Niger: Islamisten-Alarm im Armenhaus

Niger: Islamisten-Alarm im Armenhaus
Nach den Umstürzen in Mali sollen Extremisten eingesickert sein. In der Grenzregion des Dürre-Staates gilt die zweithöchste Sicherheitsstufe.

Polizei-Einheiten sind an jeder wichtigen Kreuzung der Hauptstadt Niamey postiert. Man begegnet Pick-ups, auf deren Ladefläche Soldaten hocken. Der Präsident des mehrheitlich muslimischen Landes erhält bei Ausfahrten noch mächtigeren Militärschutz. Keine Frage, in Niger ist die Nervosität nach dem Aufstand der Tuareg, die im benachbarten Mali mit Islamisten gemeinsame Sache machten, massiv gestiegen. Denn schon 25.000 Flüchtlinge, die nach den Kämpfen die Grenze überschritten haben, befinden sich in Niger. Unter diese, so wird spekuliert, hätten sich auch einige "Gotteskrieger" gemischt.

"Wir haben eine lange Grenze mit Mali, unsere Sicherheitskräfte sind in erhöhter Alarmbereitschaft", sagt Mamane Djibo, Universitätsprofessor und Berater von Staatschef Mahamadou Issoufou, zum KURIER. Für die unmittelbar betroffene Zone um die Stadt Tillaberi wurde die zweithöchste Warnstufe ausgerufen – nach "rot" kommt nur noch "schwarz", und das bedeutet Krieg. Für Weiße ist die Region inzwischen eine No-go-Area, selbst einheimische Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, die die Flüchtlinge, aber auch die angestammte Bevölkerung in der aktuellen Dürre-bedingten Hungersnot mit Nahrungsmitteln versorgen, können nur noch unter massivem Militärschutz aktiv sein.

Amadou Baraze, Sprecher von World Vision in Niamey, war jüngst in dem Gebiet. "Gerade dort ist es besonders trocken, die Menschen würden unsere Hilfe dringend brauchen, aber unter diesen Bedingungen ist das sehr schwer." Er sei mit einem mulmigen Gefühl hingefahren, aber als Schwarzer sei er nicht primäres Ziel der muslimischen Extremisten. Und dann verweist er auf einen Zwischenfall 2010: Damals wurden zwei Franzosen entführt und getötet.

Angst vor einer Tuareg-Revolte

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Doch es sind nicht nur die Islamisten, die der Regierung Angst machen. Die erfolgreiche Revolte des stolzen Wüstenvolkes der Tuareg in Mali könnte auch die Tuareg-Minderheit in Niger auf den Geschmack bringen – ein bis zwei Millionen Menschen gehören dieser Ethnie an.

Und noch ein Szenario löst bei den Verantwortlichen in Niamey Albträume aus: Ein militärisches Vorgehen der Westafrikanischen Staatengemeinschaft (ECOWAS) gegen den selbst proklamierten Tuareg-Staat "Azawad" in Nord-Mali. Dass diese Option durchaus realistisch ist, bestätigt der nigerische Präsidentenberater Djibo: "Für uns ist eine Balkanisierung der Region inakzeptabel." Doch bei einem ECOWAS-Waffengang, so ein ungenannt bleiben wollender Insider, hätten die Rebellen nur einen Fluchtweg – nach Niger: "Dann wäre das Chaos perfekt, denn die Hauptstadt liegt nur wenige Autostunden von der Grenze zu Mali entfernt ..."

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Als ob der Staat im Sahel, was übersetzt "Ufer der Wüste" bedeutet, nicht ohnehin schon genug Probleme hätte: Nach der Dürre und der daraus folgenden Missernte des Vorjahres sind sechs Millionen Menschen von einer Hungersnot bedroht, in der gesamten Sahelzone sind es 15 bis 20 Millionen. Zusätzlich muss das Land 200.000 nach dem Umsturz in Libyen zurückgekehrte Gastarbeiter verkraften, für die es aber keine Jobs gibt.

Die Armut ist allgegenwärtig: Zwei Drittel der knapp 17 Millionen Einwohner (ihre Zahl hat sich seit 1960 nahezu verfünffacht) müssen mit 75 Eurocent pro Tag auskommen. Die Analphabetenrate ist mit fast 30 Prozent die zweithöchste der Welt.

Zu Hause ist das Elend überall, auf dem Land aber ist es besonders sichtbar. Hier leben neun, zehn Personen in winzigen, strohgedeckten Lehmhütten in einem Raum. Der misst vielleicht zehn Quadratmeter. Nur die Babys und ganz kleinen Kindern schlafen mit den Eltern in dem einen Bett, dem Rest bleibt der Boden. Ein paar Töpfe, Schöpfer, Löffel und Wasserkanister – das war es dann auch. Manche Kindern müssen sogar nackt herumlaufen.

Auf Jobsuche in Nigeria

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Im Süden des Niger, wo die Menschen die Nahrungsvorräte längst aufgebraucht haben (fällt genug Regen, ist mit der nächsten Ernte erst Ende September zu rechnen), sind die Männer ins benachbarte Nigeria ausgezogen – auf der Suche nach Jobs, um ihre Familien ernähren zu können. "Ich habe 40 US-Dollar bezahlt, und mit vielen anderen bin ich auf der Ladefläche eines Lkw über die Grenze", erzählt Saminou Abdou, 31, der vier Kinder hat. Latrinen hat er dort ausgehoben. Nach 40 Tagen trat er nach einem Hilferuf seiner Frau – sie hatte buchstäblich nichts mehr zu essen für sich und die Kinder – die Heimreise an. 100 Dollar brachte er mit. Immerhin.

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Ein anderer Erwerbszweig in dieser Gegend ist der Benzin-Schmuggel aus dem ölreichen Nigeria, wo der Sprit bloß die Hälfte kostet. Gegen Bares spielen die Zöllner mit, und in Niger wird der Treibstoff dann in Ein-Liter-Glasflaschen am Straßenrand um 25 Prozent billiger angeboten als an den offiziellen Tankstellen. Schätzungen zufolge fährt die Hälfte der Autos mit illegalem Benzin aus dem Nachbarland.

Der einzige Schatz, den das Land, das zu zwei Dritteln aus Wüste besteht, selbst birgt, ist Uran. Jetzt schon machen diese Exporte, die zu 100 Prozent an die ehemalige Kolonialmacht Frankreich gehen, 70 Prozent aller Ausfuhrerlöse aus. Und wenn eine neue Mine 2014 operativ wird, wird Niger der zweitgrößte Uran-Produzent der Welt sein. An der unfassbaren Armut der Bevölkerung wird das aber auch nichts ändern.

Nach Polit-Umstürzen Patt in Mali

Rund einen Monat nach dem Putsch in Mali präsentierte Interims-Premier Modibo Diarra in der Vorwoche sein Übergangskabinett. In diesem befinden sich auch drei Vertreter des Militärs, das am 22. März Präsident Toure gestürzt hatte. Nach massivem Druck der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS machten die Putschisten später den Weg frei für eine zivile Regierung. Doch das Land ist noch weit entfernt von Normalität.

Im Norden hatten nämlich Tuareg-Rebellen das Machtvakuum nach dem Coup ausgenützt und Stellungen der Armee überrannt. Wenig später proklamierten sie ihren eigenen Staat "Azawad", über den die Regierung in Bamako weiterhin keine Kontrolle hat.

Im Zuge der Revolte erlangten auch islamistische Kräfte Einfluss, die zunächst Seite an Seite mit den Tuareg kämpften. Später übernahmen die Extremisten das Kommando – und führten etwa in der historischen Stadt Timbuktu die Scharia ein, den islamischen Rechtskodex. Bars wurden zerstört.

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