KURIER aus Oslo: Erneut Polizeieinsatz

KURIER aus Oslo: Erneut Polizeieinsatz
Im Zuge einer im Zusammenhang mit den Attentaten stehenden Polizeiaktion gab es in Oslo einen weiteren Polizeieinsatz

Oslo scheint nicht zur Ruhe zu kommen: Spezialeinheiten der Polizei führten Sonntagvormittag in der norwegischen Hauptstadt einen bewaffneten Einsatz durch.

Der Einsatz im östlichen Teil der Hauptstadt stand nach Polizeiangaben im Zusammenhang mit den Anschlägen von Freitag. Die Anti-Terroreinheit, bekannt unter dem Namen Delta, war daran beteiligt. Laut dem Online-Portal der Zeitung Verdens Gang begann die Aktion um 11.30 Uhr und wurde auf einem etwas abgelegenen Gewerbegrundstück durchgeführt. Zeugenaussagen berichteten, die bewaffneten Polizisten hätten mehrere Personen in Unterwäsche aus dem Gebäude geholt und an die Wand gestellt durchsucht. Mehrere Personen sollen festgenommen worden sein. Die bei der Polizeiaktion festgenommenen Personen sind wieder freigelassen worden. Es habe keine Verbindung zu den Anschlägen gegeben, erklärte die Polizei am Sonntag der Nachrichtenagentur Reuters

Die Polizei hatte bereits am Vortag angekündigt, dass es noch weitere Maßnahmen geben könnte.

Traumatisiert

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Gleichzeitig sind andere Polizeikräfte auf der nahegelegenen Insel Utøya immer noch damit beschäftigt nach Leichen zu suchen. Wie KURIER-Reporter Wilhelm Theuretsbacher berichtet, hat ein regelrechter Konvoi von Leichenwägen damit begonnen, die sterblichen Überreste der Opfer abzutransportieren. Die Norweger mit ihren Gedanken ganz bei den Opfern auf der Ferieninsel.

Schon auf der Fahrt vom Flughafen in die Stadt merkt man, dass Norwegen ein traumatisiertes Land ist. Der Taxifahrer steigt aufs Gas und beginnt gleichzeitig zu reden - ungefragt sprudelt es nur so aus ihm heraus.

Sein Name ist Stein Sjølie. Er will eigentlich nicht ins Stadtzentrum fahren. Er hat am Freitag die Sprengwolke gesehen, eine Mischung aus grauem, braunem, gelbem Staub. Alle hätten an eine Gasexplosion gedacht, ein Terroranschlag im friedlichen Norwegen kam niemandem in den Sinn.

Von der Seele reden

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Was müssen die Jugendlichen auf Utøya gefühlt haben? Beim Anblick des verkleideten Polizisten waren sie sich keiner Gefahr bewusst - und dann begann er plötzlich zu schießen. Nicht so unkoordiniert, wie man das von Amokläufen kennt, sondern planmäßig und systematisch. Das Wasser, in das viele Kinder sprangen, ist noch bitterkalt.

Dann kam die richtige Polizei und versetzte sie erneut in Panik. "Sind das auch wieder Mörder?" Mit Tränengas soll ein Spezialkommando den Täter zuletzt ausgeschaltet haben. Der Gedanke an das Inseldrama macht den 50-jährigen Sjølie fertig.

Verlorenes Paradies

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"Utøya war das Paradies meiner Jugend. Gestern wurde es in eine Hölle verwandelt", sagte auch der sichtlich gezeichnete Regierungschef Jens Stoltenberg. Seit den 50er-Jahren befindet sich die nur 500 Meter kleine Insel im Besitz der AUF, der Jugendorganisation der Sozialdemokraten. Generationen von Norwegern haben hier Sommerlager besucht. Jetzt wurde die Insel, etwa 40 Kilometer von Oslo entfernt, zum Ziel eines Amokschützen, der dort fast 45 Minuten lang wüten konnte. Nur sein mitgebrachter Sprengstoff blieb unberührt.

Freitagabend waren die Menschen mit der Nachricht zu Bett gegangen, dass der Attentäter mindestens zehn Jugendliche erschossen hatte. Als sie am Samstag aufwachten, war die Zahl auf 84 angewachsen, bald auf 85. Und die Polizei befürchtete, dass sie im Tyrifjord noch mehr Leichen finden könnte.


Besorgte Eltern haben sich in einem Hotel am See eingemietet, um die Bergungsarbeiten zu verfolgen. König Harald V. und Kronprinz Haakon eilten herbei, um die Überlebenden und die Familien zu trösten. Die Opfer kommen aus ganz Norwegen. Jede Region, viele Städte sind direkt betroffen.

Die Frage nach dem "Warum" beschäftigt die ratlosen Menschen. Bei dem Ferienlager habe es sich doch um ein unpolitisches Jugendtreffen gehandelt, mit vielen Migranten, multikulturell. Es wurde Sport betrieben und über eine bessere Welt diskutiert. Seit 1974 hatte auch Stoltenberg jedes Treffen besucht.

Noch kein Ende der Angst

Die Situation in Oslo hingegen beginnt sich langsam zu normalisieren. Die Polizei hat mitgeteilt, es gäbe keinen Grund zur Sorge vor weiteren Anschlägen. Die Menschen trauen sich wieder in die Innenstadt und auf die Straßen. Es sind aber noch wenige. "Und ins Pub geht heute sicher keiner", sagt Sjølie.

Über die Dächer im Zentrum rattert ein Transporthubschrauber vom Typ Bell-214. Er bringt Soldaten und Ausrüstung. Im nahen Radisson-Hotel steigt eine komplette Kompanie schwer bewaffneter Polizisten ab. Sie soll die Stadtpolizei unterstützen.

Video: Minuten nach der Explosion in Oslo

Für Stoltenberg ist die doppelte Terrorattacke "die schlimmste Katastrophe für Norwegen seit dem Zweiten Weltkrieg". Und die Angst ist noch nicht zu Ende: Am Samstag wurde in der Nähe des Hotels der Camp-Teilnehmer ein mit einem Messer bewaffneter Mann festgenommen. Er gab an, er habe sich nur selbst schützen wollen. Und die Polizei, die bis dahin von einem Einzeltäter gesprochen hatte, fahndete aufgrund von Augenzeugen-Berichten plötzlich nach einem möglichen Komplizen. Die Unsicherheit bleibt.

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