Die öde Überlegenheit der Klitschkos

Boxen: Wladimir verteidigt seinen WM-Titel. Das ungleiche Duell ist Sinnbild für die Situation im Schwergewicht.

Sieben Cent hat gewonnen, wer vor zwei Wochen einen Euro auf einen Sieg von Vitali Klitschko gegen Dereck Chisora gesetzt hat. Sollte Vitalis jüngerer Bruder Wladimir Klitschko am Samstag (ab 22.15 Uhr/live RTL) den Franzosen Jean-Marc Mormeck schlagen, bekäme man für einen Einsatz von einem Euro gar nur einen Cent Gewinn.

Die Dominanz der Klitschko-Brüder im Schwergewicht hat nicht nur die Wettquoten kaputtgemacht: Unwiederbringlich vorbei scheinen die Zeiten, als der Schwergewichts-Champion als "großer Zeh Gottes" galt, wie es Schriftsteller Norman Mailer ausdrückte.

Klitschkos Gegner Mormeck hat seit 15 Monaten nicht geboxt. 2007, in der Blüte seines Schaffens, ging er gegen David Haye K.o. Mittlerweile ist er 39 Jahre alt, 1,81 Meter klein ist er geblieben. Alles andere als ein K.-o.-Sieg des 1,98 Meter großen Wladimir Klitschko wäre eine Sensation in der mit 50.000 Zuschauern ausverkauften Düsseldorfer Esprit-Arena.

Dominatoren

Die Klitschko-Brüder Wladimir (35) und Vitali (40) besitzen gemeinsam alle vier WM-Titel der wichtigsten Verbände. Ernst zu nehmende Gegner für die Ukrainer sind nicht in Sicht. "Das Schwergewicht ist in der Krise", sagt der ehemalige Europameister Luan Krasniqi (D). "Die Klitschkos sind in einer eigenen Liga, danach muss man drei, vier Stufen zu den anderen hinabsteigen."

Hinab etwa zu Alexander Powetkin. Der Russe, derzeit die Nummer drei der Weltrangliste, lieferte bei seinem Punktsieg vor einer Woche gegen Marco Huck (D) eine enttäuschende Leistung ab. Langeweile quält auch den englischen Ex-Champion Lennox Lewis: "Ich warte auf die große Explosion, die einen Boxer hervorbringt, der die Klitschkos fordert." Doch es explodiert nichts.

Grund für den Niedergang des Schwergewichts ist vor allem die Krise des amerikanischen Amateurlagers. Dort fehlt es an einheitlichen Strukturen und einem systematischen Aufbau der Athleten. Junge Talente werden viel zu früh von raffgierigen Promotern im Profigeschäft verheizt. Zur Erinnerung: Die drei legendären Protagonisten der goldenen Ära des Sports waren allesamt (Amateur-)Olympiasieger – Muhammad Ali 1960 in Rom, Joe Frazier 1964 in Tokio und George Foreman 1968 in Mexiko.

Diese Dominanz ist längst Geschichte. In die von den USA gerissene Lücke stießen vor allem Boxer aus der ehemaligen Sowjetunion vor, allen voran die Klitschko-Brüder. Die technisch gut ausgebildeten Männer aus dem Osten bleiben ihrer Schule auch als Profis treu. Sie boxen mehr auf Sicherheit bedacht, was in Summe weniger attraktiv aussieht als ein wilder US-Schläger auf der Suche nach dem Lucky Punch.

Übrigens: Den vielleicht besten schweren Boxer der letzten Jahrzehnte haben nur wenige gesehen: Félix Savón wurde in der Klasse bis 91 Kilo zwischen 1986 und 1997 sechs Mal in Folge Amateur-Weltmeister, holte von 1992 bis 2000 drei Mal Olympia-Gold. Der Kubaner blieb jedoch staatstreu und lehnte das Profiboxen zutiefst ab. Bezeichnend: 1991 schlug er den Amerikaner Shannon Briggs spielerisch zu Boden. Vitali Klitschko schaffte dies 2010 gegen Briggs in einem grotesken Trauerspiel nicht.

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