"Was jetzt passiert, ist ökonomischer Wahnsinn"
KURIER: Wird unser Bildungssystem nur schlecht geredet oder ist es reparaturbedürftig?
Stefan Hopmann: In einigen Bereichen ist es Spitze, etwa beim Übergang Schule – Beruf. So richtig schlecht sind wir aber bei der Hilfe für diejenigen, die Hilfe brauchen. Denn der Lernerfolg hängt bei uns sehr stark von der Unterstützung durch das Elternhaus ab. Es gibt zahllose Kinder, die unter schwierigen Lebensumständen aufwachsen. Armut, Gewalt oder kein Arbeitsplatz zum Lernen: 80 Prozent der Leistungsunterschiede resultieren aus Armut – sozial und finanziell.
Sie meinen Kinder aus Brennpunktschulen, die nach der Schule nicht vermittelbar sind?
Zuerst stellt sich die Frage, was Schule leisten kann. Schule ist nicht so stark, dass sie gesellschaftliche Verhältnisse aushebeln kann. Aber wir sollten uns zumindest darum bemühen, dass niemand die Schule verlässt, der nicht die notwendigsten Qualifikationen hat, die es braucht, um Verfügungsgewalt über das eigene Leben zu haben.
Das starre System reagiert nicht, kritisiert Mittelschul-Direktorin Walach (Gassergasse).
Zurecht. Solange ich nach dem Motto arbeite: Ein Lehrer, eine Klasse, ein Fach, komme ich nicht weit. Wir brauchen flexiblere Modelle, wo ich je nach Problem unterschiedlich arbeiten kann. Das erfordert nicht zwingend mehr Personal, aber andere räumliche und organisatorische Voraussetzungen. Schulen brauchen Freiheit, um am Standort Lösungen finden zu können, die für ihre Problemmischung zugeschnitten sind.
Was bringt die Bildungsreform?
Schulen wird wieder keine substanzielle personelle, organisatorische und budgetäre Autonomie gegeben. Das Thema der gezielten Umverteilung für jene Schulen, die mehr brauchen – der Sozialindex – ist völlig ausgeklammert worden.
Sind für Schulen wie die Gassergasse Sofortmaßnahmen nötig?
Sicher. Wir haben wenige Kinder und können viele Lehrstellen nicht besetzen. Wenn wir den Wohlstand erhalten wollen, brauchen wir jeden und jede. Was jetzt passiert, ist ökonomischer Wahnsinn. Die Überlegung, mehr Geld in den Stottermotor Schule zu stecken, greift da zu kurz. Ich muss Schule ganz anders organisieren.
Wie lautet Ihr Vorschlag?
Ein Sozialindex mit Standardbudgets als Ausgangspunkt für alle Schulen: Standorte mit besonderen Herausforderungen erhalten mehr Ressourcen. Und es braucht Autonomie: Schulen erhalten ökonomische Vorgaben und einen Lehrplanrahmen. Am Standort überlegen sie, ob sie "nur" Lehrer brauchen oder andere Qualifikationen wie einen Sozialpädagogen, der vor Ort Familienarbeit leisten kann. So kommt man heraus aus dem politischen Dauer-Hick-Hack, weil man problemorientiert arbeitet. Man muss je nach Grätzelsituation dafür sorgen, dass alle, die mit den Kindern zu tun haben, zusammenarbeiten – Eltern, muslimische oder orthodoxe Gemeinden, Sozialarbeiter, Polizei, Vereine etc.
Womit sollte man beginnen?
Überall dort, wo Brennpunktschulen den Turnaround geschafft haben, stand am Anfang der Satz:Wir akzeptieren, dass wir Probleme haben und schweigen es nicht tot, sondern rufen es raus. Ohne Problemerkennung keine Lösung. Deshalb war der KURIER-Bericht über die Gassergasse wichtig. Und die Schule ist kein Einzelfall.
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