Alternativ-Schulen: So breit ist das Angebot

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Bei Tausenden Schulversuchsklassen und Pilotschulen haben Eltern von Pflichtschülern mehr Auswahl, als ihnen bewusst sein mag

In der Integrativen Lernwerkstatt Brigittenau (ILB) sagen die Schüler "Lernbegleiter" statt Lehrer und sie duzen die Pädagogen. Die einen besuchen dort die Volksschule, andere machen ihren Pflichtschulabschluss. An Bord sind Kinder aus mehr oder wenigen bildungsnahen Milieus, ein großer Anteil ist nicht-deutscher Muttersprache und einige wenige Schüler sind schwerstbehindert. So unterschiedlich wie die Kinder sind die Lehrer: Pädagogen aller Schultypen arbeiten zusammen. Unterrichtet wird nach reformpädagogischen Grundsätzen, altersgemischt und in Mehrstufenklassen.

Die öffentliche Ganztagsschule ILB ist als Ganzes ein Schulversuch und daher ziemlich außergewöhnlich. Schulversuche (SV) und Schulentwicklungsprojekte (SEP) an sich sind dagegen häufiger als man denkt. Aber was unterscheidet die beiden Begriffe überhaupt? Während SV-Schulen den Sanctus von oben haben müssen, forcieren das Bildungsministerium und die neun Landesschulräte SEP über Pilotschulen von sich aus. Hier ein kleiner Überblick: Reformpädagogische Konzepte à la Montessori greift heute auch so manche öffentliche Pflichtschule auf. Das bedeutet ganzheitlicher und projektorientierter Unterricht, verbunden mit Schwerpunkten in Sinnes- und Sozialschulung, dem kreativ-handwerklichen Bereich oder in Bewegung und Körpererfahrung.

Ins Reden kommen

Sprachfördermaßnahmen reichen von schulinternen Deutsch-Kursen, die außergewöhnlichen Schülern ermöglichen, dem Unterricht folgen zu können, über muttersprachlichen Unterricht in 27 Sprachen bis zu bilingual geführten Schulen in Deutsch-Englisch oder Deutsch-Italienisch. Zusätzlicher muttersprachlicher Sprachunterricht ist ein Angebot an die 25 Prozent Kinder mit nicht-deutscher Erstsprache im Pflichtschulbereich. Denn wer sich muttersprachlich weiterentwickeln darf, lernt auch einfacher Deutsch. "Englisch 2020" wiederum zielt auf ein einheitlicheres Englisch-Niveau am Ende der Volksschule ab. Bei dem Schulentwicklungsprojekt unterrichten statt der jeweiligen Volksschul-Lehrkraft ausgewählte "English Experts". Das sind Lehrer, die von der Schulleitung und der Pflichtschulinspektion bestimmt werden. Das Gütesiegel "Zertifizierte begabungsfördernde Schule" dürfen nur ausgesuchte Wiener Volksschulen tragen. Bedingung sind ein Konzept zur Begabungsförderung und dass jede vierte Lehrkraft spezielle Fortbildungen zum Themenfeld besucht hat. Zuletzt gab es über ein Dutzend öffentliche und private Volksschulen mit Begabungssiegel. Auf Ebene der Neuen Mittelschulen (NMS) gibt es etwa in Oberösterreich verstärkt Interessen- und Talentförderkurse in Sprache, Technik, Musik und künftig auch Naturwissenschaft. Dafür werden zusätzliche Lehrkräfte bewilligt.

Forschungsauftrag

Wird an Volksschulen geforscht, steckt das Schulentwicklungsprojekt "Leonardino" dahinter. In anderen Schulen wiederum hält die Klassenlehrkraft eine zusätzliche Wochenstunde im sportlichen, technischen oder Werkerziehungs-Bereich bzw. in "darstellendem Spiel" ab. Pflichtschulen mit Musik-Fokus sind der beliebteste Schulversuch bezüglich Schwerpunktbildung und vor allem in Kärnten, der Steiermark und Oberösterreich beliebt. Beim Musizieren kooperiert man etwa mit örtlichen Musikkapellen. Nach dem Vorbild von Musik- und Sport-NMS forciert etwa Oberösterreich auch Technik-NMS, und zwar in Zusammenarbeit mit den örtlichen Unternehmen.

Bei der natürlichen Neugier setzt der steirische Schulversuch "Philosophie für Kinder" an: Philosophische Denkprozesse, vernetztes Denken und die Wahrnehmung unterschiedlicher Perspektiven werden altersgerecht angeregt. Die Steiermark ist noch für ein anderes mittlerweile evaluiertes Projekt bekannt: Im Gegenstand Glück geht es an mittlerweile 130 Schulen um die Frage: Wie kann ich meine Lebensfreude steigern? Nicht nur in Wien gibt es bereits vereinzelt Nachahmer.

Den Imageproblemen der Polytechnischen Schule (PTS) soll der Schulversuch "PTS 2020" zu Leibe rücken. An 13 Standorten liegt der Fokus neben Berufsbildung verstärkt auf Allgemein- und Persönlichkeitsbildung. Ziel ist außerdem, die Schüler fit für die Oberstufe bzw. für das Modell Lehre mit Matura zu machen.

Alternative Leistungsbeurteilung und Mehrstufenklassen zählten bisher zu den häufigsten Schulversuchen. Jetzt gibt das Bildungsministerium seinen Sanctus: Ab sofort kann jede Volksschule schulpartnerschaftlich entscheiden, ob für einzelne Klassen oder gleich für die ganze Schule eine alternative Leistungsbeschreibung bis zur dritten Klasse gelten soll. Notenfrei bewertet wird etwa die Eigenständigkeit sowie die Erfassung und Anwendung des Lernstoffs.
Das Wahlprinzip gilt auch für Mehrstufenklassen. Diese berücksichtigen durch jahrgangsübergreifenden, offenen Unterricht, dass gleichaltrige Schüler sehr unterschiedliche Reifegrade und Lernniveaus haben können. Obendrein helfen ältere Kinder jüngeren, festigen den Stoff so und tanken obendrein Selbstbewusstsein.

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