Erik Schinegger: "Oft war mir nur noch zum Heulen"

Auf der Skipiste stand Schinegger bei Damen wie Herren seinen Mann.
Was ein Mann, der Ski-Weltmeisterin wurde, 50 Jahre danach als Opa über sein Gefühlsleben verrät.

Während Olympia erstmals in Südamerika gastiert, kann ein Kärntner nicht vergessen, wie er bei der ersten Ski-WM auf südamerikanischem Boden Abfahrtsweltmeisterin wurde.

Am morgigen 8. August jährt sich zum 50. Mal der sporthistorische Tag, den der Skiverband am liebsten aus den Annalen gestrichen hätte. Erika Schinegger war in Portillo (Chile) allen um die Ohren gefahren. Für Ski-Österreich sollte es 1966 in den Anden die einzige Goldmedaille bleiben. Und selbst die ist längst in Frankreich. Erik überreichte sie, als er keine Erika mehr war, an die zweitplatzierte Marielle Goitschel. Ein Mitgrund, weshalb das Buch "Mein Sieg über mich" (Marco Schenz, 1988) auch in Frankreich zum Bestseller und der Dokumentarfilm "Erik(A)" (von Kurt Mayer 2005) auch außerhalb Österreichs zum Erfolg wurde.

50 Jahre nach der WM in Chile ist über Schineggers Schicksal, das mehr Tragödie als großes Kino war, ein Spielfilm im Entstehen. Produziert vom früheren Austro-Popper Reinhold Bilgeri, über den Schinegger schwärmt, "obwohl mir sein G’sangel net so gefallen hat".

Schinegger bevorzugte stets offene Worte – was man von denen, die sich 1966 mit im Erfolg sonnten, nicht behaupten konnte. Funktionäre, Trainer, Ärzte, Lokalpolitiker, Medien – alle fuhren Slalom mit der Weltmeisterin, nachdem sich nicht mehr hatte vertuschen lassen, dass sie genetisch männlich ist.

In Klinik versteckt

Statt zu Olympia ’68 schickte man Schinegger unter falschem Namen in eine Innsbrucker Klinik. "Net amol besucht durft ’ i werden."

Als Schinegger in der zweiten Augustwoche 1966 während Kärntens ärgster Hochwasserkatastrophe aus Chile heimkehrte, war ihr noch das Blaue vom grauen Himmel versprochen worden. Tausende standen in Gummstiefeln Spalier.

Als Schinegger 22 Monate später nach einer gelungenen, aus heutiger Sicht naheliegenden Operation (weil die männlichen Geschlechtsteile nur nach innen gekehrt waren) nach Kärnten zurückkam, sahen die Leut’ betreten zu Seite. "Oder zeigten mit dem Finger nach mir."

In einer Großstadt, sagt Schinegger heute, hätte er sich leichter getan.

Falsche Casanova-Rolle

Schinegger versteckte sich nicht. Suchte die Öffentlichkeit. Legte sich einen Porsche zu. Bekam einen Casanova-Status, den er freilich einzuordnen wusste. "Viele Freundinnen wollten nur wissen, ob ich es kann oder nicht." Dazu konnte und wollte Erik vom Sport nicht loslassen. Er trainierte wie besessen. Ließ sich als Radrennfahrer präsentieren. Und versuchte im Herren-Skirennlauf einen Neustart.

Die schnellsten Männer um Champion Karl Schranz legten wenig Wert darauf, dass ihnen die Ex-Weltmeisterin den Herren zeigte. Trainingsbestzeiten wurde verschwiegen und Schinegger bei Rennen beharrlich in die letzte Startgruppe auf ramponierten Pisten eingeteilt.

Als Erik 1972 bei den Staatsmeisterschaften in Hinterstoder das Podest-Trio Josef Walcher, Werner Grissmann, Franz Klammer bis zuletzt um den Erfolg zittern ließ, indem er mit Nummer 67 auf Firnschnee unter die Top Ten raste, reagierte man nicht mit anerkennendem Schulterklopfen. Sondern bald darauf mit der Mitteilung, dass weitere Rennteilnahmen nicht erwünscht seien. "Sogar einen Wechsel zum Liechtensteiner Verband hat mir der ÖSV verboten."

Erik kämpfte im stillen Kämmerlein mit den Tränen. So wie später seine (ihm optisch ähnelnde) Tochter."Oft ist das arme Madel weinend heimkommen von der Schule, wenn man ihr dort sagte: Weißt schon, dass dein Vater a Weibel war?"

Gleichgültig ob kindlicher Spott, gemeine Tuschelei oder skeptischer Blick – unterm argwöhnischen Umfeld litt Schineggers Privatleben. "Diesen Druck mussten auch meine Partnerinnen aushalten. Weshalb ich nie heiraten hab’ wollen." Erik hat es trotzdem zwei Mal getan.

Bangen um Enkel

Inzwischen ist Schinegger dreifacher Opa. Ein stolzer und besorgter zugleich. Sein neunjähriger Enkel Georg musste vor zwei Wochen in Dortmund (wo Schineggers Schwiegersohn Borussias Fußball-Vorstand angehört) am Herzen operiert werden.

Nichts würde Schinegger mehr freuen, als könnte sein tapferer Georg irgendwann bei ihm in der Agsdorfer Skischule mitrutschen. Immer noch ist diese auf dem Kindersektor Kärntens größte. Und immer noch wird sie vom topfitten 68-Jährigen geführt, nachdem Erik Schinegger einst als Reaktion auf die ihm von verklemmten Pharisäern verbaute zweite Rennkarriere die Skilehrer-Ausbildung absolviert hatte. Mit Auszeichnung, versteht sich.

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