Theologe: "Die Pfarrer haben Reden satt"

Theologe: "Die Pfarrer haben Reden satt"
Der Theologe Paul M. Zulehner analysiert im Interview den Konflikt in der Katholischen Kirche und denkt nach, wie es weitergehen könnte.

Das "Pastorale Forum" ist ein gemütliches Holzhaus am Rande von Hietzing. Prof. Zulehner öffnet in Crocs und aubergine-farbenem Polo die Tür und führt uns in den Winter garten mit Ikonen und einem Grapefruitbaum. Auf dem Tisch steht ein kleines Kerzerl. Wann brennt es? "Normalerweise, wenn ich bete oder esse, allein oder mit jemand anderem", erklärt er und greift zum elektrischen Gasanzünder, "aber gern auch für dieses Interview."

KURIER: Herr Professor, immer wenn in der Katholischen Kirche eine Krise ausbricht - und das ist ja nicht so selten - sind Sie ein gefragter Mann. Eine Art Troubleshooter?
Paul M. Zulehner:
Was ich von meinem Fach her leisten kann, sind sehr solide Grundanalysen. Und weil die Pastoraltheologie eine Art politische Wissenschaft ist, bin ich auch sehr daran interessiert, dass die Spannung zwischen Evangelium und modernem Lebensgefühl nicht zu groß wird.

Pfarrer Helmut Schüller fordert mit 300 Mitstreitern die Kirchenspitze heraus, indem er zum Ungehorsam aufruft. Zu Recht?

Ungehorsam ist vielleicht ein unglückliches Wort, aber der Vorgang ist meines Erachtens durchaus vernünftig. Die Pfarrer sagen nichts anderes als: Liebe Bischöfe, bitte schaut hin, wie es den Menschen in den Gemeinden mit dem Evangelium geht! Die Pfarrer haben das Reden satt, sie wollen jetzt handeln. Nicht die Pfarrer sind das Problem, sondern die Menschen, die das Evangelium unter den modernen Bedingungen nur noch so recht und schlecht leben können. Für diese Menschen sind die Pfarrer Sprachrohr. Sie verraten deshalb noch lange nicht das Evangelium. Ihre Grundhaltung ist eigentlich eine sehr pastoral-fürsorgliche.

Theologe: "Die Pfarrer haben Reden satt"

Es geht um den Zölibat, Frauen als Priester, Laienprediger. Alles Dinge, die in der katholischen Kirche in Stein gemeißelt scheinen.
So stimmt das nicht. Was die Pfarrerinitiative wünscht, steht auch in einem Hirtenbrief der österreichischen Bischöfe aus dem Jahr 1980. Deshalb wundert mich die ganze Aufregung ein bisschen. Hier steht auch nicht ein Pfarrer gegen den Kardinal, wie der KURIER geschrieben hat, oder "Gottlosigkeit gegen Evangelium", sondern die Kernfrage lautet: Wie viel Reformen traut sich die Kirche in der modernen Welt zu? Aus dieser konkreten Welt der Menschen zu flüchten, das wäre Verrat am Evangelium.

Die Antwort kennen wir doch alle.

Nach dem Konzil hatte man sehr wohl das Gefühl, dass sich die Kirche vorsichtig in die moderne Welt hineintastet. Leider sind in der Kirchenleitung viele der Meinung, dass die Öffnung des Konzils die Ursache der Krise ist. Ein deutscher Bischof hat es so ausgedrückt: Mein Vorgänger hat die Fenster weit aufgemacht und ich stehe jetzt im Zug da. Wenn das die Grundstimmung eines amtierenden Bischofs ist, kann man vergessen, dass sich dahinter irgend etwas bewegt.

Öffentlich schweigt Kardinal Schönborn bis jetzt zu Schüllers Vorstoß. Ein Fehler?
Kardinal Schönborn ist ein kluger Diplomat und wird keinen pastoralen Crash riskieren. Ich glaube, dass er sehr viele Gespräche im Hintergrund führt. Die Frage ist: Unter welchen Druck wird er von Rom gesetzt? Da ist er in einer schwierigen Lage.

Helmut Schüller behauptet, dass Kardinal Schönborn diese Reformen gar nicht will. Hat er damit Recht?
Ich kenne nicht die letzten theologischen Winkel des Herrn Kardinal, aber ich habe sowohl in der Frage Scheidung bzw. Wiederverheiratung als auch was die Laienprediger betrifft, sehr offene Positionen von ihm gehört. Was den Zölibat betrifft, steht er natürlich zunächst auf dem Status Quo. Dennoch stellt er in der Erzdiözese verheiratete, griechisch-katholische Priester an, und auch evangelische Pastoren, die verheiratet sind und konvertieren. Faktisch macht er im Modus der Ausnahme das, was die Pfarrerinitiative sich als Normalfall wünscht. Die Kirche sollte in der Zeit des zugespitzten, pastoralen Notstands dieses und jenes vielleicht doch probieren.

Die von Schüller gewünschten Experimente?

Ja. Der Vatikan könnte solche Experimente, zum Beispiel den Einsatz von nebenberuflichen, verheirateten Priestern, an ausgewählte Ortskirchen vergeben, zeitlich befristet, mit anschließender Evaluierung. Das sollte Kardinal Schönborn dem Papst vorschlagen.

Sind Sie persönlich eigentlich ein "Schüllerianer"?
Ich sehe beide Seiten. Und ich glaube auch, dass beide Konfliktparteien bei dieser Eskalationsstufe eine wirklich gute strategische Beratung brauchen. In Deutschland sind dazu Bischöfe und Pfarrer und Laien in einem Stuhlkreis gesessen und haben auf gleicher Augenhöhe kommuniziert. Ob beiden Seiten wirklich an der Sache gelegen ist, wird man daran erkennen, ob sie den Weg der Deeskalation gehen.

Was würde das bedeuten?
Das Paket der Forderungen müsste aufgeschnürt werden. Nicht alles ist gleich dringlich. Es würde auch bedeuten, in einen noch viel breiteren kirchlichen Gesprächsprozess einzutreten. Klar muss sein, dass die Zeit des Wünschens - auch jene des betroffenen Zuhörens und dann ist alles wieder vergessen - jetzt vorbei ist. Die große Stärke der Pfarrer-Initiative ist, dass sie den Weg von verbal zu real gegangen ist.

Sie haben Kardinal König gut gekannt . Was würde er in der Situation machen?
Das ist schwierig zu sagen. Aber Kardinal König hat beispielsweise schon 1963 gesagt: "Wir müssen in die Schule der Orthodoxie gehen". Das heißt, wir müssen in der Geschiedenenpastoral über den engen Zaun der Kirche hinausschauen. Vielleicht würde er mit dem Vorschlag des südafrikanischen Bischofs Lobinger sympathisieren, der zwei Arten von Priestern vorschlägt: Die ehelosen Priester, die Gemeinden gründen und aufbauen und mobil sind und die lokal gebundenen Priester, die verheiratet sein können, eine andere Ausbildung bekommen, von der Gemeinde gewählt werden.

Können so weitreichende Reformen von einem einzigen kleinen Land ausgehen?
Diese Fragen sind auch in anderen Kontinenten da. Jene Bischöfe, die ähnlich denken, müssten sich international vernetzen und dem Papst sagen: "Heiliger Vater, wir haben die Verantwortung vor Ort. Lassen Sie uns über das und das reden." Die Bischöfe haben ihre Verantwortung und Kollegialität nicht ausreichend organisiert.

Herr Professor, es taucht immer wieder das Gerücht auf, dass hinter diesem Konflikt ein persönliches Problem zwischen Schönborn und Schüller stehen soll.

Ganz ausgeschlossen ist es nicht, dass von tiefen Kränkungen , die wir gern in einem Museum von Verletzungen pflegen, noch etwas abfärbt. Auch das wäre ein Argument für professionelle Konfliktberatung. Wenn man wirklich bei den Sachfragen bleiben will, müssen persönliche Irritationen erkannt und aus dem Diskurs genommen werden.

Zur Person: Er weiß, wie es Pfarrern geht

Karriere Paul M.Zulehner, geboren am 20. Dezember 1939, ist Pastoraltheologe und Religionsforscher (Dr.phil und Dr.theol.). Priesterweihe 1964; danach arbeitet Zulehner in der Altmannsdorfer Kirche in Wien als Kaplan und als Wissenschafter. 1973 geht er nach Passau und wird dort Universitätsprofessor, ab 1984 ist er am Lehrstuhl für Pastoraltheologie und Kerygmatik an der Universität Wien tätig, auch als langjähriger Dekan der Fakultät. Seit 2009 emeritiert. Zulehner beriet 15 Jahre lang die Präsidenten des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen. Mit Kardinal Franz König gründete er das Pastorale Forum zur Förderung der Kirchen in Ost- und Mitteleuropa.

Studie
Von Paul M.Zulehner stammen u. a. die Religionsstudie 1970-2010 "Verbuntung" sowie "Wie geht's, Herr Pfarrer?" I n seiner umfassenden Forschungsarbeit hat der Theologe die Praxis der Pfarren und Pfarrer wissenschaftlich erhoben. Diese Zahlen dienen der Pfarrer-Initiative rund um Helmut Schüller als Grundlage für deren Engagement und der Kirchenleitung zur Entwicklung der Pastoral.

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