Afghanistan: Bälle, Bomben & Blockaden

Afghanistan: Bälle, Bomben & Blockaden
Ein geschundenes Land versucht über die neu gegründete Liga dem gefährlichen Alltag zu entfliehen.

Elf Tote bei einem Bombenanschlag in Kabul. Ein Opfer und mehrere Verletzte bei einem Selbstmordattentat in der Provinz Kunar – für die Nachrichten-Agenturen fiel dieser 18. September 2012 in die Kategorie Bomben-Business as usual. Ein Tag, wie so viele andere in Afghanistan, begleitet von Tod und Leid.

Für einige Menschen in der Krisenregion am Hindukusch, die seit 30 Jahren in Kriegswirren steckt, wird dieser 18. September allerdings als historisches Datum in die Sportgeschichte des Landes eingehen: Am Dienstag wurden nämlich die ersten Spiele zur Afghan Premier League (AFG) angepfiffen, der ersten offiziellen Fußballliga von Afghanistan. In Kabul kamen immerhin 5000 Fans ins Stadion.

Die Gründerväter der Liga wollen den Menschen in Afghanistan einerseits ein wenig Abwechslung vom tristen, gefährlichen Alltag bieten, andererseits hat der Fußball auch eine Friedens-Mission. "Wir wollen zur nationalen Einigung in Afghanistan beitragen und den Menschen Hoffnung für ein friedvolles Leben geben", erklärt Shafiq Gawhari, der ambitionierte Chef der AFG.

Casting-Show

Afghanistan: Bälle, Bomben & Blockaden

In der neuen Liga ist jede der acht Regionen mit einer Mannschaft vertreten, bei der Suche nach geeigneten Fußballern gingen die Vereine mit der Zeit und bedienten sich eines typisch westlichen Formates: In der beliebten Fernseh-Casting-Show Der grüne Rasen durfte die afghanische Bevölkerung bei der Aufstellung mitreden und pro Team drei Kicker nominieren.

Mehr als 10.000 Männer stellten sich dem Härtetest in den Kategorien Kondition, Spielvermögen und Psyche, das Ergebnis fiel meist anders aus, als bei einer objektiven Analyse eines Fußballtrainers. So manche Talente wurden bei den SMS-Votings ins Abseits gestellt, angeblich wollten finanzstarke und mächtige Familienclans lieber ihre Sprösslinge in der neuen Liga am Ball sehen.

Öffentliche Hinrichtungen

Die Kritik an den Auswahlkriterien hält sich freilich in Grenzen. Allein, dass mittlerweile in Afghanistan wieder straffrei Fußball gespielt werden darf, ist schon ein riesiger Fortschritt Richtung Normalität. Viele Afghanen verbinden mit den Fußballstadien nämlich nicht Freude und Tore, sondern in erster Linie Trauer und Tod.

Unter dem gefürchteten Taliban-Regime, das von 1996 bis 2001 das Land und die Bevölkerung in Geiselhaft genommen hatte, war Fußball lange Zeit strikt verboten, so wie jede andere Form der sportlichen Betätigung und Unterhaltung wie Musik oder Fernsehen. In den alten Fußball-Arenen wie dem Ghazi-Stadion in der Hauptstadt Kabul wurden Hunderte Regimekritiker öffentlich hingerichtet.

Fast 20 Jahre ruhte der Ball auch international, von 1984 bis 2002 absolvierte die afghanische Nationalmannschaft kein einziges Länderspiel. Mittlerweile gibt es – was zu Zeiten des Taliban-Regimes undenkbar gewesen wäre – sogar ein eigenes Damen-Nationalteam.

Der Alltag wird im afghanischen Fußball trotzdem so schnell nicht einkehren. Dafür ist die Lage viel zu instabil, dafür ist auch die Infrastruktur zu schlecht. In der 3-Millionen-Metropole Kabul gibt es gerade einmal drei Fußballplätze.

Die afghanische Nationalmannschaft ist vor den Problemen und Gefahren im Land bereits geflüchtet. Seit nunmehr acht Jahren trägt das Team, das in der FIFA-Weltrangliste auf Platz 165 geführt wird, seine Heimspiele im Ausland aus.

Afghanistan: Ein Land voller Wirren

Afghanistan ist seit 1946 UNO-Mitglied. 1973 wurde die Republik ausgerufen, 1978 kamen Kommunisten an die Macht, die 1979 von Truppen der UdSSR unterstützt wurden.

Es entwickelte sich ein Bürgerkrieg, in dem die islamische Guerilla von den USA unterstützt wurde. 1989 zogen die sowjetische Truppen ab. 1992 wurde der Islamische Staat Afghanistan gegründet.

1996 übernahmen die Taliban die Macht. Nach dem 11. September 2001 kam es zur Intervention einer von der USA geführten Koalition und zum Sturz der Taliban-Regierung.

Das Land ist seit 2004 eine Islamische Republik und verfügt mit Hamid Karzai über  einen gewählten Präsidenten. Die Taliban traten 2003  wieder in Erscheinung. Sie  liefern sich Gefechte mit ausländischen und afghanischen Truppen und verüben Anschläge auf die Zivilbevölkerung.

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