Armstrong kann doch Mensch sein

Lance Armstrong awaits the start of the 2010 Cape Argus Cycle Tour in Cape Town, in this March 14, 2010 file photo. Armstrong could be jailed and cycling could be dropped from the Olympics as a result of the disgraced American athlete's reported admission that he had used performance-enhancing drugs during his racing career. REUTERS/Mike Hutchings/Files (SOUTH AFRICA - Tags: MEDIA SPORT CYCLING SOCIETY LAW)
Im zweiten Teil seines Doping-Interviews verlor Armstrong kurzfristig die Fassung.

Lance Armstrong hat doch noch menschliche Züge. Wie eine Maschine fuhr er einst zu sieben Siegen bei der Tour de France; wie ein Tyrann beherrschte er das Peloton; eiskalt drohte er jedem, der ihn des Dopings beschuldigte.

Armstrong kann doch Mensch sein
Chronologie - Karrierestufen und Dopingaffären - Foto Grafik 0099-13-Radsport.ai, Format 88 x 116 mm
Doch im zweiten Teil seines Doping-Geständnisses bei Oprah Winfrey, das in der Nacht auf Samstag ausgestrahlt wurde, kämpfte der 41-Jährige minutenlang mit den Tränen.

Armstrong versagte die Stimme, er rang um Fassung, als er erzählte, wie er seinem 13-jährigen Sohn Luke seine Doping-Vergangenheit beichtete. "Luke hat mir vertraut, er hat mich ständig in der Schule verteidigt", sagte Armstrong. "Doch ich musste ihm sagen: Luke, verteidige mich nicht mehr."

Wie sein Sohn reagiert habe? "Ich danke Gott, dass er eher so wie Kristin (Lukes Mutter) ist – und nicht so wie ich."

In diesem kurzen Moment konnte er einem fast leid tun, jener Lance Armstrong, der als einer der größten Dopingbetrüger in die Sportgeschichte eingegangen ist. In diesem Moment schien der Amerikaner durch und durch ehrlich zu sein.

Kritik

Dennoch. Armstrongs Aussagen wurden nicht überall mit Wohlwollen aufgenommen. Zum einen hagelt es Kritik dafür, dass Armstrong kaum Namen genannt hat und somit die Hintermänner weiter im Dunklen bleiben. Zum anderen bleiben bei einigen Aussagen Zweifel.

Armstrong bekräftigte im zweiten Teil des Interviews, dass er nach seinem Comeback im Jahr 2009 ohne Mithilfe von Dopingmitteln gefahren sei. Das habe er seiner Ex-Frau Kristin versprochen. "Ich hätte sie in dieser Angelegenheit nie betrogen." Lediglich bis 2005 habe er gedopt.

Die Aussagen stehen im Widerspruch zu Angaben von Travis Tygart, dem Chef der US-amerikanischen Anti-Doping-Agentur (USADA). Dieser hatte Armstrong bereits im vergangenen Sommer darauf aufmerksam gemacht, dass von ihm Proben aus den Jahren 2009 und 2010 vorliegen, die auf Doping hinweisen.

Zudem sagte Tygart, dass ein Vertreter Armstrongs der USADA eine Spende von 250.000 Dollar angeboten habe. Armstrong verneinte dies vehement.

Außerdem gibt der 41-Jährige zwar zu, dem Internationalen Radsportverband (UCI) im Jahr 2001 125.000 Dollar gespendet zu haben. Dies hätte aber keinesfalls etwas damit zu tun, dass die UCI im Gegenzug eine angeblich positive EPO-Probe von der Tour de Suisse verschwinden lassen sollte.

"Verarscht Armstrong uns weiter?", fragt etwa die Bild. "Wer Aufklärung erwartet hatte, wurde maßlos enttäuscht", schrieb Spiegel online. Der Heidelberger Molekularbiologe Werner Franke, einer der führenden Dopingexperten, sprach von einem "Minimalgeständnis" und erinnerte daran, dass Kronzeugen ausgesagt hatten, Armstrong hätte "Kollegen physisch bedroht und alle möglichen Tricks angewandt. Ich glaube ihm grundsätzlich nichts. Er tut nur, was nötig ist, um die eine oder andere seiner Millionen noch behalten zu dürfen."

Ausweg

Um seinen Ruf zumindest in Ansätzen wieder herzustellen, bleibt Armstrong nur ein Weg: Jenen zur USADA, wo er unter Eid aussagen könnte – und zwar die volle Wahrheit. Nur so könnte er einen kleinen Beitrag leisten gegen die Omertà, das Gesetz des Schweigens, und für den Kampf gegen Doping.

Armstrong kann doch Mensch sein
epa03392870 Spanish cyclist Alberto Contador laughs during a tribute in his hometown Pinto for winning Vuelta Espana cycling race, in Madrid, Spain, 10 September 2012. EPA/JUANJO MARTIN
Neue Wege im Doping-Kampf müssen gegangen werden, haben sich doch die Doping-Methoden im Radsport in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt. Weg vom organisierten Doping eines gesamten Teams (wie bei Festina, Telekom oder US Postal), hin zum geheimen Doping des Einzelnen.

Vorerst einmal geht die Show munter weiter. Kommende Woche beginnt die Saison 2013 mit der Tour Down Under in Australien mit dem Österreicher Bernhard Eisel und Topstars wie Andy Schleck.

Bei der San-Luis-Rundfahrt in Argentinien startet unter anderem ein gewisser Alberto Contador. Ein überführter Dopingsünder, für den die Omertà noch immer Gesetz ist.

Armstrong kann doch Mensch sein
Im Radsport wird gedopt, seit es den Radsport gibt. So wurde kurz nach ParisRouen im Jahr 1869 in der Presse diskutiert, welche Mittel die Leistung am effektivsten steigern, schreibt der niederländische Autor Benjo Maso in seinem Buch "Der Schweiß der Götter – Die Geschichte des Radsports".

Ende des 19. Jahrhunderts warben Firmen für ihre Produkte wie "L’Elexir de vitesse", die vermutlich auf der Basis von Kokain, Alkohol oder Morphium hergestellt waren. Rennfahrer prahlten damit, über die besten Schnellmacher zu verfügen. Der englische Manager Choppy Warburton bereitete seinen Zaubertrank während der Bahnrennen in aller Öffentlichkeit zu, um ihn unter dem Jubel des Publikums seinen Fahrern zu überreichen.

Selbstversorger

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I12-20000505-FLORENCE, ITALY: The most famous photo showing the passing-over of a water bottle between Italian cyclists Gino Bartali (L) and Fausto Coppi, who were rivals, during a stage of the Tour de France of 1949, which was won by Coppi. The originally black and white photo was hand coloured and is part of the personal collection of Bartali. It created a controversy in Italy between supporters of Bartali and Coppi since 1949, because nobody ever said who was giving the water bottle and who was receiving it. Bartali died on Friday, 05 May 2000 in Ponte a Ema, near Florence, two months before his 86th birthday. Bartali won the 'Giro d'Italia' three times between 1934 and 1946 as well as in 1938 and 1948 the 'Tour de France'. Additionally he won the Classic 'Milano-San Remo' four times. EPA PHOTO/ANSA/HAND OUT
Im Jahr 1930 musste Henri Desgrange, der Organisator der Tour de France, noch klarstellen, dass die Organisation zwar für die medizinische Versorgung der Teilnehmer aufkommt, nicht jedoch für "stimulierende Mittel (...) und Doping."

Auch später machten die größten Stars der Szene kaum Geheimnisse um Doping. So sagte der zweifache Tour-Sieger Fausto Coppi (1949, 1952), dass er nur dann zu "la bomba" (Amphetaminen) greife, wenn es nötig sei – doch nötig sei es fast immer. Der in den 1960er-Jahren fast unschlagbare Jacques Anquetil gab zu, dass er selbst Doping gebrauche und dass nur Trottel und Lügner behaupten könnten, sie hielten es anders.

Der Gebrauch von stimulierenden Mitteln wurde jahrelang toleriert. Doch dann wurden die Dopingfälle so überdeutlich, dass sie nicht mehr übergangen werden konnten. 1965 sahen Millionen Fernsehzuschauer, wie während des Anstiegs zum Tourmalet die zwei französischen Favoriten glückselig lächelnd über die Straße irrten – und wenig später aufgeben mussten. 1967 starb Tom Simpson (Gb) beim berüchtigten Aufstieg am Mont Ventoux infolge eines Cocktails aus Amphetaminen und Alkohol. Doch jahrzehntelang hatte niemand Interesse daran, Dopingsünder zu entlarven, um nicht dem Sport zu schaden. Dopingfälle wurden vertuscht.

Wundermittel

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Der Name von Michele Ferrari steht inzwischen für Doping im Sport.
1990 wurde EPO auf die Dopingliste gesetzt. 1994 veröffentlichte La Repubblica ein Interview mit Michele Ferrari, dem Teamarzt vieler erfolgreicher italienischer Radfahrer. Ferrari erklärte, dass Produkte, die nicht nachgewiesen werden können, kein Doping seien. Außerdem fügte er hinzu, dass EPO nur dann gefährlich sei, wenn es falsch angewandt werde.

Das Interview sorgte für einen Skandal. Wie war es möglich, dass ein gebildeter Mensch wie Ferrari eine solche Dummheit beging? In Wahrheit allerdings machte der Italiener mit seinen Aussagen eiskalt kalkulierte Werbung in eigener Sache. Er wurde in der Folge als "Dottore EPO" bekannt und mit Anfragen von Radprofis überhäuft. Einer davon feierte danach das sensationellste Comeback der Sportgeschichte. Lance Armstrong.

Lance Armstrong hat unreinen Tisch gemacht. Das kriminelle, scheinheilige Doping-System kommt ungeschoren davon.

Nichts von allem, was Lance Armstrong in seinem Sportlerleben getan hat, geschah ohne Kalkül. Schon gar nicht sein reumütiges Geständnis, das eigentlich kein Geständnis war. Was er sagte, weiß inzwischen jeder. Alles andere bleibt weiterhin einem geheimen, kriminellen Zirkel vorbehalten: Die wahren Praktiken, die Drahtzieher, die Hintermänner, die korrupten Funktionäre und die Dealer.

Wer Armstrong abnimmt, dass der Radsport inzwischen ein anderer geworden sei, dass das System überholt sei, geht ihm schon wieder in die Falle. Armstrongs Versuch, sich reinzuwaschen, ist gescheitert. Die Entschuldigung ist inakzeptabel und bringt den geprügelten und gesteinigten Radsport keinen Schritt weiter.

Die nächste Chance ergibt sich in zehn Tagen, wenn der Prozess um den spanischen Doping-Arzt Eufemiano Fuentes beginnt. Theoretisch könnte sich dort auch herausstellen, dass der Radsport nicht der einzige Sumpf ist, der trockengelegt werden muss. Auch, dass die Aussage des Tennisstars Novak Djokovic, wonach Tennis zu den saubersten Sportarten zählt, nicht haltbar ist. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Prozess mehr ans Tageslicht bringt als Armstrongs sogenanntes Geständnis, ist bestenfalls mit der eines Lotto-Sechsers vergleichbar.

BLUTDOPING: Je besser die Organe mit Sauerstoff versorgt werden, desto leistungsfähiger sind sie. Manche Methoden wie das Blutdoping zielen darauf ab, den Sauerstofftransport zu verbessern. Dabei erhält der Athlet eine Transfusion mit fremdem oder mit eigenem Blut.

Beim Eigenblutdoping lässt sich der Sportler bis zu einen Liter Blut abnehmen. Es wird konserviert und tiefgekühlt gelagert. Der Blutverlust regt den Körper dazu an, neue rote Blutkörperchen zu bilden - oft verstärkt durch das Hormon EPO. Haben sich die Blutwerte einige Wochen später wieder normalisiert, wird das Eigenblut wieder zugeführt. Dadurch steigt die Konzentration der Blutkörperchen.

Risiko: Infektionsgefahr bei der Transfusion

EPO (Erythropoietin) ist ein Hormon, das in der Niere entsteht und die Bildung der roten Blutkörperchen (Erythrozyten) stimuliert. Mit EPO als Dopingmittel kann der Körper mehr Sauerstoff in die Muskeln transportieren. Daraus folgt eine höhere Leistungsfähigkeit, vor allem bei Ausdauersportarten. Gentechnisch hergestelltes EPO hat also eine ähnliche Wirkung wie das aufwändigere Blutdoping.

Risiko: Das Blut wird "dicker", was zu höherem Blutdruck, Thrombosen und Schlaganfall führen kann.

GLUKOKORTIKOIDE: Dazu gehören Hormone wie Cortison und Cortisol, mit denen Asthma, Allergien, Rheuma und andere Entzündungen behandelt werden. Sie bewirken zwar keine direkte Leistungssteigerung, wirken aber euphorisierend, unterdrücken Schmerzen und Müdigkeit. Sie sind im Wettkampf verboten.

Risiko: Höhere Anfälligkeit für Infekte. Fettzunahme in Nacken und Gesicht.

WACHSTUMSHORMON: Es beschleunigt die Teilung der Zellen, was sich als Wachstum bemerkbar macht. Das Human Groth Hormon (HGH) wird im Gehirn gebildet und zum Beispiel zur Behandlung von kleinwüchsigen Kindern eingesetzt. Das für therapeutische Zwecke bestimmte HGH wird mit gentechnischen Verfahren hergestellt. Manche Sportler erhoffen sich dadurch Leistungsgewinne und setzen auf die anabole, den Muskelaufbau fördernde Wirkung.

Risiko: Krankhaftes Wachstum von Organen, erhöhter Blutzuckerspiegel.

TESTOSTERON ist das wichtigste männliche Sexualhormon und gehört zur Gruppe der Anabolika. Es wird unter anderem verwendet, um einen stärkeren Muskelaufbau und bessere sportliche Leistungen zu erzielen.

Risiko: Entstehung von Tumoren, Aggressivität, Störung von Gedächtnis und Konzentration, Veränderung der Geschlechtsmerkmale.

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