Oxonitsch: Skandal-Aufarbeitung kommt spät

Oxonitsch: Skandal-Aufarbeitung kommt spät
Hat die Stadt Wien im Missbrauchsfall im Skandalheim zu spät reagiert? Stadtrat Oxonitsch im KURIER-Interview.

Es sind schwierige Zeiten. Auch für Christian Oxonitsch. Der Wiener Bildungsstadtrat (SP) nimmt ausführlich zu jenem Skandal Stellung, den der KURIER in der Vorwoche aufgedeckt hat.

KURIER: Wir sprachen mit einer Frau, die jahrelang am Wilhelminenberg misshandelt wurde. Sie sagt: "Ich stand danach auf der Straße, hatte kein Geld und aß, was ich im Mistkübel fand. Die Gemeinde hat mein Leben zerstört." Was sagen Sie dieser Frau?
Christian Oxonitsch:
Dass mich das sehr betroffen macht. Natürlich stelle ich mir die Frage, wie es dazu kommen konnte. Warum drangen diese Schicksale nicht sofort an die Oberfläche, warum konnte den Kindern nicht rechtzeitig geholfen werden? Warum gab es keine Weiterleitung oder ein Hilfsangebot der Stadt?

Wie geht es Ihnen , wenn Sie die Schicksalsberichte in der Zeitung lesen?
Ich bin innerlich aufgewühlt. Aber ich trage jetzt die politische Verantwortung, die Vorgänge von damals aufzuklären und Licht ins Dunkel zu bringen.

Inwiefern ist die Causa Wilhelminenberg auch eine Causa Wiener SPÖ?
Für so ein Urteil ist es noch zu früh. Die neue Untersuchungskommission (siehe Zusatzartikel) muss nun klären, ob Dinge vertuscht wurden und ob Kontrollinstanzen versagt haben - ob auf politischer Ebene oder auf Ebene der Verwaltung.

Glauben Sie, dass die Wiener SPÖ unter Altbürgermeister Gratz dasselbe Interesse an Aufklärung hatte, wie die SPÖ unter Michael Häupl heute?
Ich gehe davon aus. Es gab jedenfalls kritische Berichte wie jenen von Irmtraud Karlsson (Ex-SPÖ-Nationalratsabgeordnete, Anm.) , der zu einer Heimreform führte. Es ist wichtig zu berücksichtigen, dass die Vorwürfe, die wir heute kennen, damals möglicherweise in dieser Dimension nicht bekannt waren.

Dennoch stellt sich die Frage: Hat man sich mit der Aufarbeitung zu viel Zeit gelassen?
Aus heutiger Sicht eindeutig. Aber noch einmal: Die Vorwürfe waren meines derzeitigen Wissens nach in diesem Ausmaß nicht bekannt.

Oxonitsch: Skandal-Aufarbeitung kommt spät

Der Fall der beiden Schwestern, die ihr Leid im KURIER publik machten, lag der Stadt bereits seit Juli vor. Wieso wurde die Kommission nicht früher eingerichtet?
Die Frage ist berechtigt. Zwar wurden in dem Brief, den wir im Juli bekommen haben, konkrete Vorwürfe erhoben, allerdings fehlten detailliertere Informationen wie etwa Namen der Erzieherinnen, und es wurde die Forderung nach Entschädigung erhoben, die wir an den Weissen Ring weitergeleitet haben. Als im September dann konkretere Informationen folgten, leiteten wir alles an die Staatsanwaltschaft weiter. Natürlich ist die Einrichtung der Kommission auch ein Ergebnis der medialen Aufmerksamkeit und des Vorwurfs, dass es auch Tote gegeben haben soll.

Haben in der vergangenen Woche weitere Opfer den Vorwurf der Massen-Vergewaltigung bestätigt?
Da bin ich überfragt. Dafür war und bleibt der Weisse Ring zuständig. Ich entnehme aber der Stellungnahme des Professors Sieder (Leiter der Historikerkommission, Anm.) , dass es durchaus die eine oder andere Bestätigung für die Vorwürfe gibt, dass ähnliche Sachverhalte geschildert wurden. Es gibt aber auch Berichte, die den Schilderungen widersprechen.

Wurden gegen einzelne Erzieherinnen von damals schon dienstrechtliche Konsequenzen gezogen?
Derzeit nicht. Das wird gegenwärtig noch untersucht. Dort, wo Konsequenzen möglich sind, werden sie auch gezogen.

Einige Opfer überlegen, die Stadt Wien gerichtlich zu belangen. Wie stehen Sie dazu?
Natürlich steht jedem Opfer der Rechtsweg offen. Und mir ist eines wichtig: Wer Entschädigungsleistungen aus dem Opferfonds erhält, muss auch keinen Klagsverzicht unterschreiben. Darauf habe ich Wert gelegt.

Zuletzt wurde auch Kritik an Opferanwalt Johannes Öhlböck laut, weil er der FPÖ nahe steht. Orten Sie ein parteipolitisches Kalkül?
Jeder soll das für sich selbst beurteilen. Es gibt Vorwürfe von Opfern. Das steht für mich im Vordergrund. Von welchem Anwalt sie vertreten werden, ist für mich nicht relevant.

Sie haben gestern die Leiterin der Untersuchungskommission, die Richterin Barbara Helige, vorgestellt. Werden Sie ihre Arbeit unterstützen und die Archive öffnen?
Ja. Das war auch ihre zentrale Forderung im Vorfeld. Überall dort, wo hierfür gesetzliche Grundlagen zu schaffen sind, werden diese nach Möglichkeit auch geschaffen.

Die FPÖ fordert eine paritätische Besetzung der Kommission, um über jeglichen Verdacht, dass etwas unter den Teppich gekehrt werden könnte, erhaben zu sein. Sie sind dagegen. Wieso?
Die politische Diskussion soll und muss im Gemeinderat und in den Ausschüssen geführt werden - unter Einbezugnahme aller politischen Parteien. Die Kommission selbst sollte aber von unabhängigen Experten angeführt werden.

Was wenn der Opferfonds ausgeschöpft ist?
Wenn es notwendig ist, den Fonds aufzustocken, werden wir das tun. So wie wir es bereits heuer gemacht haben - der Fonds wurde von zwei Millionen Euro auf 5,8 Millionen Euro aufgestockt. Budgetäre Zwänge treten angesichts dessen natürlich in den Hintergrund.

Sie müssen jetzt für eine Politik gerade stehen, die Sie selbst nicht unmittelbar verantwortet haben. Wie gehen Sie damit um?
Mir ist klar, dass auch meine Arbeit in 30 oder 40 Jahren vielleicht völlig anders beurteilt wird als heute. Auch wir müssen nun über eine Zeit richten, die wir selber nur am Rande miterlebt haben. Die entscheidende Frage: Wurde damals richtig gehandelt? Welche Missstände waren bekannt, wurde darauf adäquat reagiert?

Wie schwierig ist es, in so einer Situation die passenden Worte zu finden?
Schwer genug.

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