Fußball-Rebell Jean-Marc Bosman lebt von Sozialhilfe

Bosman: Weil der RFC Lüttich zu viel Geld wollte, klagte der Profi.
Seit 20 Jahren verhilft das nach ihm benannte Urteil Fußball-Stars zu sehr viel Geld. Er selbst ist verarmt.

Jean-Marc Bosman hat Geschichte geschrieben. Zumindest Fußball-Geschichte. Denn er hat eine Entwicklung mitbestimmt, die er eigentlich gar nicht wollte. Er hat einen Prozess gewonnen.

Und er hat am Ende doch alles verloren.

Jean-Marc Bosman wusste genau, wen er zum Duell herausforderte, als er im Sommer 1990 klagte, weil ihm der RFC Lüttich nach Auslaufen seines Vertrags erst das Gehalt drastisch kürzen und ihn dann nur gegen eine Ablöse in Höhe von umgerechnet 600.000 Euro zum französischen Zweitligisten USL Dünkirchen wechseln lassen wollte.

"Ich weiß, dass sie damals versucht haben, ihn umzustimmen, und ihm eine Menge Geld geboten haben", sagte Theo van Seggelen, der Generalsekretär der Spielergewerkschaft Fifpro, Jahre später. Die Fifpro hält Bosman heute über Wasser. Die Organisation habe erst kürzlich versprochen, 2500 Euro zu überweisen, "ansonsten wäre ich in der Scheiße", sagt der 51-jährige Belgier vor dem 20. Jahrestag des nach ihm benannten Urteilsspruchs des Europäischen Gerichtshofs.

Bosman, der Sozialfall.

Die Vorgeschichte

"Aktenzeichen RS C-415/93" erschütterte den Fußball innerhalb der Europäischen Union in seinen Grundfesten. Der EU-Beitritt Österreichs hat vor 20 Jahren viele Veränderungen mit sich gebracht, eine Angelegenheit war im Jänner 1995 für viele aber noch nicht absehbar. Bosman hatte vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) auf Transfer-Freizügigkeit geklagt und am 15. Dezember 1995 recht bekommen.

Konkret bedeutete dies, dass Profifußballer nach Vertragsende ablösefrei wechseln dürfen. Zudem wurden die Ausländerbeschränkungen für EU-Bürger fallen gelassen. Der heute 51-jährige Bosman sprach damals von einem "historischen Tag", was sich in weiterer Folge auch bewahrheiten sollte.

Freizügigkeit

Die Grundlage des Urteilsspruchs bildete Artikel 48 des EWG-Vertrages, der die Freizügigkeit von Arbeitnehmern in der EU garantiert. Die Freizügigkeit von Personen ist als eine von vier EU-Grundfreiheiten seit den Verträgen von Nizza 2003 durch Artikel 39 EUV (Vertrag über die Europäische Union) geregelt. Später ging diese Bestimmung in Artikel 45 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) auf. Demnach kann jeder EU-Ausländer zu denselben Bedingungen wie ein Inländer seinen Arbeitsplatz frei wählen.

Das Urteil hatte sofortige Wirkung und traf die Vereine meist völlig unvorbereitet, da viele wichtige Spieler nach Vertragsende ablösefrei oder gegen eine nur geringe Ausbildungsentschädigung wechseln konnten. Das Bosman-Urteil sorgte dafür, dass die Kluft zwischen Arm und Reich noch tiefer wurde. Nur noch Vereine aus den finanzstarken Ligen haben heute eine reelle Chance, sich in der europäischen Elite zu etablieren. Auch verschob sich die Macht weg von den Vereinen hin zu den Spielern und deren Managern.

Opfer Ajax

Hart traf das Urteil Ajax Amsterdam, das 1995 in Wien durch ein Tor von Patrick Kluivert die Champions League gewann. Das Team von Trainer Louis van Gaal, das sich fast nur aus Eigenbauspielern zusammensetzte, zerfiel in den folgenden Jahren zusehends; in der Champions League taucht man nur gelegentlich auf, heuer erreichte man diese nach dem Aus gegen Rapid nicht. Ajax und der FC Porto 2004 waren die bisher letzten Vereine aus finanzschwachen Ligen, denen der Champions-League-Triumph glückte.

Auch österreichische Klubs verloren in den Jahren nach dem Urteil viele ihrer wichtigsten Spieler ablösefrei. Bosman sorgte nicht nur für zahlreiche Transfers in die EU, Österreich wurde ein Fußball-Importland (siehe rechts, Anm.). Durch das Bosman-Urteil fühlten sich freilich wiederum Nicht-EU-Ausländer diskriminiert, was schließlich zu einem neuen Verfahren führte.

Der Fall Karpin

Der russische Nationalspieler Waleri Karpin vom spanischen Erstligisten Celta de Vigo klagte zur Winterübertrittszeit 2000/’01 vor einem Madrider Arbeitsgericht auf Gleichstellung mit EU-Fußballern – und bekam recht.

Noch im März 2001 entschieden deshalb die EU-Kommission, der Fußball-Weltverband FIFA und der Europäische Fußball-Verband UEFA, neue Transferregelungen zu vereinbaren. Dieser Beschluss wurde dann im Juni desselben Jahres in die Realität umgesetzt, womit das Bosman-Urteil schließlich weltweit seine Gültigkeit erlangte.

Das Ende

Fußball-Rebell Jean-Marc Bosman lebt von Sozialhilfe
PAR09:FRANCE-SOCCER:PARIS,07OCT96 - Paris St. Germain goalkeeper, Frenchman Bernard Lama (R) gestures as he addresses a news conference following the first annual meeting of the International Association of Professional Footballers (AIFP), October 7. The players union created by Argentinian star Diego Maradonna and Frenchman Eric Cantona, announced it would hold a charity match for former Belgian player Jean-Marc Bosman (L) April 1. gw/Photo by Gareth Watkins REUTERS
Jean-Marc Bosmans Karriere war dagegen 1995 de facto beendet, im Gegensatz zu vielen Fußball-Profis profitierte der Belgier von der EuGH-Entscheidung am wenigsten. Der Rebell war zur Persona non grata geworden.

"Wenn du dich gegen das System auflehnst, wirst du ausgeschlossen. Automatisch. Auf einmal bist du ein Rebell", sagte Bosman. Erst Jahre nach dem Prozessbeginn bekam er 780.000 Euro Entschädigung zugesprochen. Dennoch verarmte der Belgier zusehends, es folgten Alkoholprobleme und als trauriger Höhepunkt 2013 sogar ein Jahr Haft. Bosman hatte 2011 unter Alkoholeinfluss seine Freundin und deren Tochter geschlagen und missachtete 2012 die Bewährungsauflagen.

Ein Blick zurück mit Wehmut? "Ich hätte nicht erwartet, so viel zu verlieren", sagt Jean-Marc Bosman.

Nachsatz: "Aber ich würde alles wieder so machen."

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