Stimmungsmache und Nabelschau im Tourismus

epa03610595 International models pose for the camera with an inflatable globe and the lettering 'Welcome' at the Brandenburg Gate in Berlin, Germany, 05 March 2013. The action was designed as advertisement for the International Tourism Fair ITB. EPA/SOEREN STACHE
Noch nie reisten so viele Deutsche nach Österreich. Kurztrips machen sie lieber im eigenen Land.

Wenn 100.000 Touristiker aus 180 Ländern frühmorgens zur Internationalen Tourismusbörse (ITB) am Berliner Messegelände drängen, stehen die Zeichen auf Stau. Auch in den Messehallen, durch die sich 170.000 Fachbesucher schieben, kommt man am späten Vormittag nur noch im Schneckentempo voran.

Entsprechend begehrt sind die Liegestühle am Tirol-Stand. Sie sind zu Mittag ähnlich gut besetzt wie jene auf den Sonnenterrassen der Skihütten. Am anderen Ende des Gemeinschaftsstandes der Österreich Werbung (ÖW) lautet das Motto „Vienna Calling“. Ein Manns-hohes rotes Telefon lädt zum Anruf in Wien ein. Am anderen Ende der Leitung: Eine Mitarbeiterin von Wien Tourismus, die erklärt, was in der Bundeshauptstadt los ist.

Tourismusminister Reinhold Mitterlehner verkündet auf der ITB, dass „noch nie so viele Deutsche bei uns Urlaub gemacht haben wie im Vorjahr“. 49,6 Millionen Übernachtungen haben sie gebucht, ein Plus von 4,7 Prozent. Jede zweite Zimmerreservierung aus dem Ausland kam aus Deutschland. Dennoch ist der Markt keine „g’mahte Wiesen“, mahnt ÖW-Chefin Petra Stolba. Die Sommer-Angebote seien noch zu wenig bekannt, Städte müssen ins Schaufenster gerückt, ehemalige Skifahrer wieder auf die Piste geholt werden. Sieben Werbemillionen pumpt die ÖW heuer in den deutschen Markt.

Prallere Reisebudgets

Tourismusobmann Hans Schenner betont auf der ITB dennoch, dass andere Wirtschaftszweige von den Zuwächsen seiner Branche „nur träumen“ können. Schließlich sind die Tourismusumsätze im Vorjahr um 3,24 Prozent auf 23,3 Milliarden Euro gestiegen, trotz schlechter Konjunktur in vielen Herkunftsmärkten. „Es wurde weder am noch im Urlaub gespart“, meint Mitterlehner. Er hofft, dass die Vorjahresergebnisse zumindest gehalten werden können. Den deutschen Gästen müsse auch ein Kurzurlaub in Österreich schmackhaft gemacht werden.

Kurzurlaube (bis zu drei Tagen) verbringen drei von vier Deutschen derzeit im eignen Land. Auf der ITB rührt Deutschland gleich in mehreren Hallen mit Strand-, Rad-, Wander- und Themenurlauben aller Art die Werbetrommel. So wirbt „Ritter Dietrich“ in entsprechender Kluft für die 700 Kilometer lange Märchenstraße auf den Spuren der Gebrüder Grimm. Offensichtlich mit Erfolg. Auf dem Dornröschen-Schloss Sababurg komme man gar nicht mehr mit einem Dornröschen aus, sagt er. „Wir haben schon fünf.“

"Pragmatisch, weil es ums Geld geht"

Dass Destinationen verschärft um Gay-Gäste werben, hat vor allem einen Grund: Jedes zweite Paar fällt in die Kategorie Double-Income/No-Kids und kann damit im Urlaub besonders viel Geld auf den Putz hauen. Im Durchschnitt um 30 bis 40 Prozent mehr als andere Gäste. Die Europäische Kommission schätzt, dass die Zielgruppe 632 Milliarden Euro im Jahr auf Reisen innerhalb der EU ausgibt.

Der Tourismus sieht gesellschaftliche Fragen traditionell „pragmatisch, weil es ums Geld geht“, sagt Wien-Tourismus-Chef Norbert Kettner. Auf der ITB hat die Schwulen- und Lesbencommunity einen eigenen Pavillon, die Bewirtung hat Wien Tourismus mit einem Kaffeehaus übernommen.

Wien wirbt heuer verstärkt in Polen, Ungarn, Rumänien, Tschechien und Indien um die zahlungskräftigen Kunden. In Prospekten wird auf angeblich schwule Regenten wie Prinz Eugen von Savoyen verwiesen, von lautem Massentourismus distanziert sich Wien aber. Entsprechende Führungen auf den Spuren des homosexuellen Wien werden beworben. Sölden trommelt mittlerweile das 15. Jahr für sein Gay-Snow-Happening mit entsprechendem Partyprogramm.

Bei 67 Prozent der Reisewilligen aus dieser Nischen-Zielgruppe sei der Zweit- und Dritturlaub bereits ein Städteurlaub, geht aus einer Umfrage hervor. Der Anteil ist laut Kettner „deutlich höher“ als bei anderen Gästen.

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