Wissenschaftler des Jahres ist eine Frau

Wissenschaftler des Jahres ist eine Frau
Der Wissenschaftler des Jahres ist eine Wissenschaftlerin – die Archäologin und Chefin in Ephesos Sabine Ladstätter.

Die Nachricht erreichte sie in Kairo, als sie die Zweigstelle des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI) besuchte. Ob die Sonne strahlte, ist nicht verbrieft. Sabine Ladstätter tut es jedenfalls: "Ich freue mich sehr", sagt Österreichs oberste Archäologin. Sie ist Wissenschaftler des Jahres 2011.

Dabei sah es anfangs nicht gut aus. Der Start ihrer öffentlichen Karriere war von heftigen Turbulenzen begleitet. Als sie mit nicht einmal 40 Jahren zur Grabungsleiterin in Ephesos bestellt werden sollte, gab es heftige Intrigen gegen die Archäologin. Obwohl Ladstätter aus einem Objektivierungsverfahren mit etwa zwanzig Bewerbern aus halb Europa als Siegerin hervorgegangen war, wackelte ihr Engagement. Von neidischen Kollegen war die Rede. Sie wurde mit ihrer Familiengeschichte konfrontiert: Ihr Vater, in Kärnten FPÖ-Politiker, sei angeblich Türkei-feindlich eingestellt. "Es ging nie um meine fachliche Qualifikation", erzählt Ladstätter. "Zu jung. Zu unerfahren. Und eine Frau!", lauteten die Anwürfe, als bekannt wurde, dass Ladstätter das Rennen um den begehrtesten Job im Kosmos der österreichischen Archäologie gemacht hatte.

Sie hielt dagegen, sei "extrem turkophil" – sogar ihre siebenjährige Tochter spricht perfekt türkisch, weil sie in Ephesos bei einer einheimischen Tagesmutter untergebracht ist. Ladstätter hoffte daher, "dass ich eine Chance bekomme."

Sie bekam und nutzte sie. Ein Jahr später wurde sie auch zur Leiterin des ÖAI mit knapp 50 Mitarbeitern und Zweigstellen in Kairo sowie Athen bestellt.

Traumjob

Indiana Jane Ladstätter, das Mensch gewordene Archäologen-Klischee? Irgendwie schon. "Im Kindergarten habe ich zu meiner Mutter gesagt: ,Ich will Archäologin werden!‘" Wie man als Unterkärntner Landkind darauf kommt? "Ich weiß es nicht." Bei Ladstätter flaute die kindliche Begeisterung nie ab: Seit sie 16 war, waren alle ihre Jobs Grabungen.

Der Umstieg ins Wissenschaftsmanagement nach der Bestellung zur Chefin des ÖAI fiel ihr nicht leicht: "Da hab ich sehr mit mir gehadert. Zuerst dachte ich, ich muss weiter alles – Forschung wie Verwaltung – 100-prozentig ausfüllen." Mittlerweile hat sie sich mit der Funktion des Lokführers angefreundet und spricht von Weichenstellungen, die sie vornehmen kann. Künftig will sie etwa das riesige Bildarchiv des ÖAI öffentlich zugänglich machen. "Schließlich waren die Forscher des 19. Jahrhunderts Weltreisende, und ihre Bilder sind ethnografisch und politisch hochinteressant", sagt Ladstätter.

Überhaupt habe sie sich ja vorgenommen, die Archäologie besser zu kommunizieren. Und hält ein flammendes Plädoyer für ihr Metier: "Ein Orchideenfach? Mitnichten!" Die geisteswissenschaftliche Grundlagenforschung sei derzeit extrem verunsichert (Stichwort in der Finanzkrise: "Wozu brauchen wird das?"). Darum sei es extrem wichtig, dass so ein Preis einer Geisteswissenschaftlerin zuerkannt wurde, sagt Ladstätter: "Pro Jahr gehen zwei Millionen Menschen durch die Grabung von Ephesos." Ihre Grabung – Ladstätters Augen beginnen zu leuchten, wenn sie das erzählt. "So, wie Kinder wissen wollen, wer ihre Eltern sind, will der Mensch die eigene Historie kennen." Das sei identitätsstiftend und stärke die Wurzeln.

 

Wichtiger Arbeitgeber

Vier Monate im Sommer widmet sie der Forschung in Ephesos und den 215 Wissenschaftlern aus 17 Ländern plus 60 türkischen Arbeitern (mittlerweile spricht sie sehr gut türkisch). "Wir sind dort auch ein Wirtschaftsfaktor." Im türkischen Selcuk (so heißt das antike Ephesos heute) ist das Grabungsunternehmen der zweitgrößte Arbeitgeber nach der Gemeinde.

Das viele Organisieren habe auch Vorteile: "Ich habe als einzige den Überblick über alle Projekte." Und das will sie für ihr künftiges wissenschaftliches Leben ausschöpfen. "Ich möchte übergreifende Ephesos-Themen aufgreifen", sagt sie. So will sie etwa Führer verfassen und über die Kulte in der antiken Metropole forschen.

Ephesos war im 2. Jh. n. Chr. eine antike Metropole mit 200.000 Einwohnern, die anders als etwa Rom, nicht modern überbaut wurde. "Hier können Großstadt-Phänomene erforscht werden", sagt die Preisträgerin". Das ist der Reiz für mich als Archäologin." Danach war die Stadt ein christliches Zentrum. "Schauen sie sich nur die Liste der Heiligen an, die angeblich in Ephesos waren: Paulus, Maria, Johannes, die Siebenschläfer, das Konzil von Ephesos fand dort statt." Und erst 15 Prozent der Stadt sind ausgegraben.

All das gibt der österreichischen Archäologie eine einzigartige Chance: "Es gibt nicht so viele Orte, wo wir im internationalen Wissenschaftsbetrieb Leadership haben. In Ephesos sind wir diejenigen, die vorgeben, was geforscht wird."

Zur Person: Sabine Ladstätter

Laufbahn Österreichs oberste Archäologin Sabine Ladstätter, Jahrgang 1968, aufgewachsen in Tainach/Kärnten, studierte Alte Geschichte und Altertumskunde sowie Klassische Archäologie in Graz und Wien, promovierte summa cum laude und nennt als besonderes Interesse Wirtschaftsarchäologie. Mit 39 Jahren wurde Ladstätter de facto Leiterin der international prestigeträchtigsten österreichischen Grabung in Ephesos/Türkei. Ein Jahr später auch Direktorin des Österreichischen Archäologischen Institutes (ÖAI).

Leben Privat lebt die Kärntnerin in Wien in Partnerschaft mit einem Archäologen-Kollegen, hat eine siebenjährige Tochter und interessiert sich sehr für Literatur.

Wissenschaftler des Jahres

Seit Jänner 1995 kürt der Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten jeweils einen "Wissenschafter des Jahres" – und zwar im-mer für das abgelaufene Jahr. Ausgezeichnet werden Forscher für ihre herausragende wissenschaftliche Leistung; mindestens genauso wichtig sei es aber, dass sie ihr Fachgebiet in die Öffentlichkeit transportieren könnten. Die Bekanntgabe des heimischen Science-Stars erfolgt immer zu Beginn des Folgejahres.

Unter den Preisträgern sind der Experimentalphysiker Anton Zeilinger (1996), die Plastische Chirurgin Hildegunde Piza (2000), die Molekulargenetikerin Renee Schroeder (2002), der Immunologe Josef Penninger (2003), der Mathematiker Rudolf Taschner (2004), die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb (2005), der Philosoph Konrad Paul Liessmann (2006) und zuletzt der Verhaltensforscher Kurt Kotrschal (2010).

 

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