Kroatien: Die Rache an der Urne

Kroatien: Die Rache an der Urne
Kroatien wählt: Die Stimmung im künftigen EU-Land ist frostig. Die Mehrheit lebt bescheiden - und hat wenig Vertrauen in die Politik.

Der Supermarkt mit der Aufschrift Konzum in Zaprešić, einem Vorort der kroatischen Hauptstadt Zagreb, ist nicht nur hell beleuchtet, er ist auch gut sortiert. Sein Sortiment weicht von österreichischen Supermärkten nur im Detail ab. Auch seine Preise sind durchaus vergleichbar.

"Genau das ist das Problem", erklärt Vesna Malez, die nach 34 Berufsjahren als Naturwissenschaftlerin an der Akademie der Wissenschaften in Pension gehen konnte. Der Preis für ihren Ruhestand ist hoch: Sie bekommt jetzt umgerechnet 500 Euro Pension. Zwölf Mal pro Jahr, wohlgemerkt. Weihnachts- und Urlaubsgeld für alle, das gibt es in Kroatien nicht. Die Akademikerin fährt mit dem Bus statt mit dem eigenen Wagen, dreht jede Kuna zwei und oft auch drei Mal um, hofft, dass in ihrer geerbten Wohnung unvorhergesehen keine großen Reparaturen auftreten.

Soziale Krise

Am Sonntag wählen die Kroaten ein neues Parlament, im Juli 2013 werden sie der Europäischen Union beitreten. Die Stimmung im Land ist den Temperaturen angepasst. Frostig. Was in den Wahlreden der Spitzenkandidaten täglich zur Sprache kommt, im Schatten der Euro-Krise aber nur selten außer Landes dringt, ist die extrem angespannte soziale Lage im angehenden EU-Mitgliedsstaat. 1,2 Millionen Pensionisten stehen nur 1,4 Millionen Beschäftigte gegenüber - was den ohnehin schwer verschuldeten Staatshaushalt extrem belastet.

Die prognostizierten Wahlsieger, eine aus vier Parteien bestehende links-liberale Parteienkoalition, wird den Kroaten weitere harte Sparprogramme aufbrummen müssen. Wo und wie die neue Führung aber den Sparstift ansetzen und die Wirtschaft wieder ankurbeln will, vermochte Spitzenkandidat Zoran Milanović den zweifelnden Kroaten noch nicht so recht zu vermitteln.

Abgestraft

Kroatien: Die Rache an der Urne

Die bisher alles dominierende Regierung der Kroatischen Demokratischen Union (HDZ) hingegen dürfte am Sonntag an den Urnen schmerzhaft abgestraft werden. Ihr wird nicht nur die Wirtschaftskrise angelastet. Die Rache der Wähler droht der HDZ vor allem wegen einer Serie von Korruptionsskandalen, die die allerhöchsten Parteikreise erfasst hat.

Dass ausgerechnet HDZ-Regierungschefin Jadranka Kosor den Weg für die umfassende Aufarbeitung der Skandale ermöglichte, honorieren die Kroaten nicht. Im Gegenteil: Während HDZ-Granden sich im Zuge von Privatisierungen die Taschen vollstopften, plagen die meiste Menschen bittere Existenzsorgen.

Friedrich

Jakupec, langjähriger Berater österreichischer Firmen in Kroatien, spricht von "einem Fass ohne Boden": Die Pensionskassen sind leer, die Arbeitslosenrate liegt bei zwanzig Prozent und wird noch weiter in die Höhe schnellen, weil viele landwirtschaftliche und auch industrielle Betriebe nach dem EU-Beitritt nicht mehr konkurrenzfähig sein werden.

Frau Doktor Malez betont dennoch, dass sie mit ihrer Situation nicht unzufrieden ist. Auch das ist dramatisch: "Ich habe Gott sei Dank keine Schulden, es gibt genügend Leute in unserem Land, die müssen mit nicht einmal 200 Euro pro Monat durchkommen."

Österreichische Bankmanager berichten hinter vorgehaltener Hand, dass die kroatische Konsum-Gesellschaft in erster Linie auf Pump aufgebaut ist. Die anfängliche EU-Euphorie ist laut Umfragen längst einer handfesten Skepsis gewichen. Viele Kroaten fürchten, dass sie als Bürger der Europäischen Union nicht nur vom Konzum ordentlich zur Kasse gebeten werden.
Der regierenden HDZ um Premierministerin Jadranka Kosor und ihrem ersten Herausforderer, dem Sozialdemokraten Zoran Milanović, traut in privaten Gesprächen und auch in Umfragen kaum jemand eine Verbesserung der sozialen Lage zu.

Touristen kommt es gelegen, dass die Konzum -Filialen werktags bis 20 Uhr und auch am Sonntag offenhalten. Eine junge Angestellte, die nicht genannt werden möchte, ist weniger erfreut. Sie arbeitet weit mehr als vierzig Stunden pro Woche, sieht ihren Mann und ihre Kinder kaum noch. Verdient weniger als 400 € pro Monat.

Hart im Nehmen

Die Kroaten sind hart im Nehmen. Zwar ging in diesem Jahr schon fast jede Berufsgruppe auf die Straße. Doch der zur Schau gestellte Unmut wirkt inzwischen mehr wie ein folkloristisches Ritual. Unvorstellbar, dass man in Österreich den Beamten von einem Tag auf den anderen zwanzig Prozent ihres Gehaltes kürzt. In Zagreb hingegen ging man schnell wieder zur Tagesordnung über. Glück hat, wer überhaupt einen Job hat.

Auch im Gesundheitsbereich muss weiter drastisch gespart werden. Davon kann auch die praktische Ärztin Zlatica Štrban Štok einiges erzählen. Sie arbeitet Vollzeit, 40 Wochenstunden, in zwei Altersheimen in der kroatischen Hauptstadt. "Selbst mit zwei Jobs komme ich mit meinem Salär nur schwer über die Runden." Was ihr letztlich ihr Auskommen sichert: Seit Jahren schon führt sie nebenbei eine eigene Praxis und berät im Drittjob als Konsulentin die Direktion eines privaten Senioren-Wohnheims.

Österreich: Wählen fern der Heimat

Kroaten 11.500 Kroaten sind am Sonntag in Österreich wahlberechtigt - in der Botschaft in Wien. Weltweit beteiligen sich zwischen 50.000 und 100.000 Wahlberechtigte in der Diaspora an Wahlen. Dieser Gruppe stehen drei Sitze im kroatischen Parlament zu.

Slowenien Für den Urnengang am Sonntag sind 3274 Slowenen mit Wohnsitz in Österreich registriert.

Russland Von den 27.000 Russen haben sich bis Donnerstag 1250 registriert. Wählen können sie am Sonntag in der Botschaft (Wien) und im Generalkonsulat (Salzburg).

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