Konrad: "Eine Revolution, die vom Land kommt"
Der scheidende Raiffeisen-Generalanwalt
Christian Konrad im Gespräch mit dem Wien-Korrespondenten der Neuen Zürcher Zeitung über die ÖVP, die Prölls, das Jagen und die Schweiz.
Charles E. Ritterband: Herr Generalanwalt, waren Sie der mächtigste Mann im Staat?
Christian Konrad: Das ist leider ein Gerücht, und ich nehme doch an, dass jemand wie Sie so einem Gerücht nicht nachläuft.
Die Machtfülle, welche Sie auf sich vereint haben, ist doch mehr als ein Gerücht?
Mit meinen Funktionen sind Kompetenzen, aber auch Verantwortung verbunden. Außerdem bevorzuge ich die direkte Rede, ein Ja oder ein Nein. Das ist nicht Macht, ich bin nur bestimmt.
Sie hatten in Österreich eine Sonderstellung – aufgrund Ihrer Persönlichkeit oder Ihrer Funktionen und Ämter?
Raiffeisen ist in Österreich eine wichtige Gruppe von Unternehmen. Ich bin in geheimer Wahl an die Spitze des Raiffeisenverbandes gewählt worden. Ich habe eine Reihe von Aufsichtsratsfunktionen und darüber hinaus die letzten 20 Jahre eine Reihe von Unternehmensbeteiligungen mitgekauft.
Bringt die Dominanz von Raiffeisen in
Österreich nicht auch gewisse Gefahren für die Demokratie mit sich?
Eben nicht. Wir sind demokratisch gewählt. Niederösterreich-Wien ist eine Genossenschaft mit 180 Mitgliedern, davon sind etwa 130 regelmäßig präsent, und die haben mich vier Mal insgesamt in einer geheimen Abstimmung gewählt.
Möglicherweise ist aber die von Raiffeisen ausgeübte Kontrolle über manche Medien problematisch?
Die Medien haben wir als Teil der Wirtschaft und Gesellschaft erworben und ausgebaut. Wir wären längst ausgestiegen, würden wir Verluste machen. Die Redaktionen haben starke Redakteursstatute, und ich schreibe keine Leitartikel, bestelle auch keine. Das könnte ich auch gar nicht. Wir bestellen nach reiflicher Überlegung und unter professionellen Gesichtspunkten Chefredakteure. Und das kann man nicht jedes Jahr. Jeder Chefredakteur sucht sich seine Mannschaft aus.
Konnten Sie stets der Maxime folgen, Macht als Verpflichtung zur Verantwortung wahrzunehmen?
Ich habe wissentlich keinen Machtmissbrauch begangen. Es kann schon sein, dass der eine oder andere das einmal so empfunden hat, weil er ja meine gesamte Interessenslage, die Voraussetzungen, das ganze Umfeld nicht kennt. Ich habe mich immer bemüht, das Interesse des anderen im Auge zu haben und die Würde des Menschen zu wahren. Ich kann sagen, dass ich mit den Leuten, zu denen ich Kontakt hatte oder habe, in Frieden lebe. Die richtigen Werte sind Voraussetzung, mit Macht umzugehen.
Welche Werte sprechen Sie da an?
Die christlichen Werte, ich spreche lieber von den Zehn Geboten als von einem Verhaltenskodex – und dazu sollte eine gute Kinderstube kommen. Ich hatte das Glück, in eine katholische Familie geboren worden zu sein, in der man die Werte von Jugend an gelehrt bekam. Werte wie Verlässlichkeit, Wahrheit, Treue, Anstand. Meine Eltern haben mir das nicht zum Abendgebet mitgegeben, sondern sie haben das vorgelebt.
Österreich ist mit einer Reihe von Skandalen konfrontiert. Hat Raiffeisen die Unschuld bewahrt?
Ja, wundert Sie das? Nein, man muss schon sagen, da hatten wir schon auch Glück. Denn die Raiffeisengruppe ist eine riesengroße Firma mit sehr vielen Menschen. Und da gibt es auch solche, die gefährdet sein könnten. Fehlende Gerechtigkeit gibt es überall, sogar im Vatikan.
Danke für das Stichwort. Ist der Katholizismus so etwas wie eine Staatsreligion in Österreich?
Früher, aber zwischenzeitlich ist die Dominanz gesunken. Das hängt weniger mit der Idee, mit der Religion zusammen, sondern eher mit der Art, wie die Religion verwaltet wird. Das ist eine Frage der Hierarchie, und die geht natürlich von Rom aus.
Welche Fehler wurden gemacht?
Dass man Wahrheiten lange negiert hat. Auch Priester sind Menschen. Wenn man Fehler macht, soll man dazu stehen. Das wurde nicht beherzigt, alles ein großes Geheimnis, wie im Mittelalter.
Hat Ihr persönlicher Glaube gelitten?
Überhaupt nicht. Ich habe lediglich "Probleme mit dem Bodenpersonal". Aber bei Gott nicht mit allen, ich habe sehr viele Freunde in einem geistlichen Beruf.
Für mich als Schweizer ist das legendäre "Sauschädelessen" eine skurrile und auch etwas rätselhafte Angelegenheit.
(Lacht) Das hat der frühere Wirtschaftskammerpräsident Rudolf Sallinger für seine Spitzenfunktionäre und die Spitzenpolitik eingeführt. Wir haben da angeknüpft, als ich 1990 Obmann in Niederösterreich wurde. Am ersten Arbeitstag nach Weihnachten trafen wir uns, so gegen fünf Uhr, zu einem zwanglosen Essen. Anfangs waren wir 60 bis 70 Gäste, heute sind es rund 400. Aber immer noch gilt das eiserne Prinzip, dass das informell ist. Keine Fotos, keine journalistischen Interviews, keine Zitate, keine Berichte. Das ist wichtig.
Kommt es einem sozialen Todesurteil gleich, wenn man nicht eingeladen ist?
Österreich ist klein, da gibt es nicht so viele Entscheidungsträger, aber die kommen. Ich bin treu, wenn einmal wer auf der Einladungsliste steht, dann bleibt er drauf. Auch wenn er schon in Pension ist. Es hat schon Fälle gegeben, wo Teilnehmer gegen den Kodex verstoßen haben und dann nicht mehr eingeladen wurden. Ohne großes Tamtam.
Haben Sie politische Ämter ausgeübt?
Ich war nur Finanzreferent der Jungen
ÖVP. Spätere Einladungen zu Partei- und Regierungsfunktionen habe ich immer mit dem Hinweis abgelehnt, wenn ich in meiner Position bei Raiffeisen bleibe, dann habe ich mehr Möglichkeiten, den Protagonisten in der Regierung beizustehen. Den Landesjägermeister habe ich nie angestrebt, aber er hat mir besonders viel Freude gemacht.
Haben Sie einen "heißen Draht" zu Erwin Pröll?
Erwin Pröll und ich kennen einander seit mehr als 35 Jahren, wir sind persönlich befreundet, die Familien auch. Wenn er ein Anliegen hat, dann ruft er an, und wenn ich eines habe, genauso. Ein "heißer Draht", der allerdings in den letzten Jahren aufgrund der unterschiedlichen Aufgabenstellung nur alle Monate vielleicht einmal aktiviert wurde. Er hat meine Handynummer, ich seine.
Wie stellten Sie sich zu Erwin Prölls Wunsch, Bundespräsident zu werden?
Ich habe ihm davon abgeraten. Hätte er kandidiert, hätte ich ihn unterstützt. Aber ich habe ihm abgeraten, weil ich als Freund meinte, das Risiko wäre zu groß.
Worin bestand dieses Risiko?
Wäre er gescheitert, hätte er den Landeshauptmann niederlegen müssen und sein Lebenswerk riskiert. Er hat in mehr als 20 Jahren Unglaubliches für das Land geleistet. Aber er war ungehalten, weil ich nicht in den Chor der Befürworter eingestiegen bin. Das hat zwar eine Zeit lang gedauert, aber die Sache ist längst vom Tisch.
Ist Ihre Beziehung zu Josef Pröll ähnlich eng?
Den Josef kenne ich seit 15 Jahren gut, ich war immer sehr begeistert von seinem Zugang zur Politik. Beide Prölls sind Vollblutpolitiker, von denen wir in diesem Land viel zu wenig haben.
Stünde die ÖVP jetzt nicht besser da, wenn Josef Pröll noch am Ruder wäre?
Also, das trau ich mir so nicht sagen. Der Josef Pröll hat vor zwei Jahren eine tolle Rede gehalten mit einem neuen Programm. Dieser Zug ist leider ins Stocken geraten, den Rest der Geschichte kennen wir. Seine Gesundheit … Und er hat meiner Meinung nach die richtige Entscheidung, für seine Familie, getroffen. Der neue Parteiobmann ist ja nach dem Zähneputzen in der Früh gefragt worden, ob er das machen würde. Und er hat das gemacht, aus Verantwortung. Dass Anstand und Seriosität in der Politik kurzfristig nicht belohnt werden, das wissen wir ja.
Ist die ÖVP noch zu retten?
Sie braucht nicht gerettet zu werden. Die ÖVP wird in der nächsten Regierung drinnen sein.
Wäre für Sie ein Bündnis mit einer anderen Partei denkbar?
Das kann ich mir nicht vorstellen.
Waren Sie seinerzeit für die schwarz-blaue Koalition?
Ich war sehr skeptisch, konnte aber nachvollziehen, dass Wolfgang Schüssel die Möglichkeit hatte, die Politik als Kanzler zu gestalten.
Wie war Ihr Verhältnis zu Wolfgang Schüssel?
Korrekt.
Was halten Sie von der FPÖ, was vom BZÖ?
Nächste Frage bitte! (lacht). Ich registriere nur, dass sich beide Parteien sehr regelmäßig und lautstark über Raiffeisen artikulieren, ohne darüber allzu viel zu wissen.
Wie sehen Sie die SPÖ?
Bei der SPÖ gibt es viele Gesichtspunkte, mit denen wir uns identifizieren können. Sozial sind wir auch, demokratisch auch, und dann gibt es halt Dinge wie das alte Lagerdenken. Wir, die ÖVP, sind eine Revolution, die vom Land kommt. Deshalb werden wir auch stark mit der Landwirtschaft assoziiert. Es gab und gibt immer wieder in der SPÖ Mandatare, die bei uns auch Funktionäre in der Genossenschaft sind. Beim Verein Wirtschaft für Integration üben Michael Häupl und ich gemeinsam die Schirmherrschaft aus.
Haben die österreichischen Banken vor, ihr Engagement in Osteuropa zu reduzieren?
Nein, die drei großen österreichischen sicher nicht. Wir haben Brot- und Buttergeschäfte dort gemacht, keine Spekulationen. Wir haben die Gesellschaft und die Volkswirtschaft dort finanziert und aufgebaut.
Wird es den Euro weiterhin geben?
Das kann ich mir nicht anders vorstellen. Es wird alles dafür getan werden. Zu sagen, die Griechenlandhilfe hat nur Banken geholfen, ist ein Schwachsinn.
Was ist Ihr persönlicher Bezug zum Geld?
Bei fremdem Geld bin ich sehr vorsichtig und genau, das ist mein Geschäft. Beim persönlichen Geld bin ich sehr großzügig. Mein Lebensstil ist nicht so aufwendig. Gut, ich gehe jagen, meine Frau und ich verreisen auch gerne, aber wir brauchen keine Yacht.
Früher hat man vom Bankiers gesprochen, heute heißen sie Banker. Symptomatisch?
In den 80er-Jahren war ich Vorstandsmitglied einer Bank. Gelernt habe ich das Geschäft beim Schalter, also Spareinlagen, Kleinkredite. Banker sind andere Typen, lauter, weniger diskret. Ein Bankier war früher eine Respektsperson, was Nobles.
Welche kulturellen und kulinarischen Genüsse sagen Ihnen am meisten zu?
Oper und Konzerte. Mit dem heutigen Theater bin ich nicht ganz glücklich. Ich würde so gerne einen Grillparzer, Schiller, die Klassiker sehen, aber die gibt es kaum und wenn, dann kommen sie als Nazischergen daher oder spielen nackt auf der Bühne. Beim Kulinarischen hab ich natürlich gern ein bodenständiges Essen. Sushi brauch ich nicht, lieber einen Schweinsbraten oder Kalbsnierenbraten, dafür steh ich um 4 Uhr in der Früh auf. Dazu ein gepflegtes Glas Weißwein, meist ein guter österreichischer Veltliner. Jagen möchte ich wieder mehr gehen. Aber dazu habe ich jetzt ja auch mehr Zeit.
Was fasziniert Sie an der Jagd?
Das Jagderlebnis. Das Warten, was kommt und wann es kommt, und ob es zum Abschießen ist. Man ist in der Natur und beobachtet. Letzthin hab ich lange einen Biber beobachtet. Und natürlich ist auch die Geselligkeit wichtig.
Ist die
Schweiz ein Vorbild für Österreich?
Ja – was das Bankgeheimnis anbelangt. Solange das hält, halten wir auch. Die Schweiz ist ein Land, in das ich durchaus gerne fahre, allerdings nicht zu oft – und dann bin ich eigentlich froh, wenn ich wieder zurückkomme, weil mir die Schweizer dann doch zu wenig gemütlich sind: Für meinen Lebensstil allzu puritanisch.
Zur Person: Christian Konrad
Karriere
Der 68-jährige Jurist startete seine Laufbahn nach dem Studium 1969 bei der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien. 1970 wechselt er in die niederösterreichische Landwirtschaftskammer, 1973 kehrte der verheiratete Vater von zwei Töchtern als Assistent des RLB-Generaldirektors zu Raiffeisen zurück. 1990 wurde er Obmann der RLB, 2001 auch Obmann der Raiffeisen-Holding NÖ-Wien, 1994 stieg er zum Generalanwalt des Österreichischen Raiffeisenverbandes auf. In dieser Funktion folgt ihm per 1. Juli Walter Rothensteiner nach. 1991 bis 2012 war Konrad NÖ-Landesjägermeister.
Unternehmen
Die Raiffeisen-Holding NÖ-Wien ist mit 740 Firmen das größte private Beteiligungsunternehmen Österreichs. Zur Gruppe gehören unter anderem Strabag, NÖM, Agrana, RLB NÖ-Wien und Leipnik Lundenburger. In Österreich beschäftigt die Gruppe 20.000 Mitarbeiter, weltweit rund 162.000.
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