Italien: Die Weltmeister von 2006 müssen es richten

Held ohne Ablaufdatum: Weltmeister Gigi Buffon steht noch immer im Tor.
Italien steckt in der Krise.

An einem lauen April-Abend wurde in Mailand das ganze Dilemma des stolzen italienischen Fußballs augenscheinlich. Was an diesem Tag auf dem Rasen des San-Siro-Stadions zu bestaunen war, muss für die Tifosi der Nationalmannschaft genauso ein Schlag ins Gesicht gewesen sein wie für Teamchef Antonio Conte.

Das Match zwischen Inter Mailand und Udinese (3:1) hatte eine historische Note, auf die viele Fußball-Fachleute in Italien nicht sehr stolz sind. Erstmals in der Geschichte stand bei einer Partie der Serie A kein einziger Italiener in der Startelf. "Die Regeln sind falsch", polterte Damiano Tommasi. Der ehemalige Nationalspieler und Star von AS Roma prangert als Chef der italienischen Fußballergewerkschaft die Personalpolitik der Serie-A-Vereine an: "Wir fordern schon lange, dass die Klubs mehr junge, italienische Spieler einsetzen sollen."

Relikte von 2006

Tatsächlich ist aber genau das Gegenteil der Fall. Auf bemerkenswerte 56 Prozent beläuft sich in der Serie A aktuell der Anteil der Legionäre, für den bedauernswerten italienischen Teamchef Conte stellt sich zusehends die Wahl der Qual. Angesichts der Personalmisere und der geringen Auswahl an potenziellen Teamspielern muss er froh sein, dass alte Haudegen wie Torhüter Gianluigi Buffon (38), Andrea Barzagli (35, beide Juventus) oder Daniele de Rossi (32, Roma) noch immer zur Verfügung stehen.

Die drei sind Relikte aus besseren Zeiten – Buffon, Barzagli und De Rossi sind die letzten Weltmeister aus dem Jahr 2006, die heute noch für die Squadra Azzurra auflaufen. Mangels Alternativen auch auflaufen müssen. Für einen Neustart, den Conte bei seinem Antritt 2014 angekündigt hatte, stehen sie freilich nicht.

Sorgen von heute

Der Teamchef ist aber auch wahrlich nicht zu beneiden. Mit dem italienischen Fußball geht’s seit dem WM-Titel 2006 zusehends bergab. Die meisten Stadien des Landes sind veraltet, viele Vereine heillos überschuldet, dazu wird der Calcio immer wieder von Korruptions- und Wettskandalen heimgesucht. Verständlich, dass die Besucherzahlen sinken und die alten Mäzene zusehends den Rückzug antreten. Inter Mailand befindet sich bereits im Besitz eines indonesischen Geschäftsmannes, Silvio Berlusconi ist gerade dabei, den AC Milan an chinesische Investoren zu veräußern.

Alte Tugenden

Bleibt als einziges Flaggschiff des italienischen Vereinsfußballs die unverwüstliche "Alte Dame" Juventus. Der Rekordmeister, der nach einem katastrophalen Saisonstart auch in diesem Jahr wieder den Titel holte, stellt wieder einmal das Gerüst für die aktuelle Nationalmannschaft.

Conte hat den kompletten Abwehrverbund von Juventus in den Kader berufen. Wenn schon Offensivspieler mit Esprit , Ideen und Durchschlagskraft vermisst werden – auf den guten, alten italienischen Catenaccio war noch immer Verlass.

Verblichener Star

Auf den Heilsbringer der vergangenen EM verzichtet Antonio Conte aber freiwillig. Mario Balotelli, beim italienischen EM-Finaleinzug 2012 noch der Superstar, hat eine so katastrophale Saison hinter sich (ein Tor für Milan), dass er im Nationalteam vorerst kein Leiberl mehr hat. Mit dem Exzentriker soll sich dann der nächste Teamchef herumärgern. Denn Conte verlässt nach der EM die Squadra Azzurra und wechselt zum FC Chelsea. Sein Nachfolger steht noch nicht fest. Fix ist, dass der Weltmeister-Coach von 2006 ein Comeback feiert: Marcello Lippi wird Technischer Direktor im Verband.

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