Straße der Haifischzähne

Straße der Haifischzähne
Unter extremen Bedingungen auf der Straße der "Haifischzähne"

In der Nacht kommt orkanartiger Wind auf und es beginnt zu schütten, wie aus Kübeln, doch das Zelt hält - allen Naturgewalten stand - ein vierbeiniger Freund gesellt sich mitten in der Nacht zu uns - und so frühstücken wir bei frischer, nach Salz duftender Seebrise - den gestrigen, wirklich ereignisreichen Tag - unseren Reifenschaden rekapitulierend - und nach einem morgendlichen Tauchgang im See geht's munter und vor allem rasch weiter Richtung Mütterchen Russland. Dachte ich jedenfalls, denn hätte ich an jenem Morgen gewusst, was da auf uns zukommt, ich wäre an Ort und Stelle geblieben und hätte mich an diesem Tag nicht von der Stelle gerührt ;-)) es sind wohl die längsten 150km in meinem Leben. Denn kaum 20 km gefahren, zischt es abermals gewaltig, der Wagen bricht hinten aus und die Luft aus dem am Vortag gewechselten, komplett neuen Reifen ist auf einen Schlag futsch, der Pneu platt, wie eine Flunder...na Bravo.

Ich kann's nicht glauben. Zum aus der Haut fahren. Aber es ist so. Die Steine stehen hier aus dem Boden wie Haifischzähne. Der Vollreserve - Reifen ist also hinüber, wir noch Ewigkeiten von jeglicher Zivilisation entfernt, auf einem Pass zwar ca. nur 20 km entfernt von der grünen, russischen Grenze im Norden, über die wir aber nicht dürfen, abgesehen davon, dass sie nicht PKW tauglich ist - und noch dazu sind wir völlig auf uns allein gestellt. Und in einer nicht ungefährlichen Situation. Ich hab zwar einen Notfallsrucksack mit allem drum und dran für mehrere Tage gepackt, von A...wie Angelschnur über Sturmzünder und Trockenfleisch bis hin zur Zeltplane, doch in so einem Moment beginnt man schon mal übers Leben nachzudenken, wie denn das so ist. Ich war schon oft in sehr heiklen Situationen und meine Schutzengel hatten es noch nie leicht mit mir, doch so etwas stellte mich zugegebenermaßen vor eine Herausforderung...aber, es ist, was es ist, es nützt alles nichts und ein Notrad haben wir ja noch im Kofferraum. Also weg mit üblen Gedanken und raus damit.

Der Wagenheber rutscht mehrmals am steinig sandigen Boden ab und lässt sich dann unter schwierigen Bedingungen doch noch an einem Stein, der fest im Boden verankert ist, platzieren, ich aber den Wagen etliche Male daneben vorschieben und punktgenau reversieren muss, um ihn zu "erwischen". Meine Nerven sind aufs Äußerste gespannt, als ich den Reifen runternehme und das Auto kurz auf der zierlichen Stütze wackelt, aber es gelingt, der Notreifen ist oben und die Muttern fest angezogen. Mit dem Kompressor an der Autobatterie ist er schnell aufgepumpt, nicht dran zu denken, wenn der nicht funktioniert hätte, wieder runter mit dem Heber, dessen Gewinde sich inzwischen so verdreht hat, dass er unbrauchbar geworden ist. Wenn das schon gestern passiert wäre und man kein Obelix ist? Zuviele "wenn's" für diesen Moment! Die Luft im Reifen hält, aber wie lange? Es ist ein Notrad, winzig klein, wenig Luft, kein Profil und wir haben knapp 3 Tonnen. Wir studieren die Karte. Der höchste Pass noch vor uns, die "Haifischzahnstrasse" - so nennen wir die Piste - schier noch endlos und "unsere" russische Grenze gut 150km entfernt. Das mit dem Gummi und kein weiterer Ersatz dabei...OK nicht lange nachdenken, sondern handeln. Wie man sich ab dem Zeitpunkt der Weiterfahrt fühlt? Nun, wie durch ein Minenfeld laufend, aus dem es keinen anderen Ausweg gibt, als eben mittendurch. Jeder Meter wird zur Zitterpartie, jeder Stein zu einem persönlichen Feind. Und davon haben wir hier mehr als genug. Es sind nicht etwa vereinzelte Brocken, nein - es sind wahrhaftig Geröllhalden, so, als wenn man durch ein ausgetrocknetes Flussbett wandert, nur eben rasiermesserscharf. Meter für Meter kämpfen wir uns den Pass hinauf, passieren ihn und die anderen Reifen - das darf man ja dabei nicht vergessen, sind ja schließlich ebenfalls gefährdet. Doch wenn's spießt, dann ordentlich und es kommt noch besser...denn endlich unten vom Berg nach endlos langer Zeit - wir sind ja schon Stunden unterwegs - das nächste Problem, abgesehen davon, dass du dir den Weg mit der Kristallkugel suchen musst, wo er denn sein könnte...

Wir stehen vor einem Fluss, nicht etwa ein Bach, nein, nein, ein Gewässer, gute 25 Meter breit, reißend und sicherlich an die 1,5 m tief. Da kommen wir niemals rüber, schießt es mit durch den Kopf. Brücken hier? Hihi, guter Witz! Aufgeben und zurück fahren? Über die Reifenschlitzer Straße? Niemals, keine Option! Und aufgeben hatte sowieso noch nie in meinem Wortschatz Platz. Es kann nur vorwärts gehen! Wir fahren also den Fluss entlang und suchen, es geht über Stock und über Stein, Steine so groß wie Zuckermelonen, es ist ein Ritt über glühende Kohlen. Nicht beschreibbar dieses Gefühl. So etwas kann man nur selbst er-leben. Wünsch ich aber keinem. Die bei der Mongolien Cross Ralley - der größten der Welt - haben gut lachen, denn die haben Teams und müssen hieran dieser Stelle nicht durch. Herzlich lacht uns auch die 2014er Karte von Freytag und Berndt gerade aus. Hier ist nämlich eine rote Bundesstraße!!! zur Grenze verzeichnet. Bundesstraße!!! Weder gibt's die irgendwo in diesem Land und wenn, wäre sie maximal ein Vorzeige - Baustück (wie man es machen würde, wenn...) mit knapp 500 Metern und nirgendwo verzeichnet.

Hier ist im Moment jedenfalls nichts in jene Richtung NW, wo wir hinwollen. Schliesslich finden wir aber einen Weg über den Fluss, in drei Inseln geteilt. Vorweg - Es ist heute einer von ca. zehn, ich geh ihn zunächst mal vorsichtig zu Fuß ab und sofort reißt mich die Strömung zu Boden ins Wasser. Handy GSD im Auto ;-) Klitschnass aber wieder raus. Da mit dem Auto durch? Zwar geht mir das Wasser stehend nur knapp übers Knie, aber die Strömung, dazu unter mir Schlamm und Sand, die Gefahr, darin stecken zu bleiben, riesengross. Wir wagen es trotzdem, was bleibt auch anderes übrig? Und wir schaffen es auch. Drüben wieder nur Steine und Geröll, ein Steinehaufen als Wegweiser mitten im Nichts. Kompass und Sonne geben uns den Weg vor und 150m weiter gibt's tatsächlich verblasste Reifenspuren im Schotter. Ist der dort hingeflogen? Wir müssen im vorigen Leben Aborigines gewesen sein, denn die Fährte hätte niemand gesehen...

Noch immer keine Menschenseele weit und breit. Wohin man blickt, nichts außer Geröll. Die Reifen pflügen sich einmal mehr den Weg durch die "Minen", manchmal wie ein Verdränger im Wasser, manchmal wie beim Pas de Deux im Ballett. Dieses Schauspiel wiederholt sich den ganzen Tag unzählige Male und erfordert neben einer immensen, körperlichen Anstrengung volle Konzentration und einen wachen Geist. Sünden kann ich jetzt sicherlich keine mehr haben, denke ich laut vor mich hin - Gott ist auf jeden Fall live dabei - und warte ständig auf die erhoffte Grenzstrasse, sie sollte doch wenigstens halbwegs befestigt sein. Und da ist sie!

Straße der Haifischzähne
Die Schotterpiste zieht sich anfangs durch eine Schlucht, in der nun schon wieder Jurten der Mongolen auftauchen. Dann, nach 8 Stunden Luftanhalten, Pässen, Wasserqueren und Minenfeldern endlich geschafft, draußen aus den unvorstellbaren Bildern dieses Tages. Sie waren an Schönheit nicht zu überbieten, an Schrecken aber auch nicht. Und nichts würde den Tag jetzt noch einmal versemmeln - glaub ich in diesem Moment zumindest. Ich kann es selbst kaum fassen und wir stellen uns zur ersten Rast dieses Tages an einen kleinen See mit Insel mittendrin. Vor seiner Jurte lehnt der Mongole Entschibai und seine Frau Tinasch ,die Tochter Gulbakt mit ihren Mädchen Tschudus Ai (was Sternenkind heißt) und Ai Tschudus (das Selbige nur eben anders rum). Wir sind zu "Kaffee und Kuchen" in dem Fall Ziegenmilch und allerlei mongolischen Gebäck eingeladen mit Blick auf rohes Schaffleisch an der Wand und vergessen für einen Moment unser heutiges Waterloo, bei dem wir Riesenglück hatten, tauschen Geschenke aus, mein Bundesheermesser, die Steinschleuder und meine Habsburg Cap, sowie andere Dinge bleiben hier bei den Burschen Aitos, Altenbeck und Berig Bulat in der Mongolei. Wie weit ist die Grenze nun, fragen wir Entschibai? Wie weit? "Hmmm, vielleicht 20km, oder doch 50, aber so genau...", murmelt er. "Aber eine gute Straße", beruhigt der Hausherr. Gut? Ui, dieses Wort hat hier eine andere Bedeutung, als bei uns daheim. Na ein kleines Dèja vu. Wir ziehen weiter, wie es Entschibai mit seiner Jurte auch im Spätherbst machen wird. Wieder Steine und 5km vor der russischen Grenze eine Glasscherben Allee direkt über die Straße gelegt. Gebrochene Wodka Flaschen, die sich wie an einem Bändchen über die gesamte Breite der Straße ziehen! Ein junger Mongole, der aber mit seinem bis an die Grenzen vollbesetzten Bus - mit der "Schnauze" verdächtig in unserer Richtung schon über der "Falle" steht, ist gerade dabei, ein wenig aufzuräumen. Wir helfen ihm dabei. "Wer bitte macht so etwas?", fragen wir ihn. "Ich weiß es nicht", antwortet er sichtlich nervös und ganz vertieft in seine Arbeit! Er hat es sichtlich eilig und das um diese Zeit, denn es ist bereits 20:30 und die Grenze wahrscheinlich schon "dicht". Ihr wisst ja, die Grenze ist nicht allzu weit entfernt...", murmelt er uns nach, während wir vorsichtig weiterfahren. Wenn du da nicht schaust und drüber fährst, hast du ein Problem der Vier nicht im, sondern unterm Jeep. Hü Hüpf würde Flip jetzt rufen und drüber springen, wir sind jetzt auch sehr blassgrün im Gesicht, nur halt keine Grashüpfer, müssen uns rollend fortbewegen und vorbei an zerlfallenen Häuserruinen sehen wir schon das Grenzkapäuschen der Mongolen. Nur mit Grenzbalken Spielen wird's heute eben nix mehr, die schließen um sieben, morgen um 10:00 sagt der Grenzer und so beschließen wir, hier in einem angeschriebenen "Hotel" zu übernachten, das dem Grenzer und seiner Schwester - die die Chefin des Migrationsdienstes ist, gehört. Die haben da tatsächlich Hotel drauf geschrieben, nun, sagen wir es ist "Style by Mongoliens", Sterne siehst du nur am Himmel - mit allem, wa dazugehört. Wasser und Klo gibt es nicht mal außerhalb. Schafs- und Milchtöpfe im Schlafgemach, wo wir unsere Schlafsäcke auf den Betten breit machen und na ja, so genau will ich's gar nicht wissen, mit wem wir diese teilen. Hoffentlich muss ich nicht aufs Klo, denk ich mir noch, während der Zöllner sich einen Raum weiter bei offener Türe krachend in sein Bett schmeißt, vorher aber uns noch mindestens 100 Mal kundtut, dass wir Vorrang haben bei der Passage und na ja, ob wir ihm nicht ein wenig Weggeld geben könnten, zumal der Russe drüben auch sein Freund ist und es sonst lange dauern könnte und auch nicht ungefährlich ist, hier durchs Grenzgebiet zu fahren. Und spätestens jetzt ist das Lichtlein der Erleuchtung da. Kombiniert man nämlich die Forderungen des Zöllners, der hier definitiv weit unter der Armutsgrenze sein Dasein führen muss und die Wodkaflaschen Straße mit dem vollbesetzten Bus des jungen Mongolen miteinander, kommt man an Gedanken wie organisiertem Schlepperwesen - verbunden mit Korruption und Erpressung nicht vorbei - was uns aber - wie gesagt - bei diesen Verhältnissen nicht sehr verwundert. Wie auch immer, ich hab Hunger, Schafsfleisch ist definitiv heute nicht auf meiner Speisekarte und so mach ich mir meine Ravioli noch schnell heiß und verzehr sie mit Blick auf einen Raum, der - sagen wir mal - sehr individuell gestaltet ist.

Fazit dieses aufregenden Tages, als ich noch ein letztes Mal beim Luftschnappen bei knapp 5 Grad in kurzer Hose und T - Shirt auf die Straße gehe und ins Land zurückblicke, das uns zwei Reifen und etliche Nervenstränge abverlangt hat, ist:

Die Mongolei ist ein unglaublich schönes Land mit sehr freundlichen und hilfsbereiten Menschen, das man auf jeden Fall einmal gesehen haben sollte. Aber es ist komplett unberechenbar, wild, ursprünglich und roh, wie zu Zeiten des großen Khan. Als Individual - Tourist ohne "Grenzerfahrungen" sei man aber dringlichst davor gewarnt, ohne eine sehr, sehr gute Vorbereitung dieses Erbe des Tschingis abseits der Hauptstadt zu betreten, oder es gar mit dem Auto an der "Haifisch - Grenze" durchqueren zu wollen!

Mir als Verrückten hat's jedenfalls Spaß gemacht, es war scheinbar wieder einmal Zeit, am eigenen Körper das Leben zu spüren und zu erfahren, dass der Abgrund vom Weg nicht sehr weit weg ist, gleich einem schwarz weißen Muster, auf dem man sich bewegt und das man durchqueren muss, einmal geradlinig oder auch diagonal, "maktup" - so steht es geschrieben würden die Araber wohl sagen - da ich aber ein Kämpfer bin und mich so schnell von nichts und niemanden unterkriegen lasse, denke ich immer an die weisen Worte meines lieben, väterlichen Freundes Maher Damen Barakat und meine Freunde daheim in Mödling, an die ich hier sehr, sehr oft in schwierigen Momenten gedacht habe: Denn auf die Frage, wie es ihm geht, antwortet er immer: "Ich bin zufrieden!" Nun, mein höchst geschätzter Freund! Ich bin es auch und danke Dir für die moralische Unterstützung in Gedanken an euch alle - besonders an die Grinser von Walter und Heimo, wenn sie das lesen! Ich vermisse euch schon sehr! Und bin gespannt, was morgen so kommen möge...auf ein Neues wieder in Putins Schoss, aus dem es aber ja gleich wieder raus - weiter ins wilde Kasachstan geht...mashallah!

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