Vom Gipfel zum Meer: Skitouren nördlich des Polarkreises

Vom Gipfel zum Meer: Skitouren nördlich des Polarkreises
Die Arctic Haute Route in Norwegen ist ein schwimmendes Skitourenabenteuer der besonderen Art.

Vor jeder Skitour der Routine-Check: Pieps, Schaufel, Sonde, Schwimmweste. Alles da. Sekunde … Schwimmweste? Wer die Arctic Haute Route angeht, muss sein Safety-Repertoire eben etwas erweitern. Und seinen Horizont gleich dazu. Klar, man könnte auch das Auto nehmen. Oder mit dem Zug in Richtung Berg fahren. Aber mit einem achtzig Meter langen Dampfer gibt sich der Tourenstart doch um einiges stilvoller.

Angekommen, irgendwo auf den Lofoten im Breitengrad 68N, ein gutes Stück nördlich des Polarkreises: Die MS Nordstjern ankert im schützenden Austnesfjord, das altehrwürdige Schiff ist unser schwimmendes Basislager für die nächsten drei Tage. Wir hingegen geben uns am Berg ganz den Elementen hin, mit dem Schlauchboot geht es Richtung Ufer, die Skibrillen setzt man vorsichtshalber schon wegen der Gischt auf. Der Traum, der uns alle in den hohen Norden gelockt hat: Die perfekte Abfahrt vom Gipfel bis ganz hinunter zum Meer, der Summit-to-Sea-Ride.

Anschnallen können wir die Ski bereits am tief eingeschneiten Strand von Laupstad, spuren los, das Ziel: Der Sautinden, 596 Meter hoch. Was in den Alpen nach gemütlicher Anfänger-Skitour klingt, ist in Nord-Norwegen eine stattliche Unternehmung. Gestartet wird nämlich, man vergisst das gern, auf Meeresniveau, die zu bewältigenden Höhenmeter korrelieren also exakt mit der Höhe des Gipfels.

Vom Gipfel zum Meer: Skitouren nördlich des Polarkreises

Schnell ist die Baumgrenze überwunden, die Zwergbirken haben es nicht leicht in diesen Breitengraden und wachsen während des kurzen Sommers nur langsam. Bald sind wir im offenen Gelände, die MS Nordstjern wird unter uns immer kleiner und schrumpft bald auf die Größe eines Spielzeugschiffes. Direkt hinter dem Boot schält sich nun der Higravstinden aus dem Nebel, mit 1.147 Metern die höchste Erhebung der Lofoten. Überhaupt haben die Gipfel hier die Anmutung der Westalpen im Hosentaschenformat: Schroff und unnahbar ragen sie direkt aus dem Fjord in den Himmel, einen 800er könnte man gut und gerne mit einem 4.000er in der Zentralschweiz verwechseln, würde man auf dem Foto unten das Meer wegschneiden. Zwischen den Steilflanken gibt es einige gemütlichere Gesellen, die mit ihren breiten Hängen und sanften Steigungen ein geradezu ideales Terrain für Skitourengeher bieten, so wie der Sautinden, auf den wir gerade zusteuern. Die Farbpalette der Natur hat heute auf monochrom geschaltet, weißer Schnee, schwarze Felsen. Würde nicht hin und wieder eine knallbunte Gore-Tex-Jacke durch das Bild laufen, man könnte meinen, man wäre im Schwarz-weiß-Fernsehen.

Turbo-Wetterwechsel

Auf der ersten Passhöhe angekommen, öffnet sich der Blick in Richtung Ozean, vor uns das offene Morfjord, rechter Hand Sløverfjord, und überhaupt ist überall Wasser, überall Inselchen, egal, in welche Richtung der Blick fällt. Der Golfstrom sorgt zwar für durchaus angenehme Temperaturen, bitterkalt wird es hier auch im Winter nicht. Die Meeresnähe sorgt aber auch verlässlich für einen Wetterwechsel alle zehn Minuten, auf Schneesturm folgt Sonnenfenster folgt Schneesturm. „Auf den Lofoten haben wir manchmal alle vier Jahreszeiten innerhalb einer Stunde“, meint Guide Isaak. Wir glauben ihm, der Wind frischt zu einem Sturm auf und zwingt uns zum Abfellen.

Impressionen

Vom Gipfel zum Meer: Skitouren nördlich des Polarkreises

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Vom Gipfel zum Meer: Skitouren nördlich des Polarkreises

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Vom Gipfel zum Meer: Skitouren nördlich des Polarkreises

Vom Gipfel zum Meer: Skitouren nördlich des Polarkreises

Vom Gipfel zum Meer: Skitouren nördlich des Polarkreises

Ganz so einfach ist er eben nicht zu ergattern, der legendäre Summit-to-Sea-Ride, Nord-Norwegen ist nicht gerade für seine anhaltenden Hochdruckphasen bekannt. Wie Füchse auf der Jagd lauern wir auf ein paar Sonnenstrahlen, Isaak ist optimistisch: „Gleich kommt sie wieder raus!“. Und tatsächlich, ein paar Schwünge gehen sich aus mit guter Sicht, die MS Nordstjern wird wieder größer und wir freuen uns schon auf die wärmende Dusche in unseren Kajüten. Aber fast noch mehr auf das Abendessen an Bord: So ein Schneesturm macht hungrig, der junge Küchenchef Frederik Lundgren hat gerade mit dem norwegischen Team die Bronzemedaille der Bocuse d’Or in Lyon gewonnen, die „Champions League der Köche“, wie er meint. Und wenn er nicht gerade im Noma in Kopenhagen mithilft, dann bekocht er hungrige Skitourengeher wie uns, „in einer wackeligen Küche aus dem Jahr 1956, alles original, ich liebe diese Challenge.“ Heute auf der Speisekarte: Stockfischfilet aus den Lofoten und Rentiersteaks aus Senja, „das hier soll auch eine kulinarische Entdeckungsreise sein, fast alle Zutaten stammen direkt aus der Region.“

Vom Gipfel zum Meer: Skitouren nördlich des Polarkreises

Inzwischen hat die MS Nordstjern wieder ihren 3.600-PS-Motor angeworfen und brummt gemütlich Richtung offenes Meer. Der Wellengang wird höher, das Dessert muss man schon gut festhalten, will man noch was davon haben. Wir schippern weiter nordwärts, vorbei an den Vesterålen Richtung Kvaløya, einer Insel vor Tromsø, wo wir am nächsten Tag bequem aufwachen. Heute scheint es das Wetter besser mit uns zu meinen, ein Sonnenfenster hat sich angekündigt, die Motivation ist entsprechend groß. Schon im Schlauchboot zum Ufer werden blaue Flecken am Himmel sichtbar, am Vorgipfel reißt der Himmel endgültig auf und wir stehen bei Sonnenschein am Gråtiden (871 m), der Grauspitze. Kurz wird gejubelt, denn vor uns liegt: eine hindernislose Abfahrt bis zum Strand, das Meer immer im Blick, jeder Schwung ein Genuss. Schlussendlich haben wir also bekommen, wovon wir so lange geträumt haben: Den perfekten Summit-to-Sea-Ride, er wird uns noch lange in Erinnerung bleiben.

Vom Gipfel zum Meer: Skitouren nördlich des Polarkreises

Anreise Mit dem Flugzeug über Oslo nach Svolvær (Lofoten) bzw. Tromsø

Beste Reisezeit Für Ski- tourengeher März/April. Meist liegt Schnee bis zum Meer, die Tage sind wieder lang, die Temperaturen angenehm. Bei Wetter- glück gibt es Firnabfahrten bis zum Strand

Verpflegung Die Arctic Haute Route rühmt sich mit spezieller Arctic Cuisine. Angeboten werden nordnorwegische Spezialitäten, von geräuchertem Heilbutt- Kaviar über handgemachte Moltebeere-Marmelade. Eine besondere Rolle in der Region spielt Stockfisch.

Unterkunft Die rustikale MS Nordstjern lief 1956 aus der Hamburger Werft und wurde bis 2012 als Hurtigroutenschiff eingesetzt. Nach stilvoller Renovierung (Schnitzereien und Keramikarbeiten sind noch aus den 50er Jahren) ist sie im Winter für die Arctic Haute Route im Einsatz, im Sommer schifft sie nach Spitzbergen über

Veranstalter Die Arctic Haute Route wird von der Norwegian Adventure Company angeboten. Auf die MS Nordstjern schifft man entweder auf den Lofoten (und schippert dann nordwärts) oder in Tromsø (südwärts) ein. Es empfiehlt sich, vor oder nach dem Ski-Trip ein paar Tage dranzuhängen und die Landschaft zu erkunden.  Info: www.norwegian-adventurecompany.com

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