Kampusch: Chefermittler hat weiterermittelt

Kampusch: Chefermittler hat weiterermittelt
Vertrauliche Notizen belegen, dass Kriminalist Kröll auch nach der Verfahrenseinstellung nach Hintergründen suchte.

Kalender, Notizblöcke. Vermerke über Treffen. Ort, Datum, Uhrzeit, Namen. Brisante Aufzeichnungen des im Juni 2010 unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommenen Polizeioberst Franz Kröll. Die neuen Unterlagen, die nun aufgetaucht sind, werfen neue Fragen auf im Entführungsfall Kampusch, in dem Kröll als Chefermittler fungierte. Der Fall wurde von der Staatsanwaltschaft trotz zahlreicher Ungereimtheiten am 8. Jänner 2010 mit dem Einzeltäter Wolfgang Priklopil zu den Akten gelegt.

Jetzt stellt sich heraus: Kröll hat noch Monate nach dem offiziellen Ende der Ermittlungen weiter intensiv nach Ursachen und Gründen gesucht. Er war offensichtlich nach wie vor davon überzeugt, dass zwei oder mehrere Täter am Verbrechen beteiligt waren. Das dem KURIER nun vorliegende neue Material ist übrigens auch der Justiz übermittelt worden. Folgende Aspekte ergeben sich daraus:

Kampusch: Chefermittler hat weiterermittelt

Kalendereintrag für den 3. Dezember 2009, Chefermittler Franz Kröll notiert: 18.30 Uhr bis 21 Uhr. "Gespräch" mit Ischtar A. und Natascha Kampusch. (siehe Faksimile)
Wenige Tage vor der Einstellung des Verfahrens soll also die Gegenüberstellung zwischen Opfer Kampusch und der einzigen Tatzeugin erfolgen. Die Mittelschülerin Ischtar A. ist die einzige Augenzeugin der Entführung vom 2. März 1998. Sie hatte stets behauptet, zwei Täter gesehen zu haben.

Doch warum schreibt der sonst so penible Oberst Kröll bei diesem entscheidenden Ermittlungsschritt lediglich von einem geplanten "Gespräch" , wenn es laut Strafprozessordnung doch eine Gegenüberstellung hätte sein müssen?

Nur zur Verdeutlichung: In einer Gegenüberstellung hätten die Tatzeugin Ischtar A. und Opfer Natascha Kampusch nach konkreten Vorhaltungen unter Wahrheitspflicht aussagen müssen. Stattdessen gab es nur eine lockere Plauderstunde, an dessen Ende die Tatzeugin Ischtar A. meinte, sie habe sich offenbar geirrt.

Ein nicht rechtskonformer Vorgang, auf dessen Basis die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen kurze Zeit später einstellen sollte. Krölls Eintrag ist jedenfalls ein Indiz dafür, dass sich der Chefermittler gefügt hat. Denn: Kröll hatte sich wenige Tage nach diesem "Gespräch" mit Kampusch und der Tatzeugin in einem Mail an einen Kollegen beklagt, man habe ihm von höherer Stelle "unmissverständlich nahegelegt, den Akt zu schließen."

Kampusch: Chefermittler hat weiterermittelt

Notizbucheintrag vom 23. März 2010, 10.40 Uhr, drei Monate nach der offiziellen Einstellung des Verfahrens: Franz Kröll dokumentiert Telefonate mit einer ermittelnden Kollegin aus dem Bereich "Prostitution und Menschenhandel", die am 22. und 23. März 2010 stattgefunden haben. Er hält kryptisch fest: "Gerüchte." dzt. keine Notwendigkeit Staatsanwalt.

Dann notiert Oberst Kröll den Namen eines gewichtigen österreichischen Politikers (Name der Redaktion bekannt; Anm.) : Zusatz: Sadomaso-Szene. Gefahr, dass Medien etwas erfahren. Teile ihr meine Unsicherheit mit!
Kröll hatte schon im Zuge der offiziellen Ermittlungen 2009 in einem Telefonat festgehalten, dass er hinter dem Entführungsfall ein Pädophilen- und Porno-Netzwerk vermute. Das Tonband liegt dem KURIER vor. Wörtlich hatte Kröll gemeint: " Da geht es um höchst sensible Personen (...) Leute mit Kontakten in allerhöchste Kreise. Wenn wir den kleinsten Fehler machen, wird das Netzwerk aktiv (...) Zweitens geht es um eine der größten Schweinereien überhaupt. Wir müssen wissen: Wie können wir diesen bösen Menschen das Handwerk legen?"

Die Staatsanwaltschaft betont heute, dass es letztlich keinerlei Hinweise auf einen zweiten Täter im Entführungsfall gegeben habe. Und bezieht sich heute auch auf eine Mail-Nachricht von Oberst Kröll, wonach sich der Chefermittler kurz vor der Einstellung für die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft bedankt hat - womit untermauert wäre, dass auch er keine Hinweise auf Ungereimtheiten mehr gesehen habe.
Die nun aufgetauchten Niederschriften widersprechen dieser These. Demnach hat sich der mehrfach ausgezeichnete Kriminalist Kröll weiterhin klammheimlich mit den Hintergründen des Verbrechens beschäftigt.

Doch dann stirbt Franz Kröll unerwartet. Am 24. Juni 2010. Offiziell war es Selbstmord mit seiner Dienstwaffe. Sein Bruder Karl Kröll will das bis heute nicht glauben: "Franz hat noch knapp vor seinem Tod zu mir und einem seiner Kollegen gesagt: ,Diese Verbrecher hole ich mir noch. Den Fall löse ich, dann geh ich in Pension!`"
Selbstmord-Ankündigungen hören sich anders an.

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