auf Sporterziehung gelegt wird. Dementsprechend schnell fiel sein Talent auf. In einem richtigen Klub habe er nie Fußball gespielt, lediglich bei einer Art Fußballschule und daheim vor dem Haus. Aber auch sein Großvater sei schon ein guter Kicker gewesen.

In der Akademie Kannenberg durfte er Fußball trainieren. Und wurde in jenen körperlichen Zustand gebracht, den es braucht, um bei einem Profiklub vorstellig werden zu können. Dann kontaktierte man den Bremer Spielerberater Efe Aktas. Der brachte ihn erst zu Werder Bremen, wo er bei der U 23 ein Probetraining machte. Die Bremer boten dem jungen Mann einen Vorvertrag an. Doch das Nachwuchsteam war Bakery Jatta zu wenig, so nutzte Aktas seine Kontakte zu HSV-Präsident Dietmar Beiersdorfer. In Hamburg durfte er bei den Profis vorspielen. Auf Schnee, den er nie zuvor gesehen hatte. Bei minus 7 Grad, was er nie zuvor erlebt hatte. Und doch konnte der Westafrikaner überzeugen, bereitete beim Trainingsmatch einen Treffer von Sven Schipplock vor.

"Wenn er tatsächlich noch nie im Verein oder in einer Mannschaft trainiert hat, dann wäre das außergewöhnlich. Er hat wirklich viele Sachen sehr gut gemacht. Er zeigt Spiel-Intelligenz und besitzt die Grund-Voraussetzung für einen Profi“, lobte HSV-Trainer Bruno Labbadia den jungen Gastspieler. Aber: „Es geht auch bei ihm streng nach Leistung. Einen Flüchtlingsbonus wird es nicht geben.“

Neymar sei sein großes Idol, erzählte Jatta der Süddeutschen, und Mario Götze mochte er am liebsten, als dieser noch für Dortmund spielte. Den deutschen Fußball kennt er nur aus dem Fernsehen. Vom HSV ist ihm lediglich Ivica Olic ein Begriff – aus dessen Zeit bei den Bayern.

Gerne hätten die Hamburger das Juwel auch ins Trainingslager mitgenommen. Der Status als Flüchtling erlaubt es Jatta aber nicht, Deutschland zu verlassen.

Den Gesundheitscheck hat der 17 Jahre alte Gambier bereits absolviert. „Wenn wir nicht interessiert wären, würden wir so einen Check sicherlich nicht machen“, sagte Profifußball-Direktor Peter Knäbel dem Hamburger Abendblatt.

Zwischenzeitlich waren auch Zweifel an seiner Altersangabe aufgekommen, da seine biologische Entwicklung bereits abgeschlossen ist. Das Hamburger Abendblatt berichtete, Jatta könnte auch schon 20 bis 21 Jahre alt sein. Ein Beweis liege nach dem Medizincheck aber nicht vor. Für Knäbel gibt es „keinerlei Anzeichen, dass wir am Alter von Jatta, das er angegeben hat, Zweifel haben müssten.“ Er sei schlichtweg mit 17 schon ausgewachsen.

Ob er tatsächlich erst 17 ist, spielt auch keine unbedeutende Rolle. Zum einen, weil minderjährige Flüchtlinge in Deutschland einen besonderen rechtlichen Schutz genießen. Zum anderen, weil ein Minderjähriger nicht international transferiert werden darf. Und das gilt laut Paragraph 19 der FIFA-Transferbestimmungen auch, wenn der Spieler vorher noch nie bei einem Klub registriert war.

Juristen am Ball

Der HSV steht in Kontakt mit der Deutschen Fußball Liga und dem Weltverband FIFA und prüft den Fall juristisch. Trotz der - wohl immer noch nicht gänzlich ausgeräumten - Zweifel am Alter wurde Jatta bereits ein Vertragsentwurf zugeschickt. Nach seinen Angaben wird er am 6. Juni volljährig und darf die Arbeitspapiere unterschreiben. Ein Job hätte für ihn jedenfalls eine Aufenthaltsgenehmigung zur Folge.

Nach Auskunft der Hamburger Arbeitsagentur braucht Jatta keine spezielle Arbeitserlaubnis als Berufssportler. „Es bedarf keiner zusätzlichen Prüfung und damit Zustimmung“, sagte Pressesprecher Knut Böhrnsen der Deutschen Presse-Agentur.

Im Fall einer Verpflichtung würde Jatta laut Bild ein Gehalt von 120.000 Euro bekommen, inklusive Prämie könnte die Summe auf jährlich rund 300.000 Euro steigen.

HSV-Trainer Labbadia scheint die Aufgabe jedenfalls zu reizen, aus dem jungen Rohdiamanten einen Fußballprofi zu formen: „Er kann ein Projekt sein.“ Und drückt seine Bewunderung für den 17-Jährigen aus: "Vor seiner Geschichte habe ich großen Respekt. Dass sich ein Mensch traut, so etwas auf sich zu nehmen, ist beeindruckend."

Seit vergangenem Wochenende ist der HSV aus dem Trainingslager zurück und die Geschichte von Bakery Jatta wird weitergeschrieben.

Möglicherweise mit Happy End.

Die ungarische Journalistin Petra Laszlo machte einen 53-jährigen Syrer zu einem der berühmtesten Flüchtlinge der Welt. Am 8. September lief Osama Abdul Mohsen mit seinem siebenjährigen Sohn Said auf dem Arm über ein Feld nahe der Ortschaft Röszke an der ungarisch-serbischen Grenze, da stellte ihm die Kamerafrau eines rechtslastigen Senders das Bein. Die Szene wurde vom RTL-Reporter Stefan Richter gefilmt und ins Internet gestellt. Der britische Sender Channel 4 lud die Szene ebenfalls ins Netz. Sie wurde mittlerweile 30 bis 40 Millionen Mal geklickt, wie Richter schätzt.

Profi-Vertrag? Ein junger Flüchtling spielt groß auf
REFILE -ADDITIONAL INFORMATIONCombination picture (L to R) shows a migrant carrying a child tripping on TV camerawoman Petra Laszlo and falling while trying to escape from a collection point in Roszke village, Hungary, September 8, 2015. Laszlo, a camerawoman for a private television channel in Hungary, was fired late on Tuesday after videos of her kicking and tripping up migrants fleeing police, including a man carrying a child, spread in the media and on the internet. REUTERS/Marko Djurica TPX IMAGES OF THE DAY
Mohsen wusste nicht, dass die Szene gefilmt wurde. Er rappelte sich auf, rannte weiter und machte sich auf den Weg nach Budapest. Der 53-Jährige wollte nach Deutschland, wo bereits sein 18-jähriger Sohn Mohammad angekommen war. Das Video gab der anonymen Masse der Hunderttausenden Flüchtlinge ein Gesicht.

Mohsen wuchs an der irakisch-syrischen Grenze auf, studierte in Aleppo, wurde Sportlehrer und Fußballtrainer, er coachte sogar einen Klub in der Profiliga. Er heiratete, zeugte vier Kinder. Doch dann kam der Bürgerkrieg ins Dörfchen Deir al-Sor. Mit dem Geld seines Bruders flüchtete Mohsen mit seiner Familie im Jahr 2012 aus Syrien. In der Türkei fand Mohsen aber keinen Job, um die Familie zu ernähren, also musste es weiter weg gehen. Die Frau blieb mit den zwei Töchtern in der Türkei. Der älteste Sohn und Mohsen mit dem jüngsten Sohn machten sich auf den Weg nach Europa. Das Video von Röszke änderte Mohsens Leben.

Denn auch Miguel Ángel Galán sah die Szenen. Der Präsident des spanischen Verbandes der Fußballtrainer glaubte darin einen Kollegen zu erkennen. Er rief Mohsen, der inzwischen in Deutschland angekommen war, an – und lud ihn nach Spanien ein. Mohsen bekam einen Job an der Trainerschule, eine kleine Wohnung, Said durfte sogar mit Cristiano Ronaldo vor einem Real-Madrid-Match einlaufen.

Ein Happy End?

Nicht ganz.

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epa04938643 Real Madrid's Portuguese striker Cristiano Ronaldo (back) and Syrian refugee Zaid Abdul (front) before the Spanish Primera Division soccer match between Real Madrid and Granada CF at Santiago Bernabeu stadium in Madrid, Spain, 19 September 2015. Zaid Abdul and his father Osama Abdul Mohsen, who were tripped by a Hungarian journalist as they broke through a police cordon on the border between Serbia and Hungary, were invited by Real Madrid to attend the match. EPA/ALBERTO MARTIN
Die 200, 300 Euro, die ihm im Monat von seinen 2000 Euro Gehalt bleiben, schickt er in die Türkei. Denn dort sind noch seine Frau und die übrigen Kinder. Für den Familiennachzug verlangt das spanische Gesetz Papiere, die nur die syrische Botschaft in Ankara ausstellen kann. Und die weigert sich.

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