Israel: Rückzugsgefecht der Frommen

Israel: Rückzugsgefecht der Frommen
Auch mit schrillen Forderungen und lauten Protesten können die Ultra-Orthodoxen den Trend zur Verweltlichung nicht stoppen.

Eine strikte Trennung von Frauen und Männern – nicht nur in der Synagoge, sondern auch auf der Straße und im öffentlichen Nahverkehr. Sogar in der Armee, deren Bild von Anfang an von Soldatinnen mit geprägt wurde. Israel war schon immer gespalten zwischen fromm und weltlich.

Doch die Kämpfe um die Identität der jüdischen Gesellschaft nehmen seit Monaten an Heftigkeit zu. Gegen Ende des Sommers häufen sich seit jeher die Proteste der "Gottesfürchtigen", wie sich Israels ultra-orthodoxe Juden bezeichnen. Sie kämpfen "gegen die Unzüchtigkeit" des säkularen Israel. Eigentliches Ziel aber sind ihre Glaubensbrüder in den USA. Denn fromme Kampfstimmung in Israel fördert deren Spendenbereitschaft. Im Herbst aber hielten die Kämpfe mit Polizei und weltlichen Nachbarn auch nach den jüdischen Feiertagen an. Versuche, in frommen Wohngegenden Jerusalems zum Laubhüttenfest Männer und Frauen auf getrennte Gehsteige zu zwingen, wurden vom Obersten Gericht sofort gestoppt. Doch immer wieder hängen Fanatiker neue Trennungspfeile auf.

Beschimpft

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Auch die ebenfalls verbotene Geschlechtertrennung in öffentlichen Bussen wollen Hardliner durchsetzen. Eine Soldatin im Vorderteil eines Busses wurde als "Hure" beschimpft, eine für Fanatiker nicht züchtig genug gekleidete Neunjährige bespuckt.

All das trifft nicht nur das säkulare Israel, sondern vor allem die nicht extremistische Mehrheit unter den Gottesfürchtigen. "Wir leiden doch am meisten unter diesen Taliban", beschwert sich ein streng frommer Einwohner von Bet Shemesh. Religionsminister Jaakov Margi gehört selbst zu dieser Gruppe. Er formulierte seine Zerrissenheit in einem Appell an die Fanatiker und auch an die Medien: "An die Ausgerasteten beider Seiten: Kommt runter vom Baum!"

Militär-Rabbiner

Zum Eklat kam es diese Woche, als der Oberrabbiner der Armee die Ablösung eines Militär-Rabbiners empfahl. Der beharrt auf die Trennung ultra-orthodoxer Soldaten von Soldatinnen. Gerade Armee-Rabbiner kommen oft aus weltoffeneren Kreisen, doch der ultra-orthodoxe Einfluss wächst. Massive Gegenproteste säkularer Israelis sind die Folge: "Frauen sind nicht zu verdrängen", heißt ihre Parole. Zu Hunderten sangen Frauen Protestlieder auf den Straßen. Firmen, die in Jerusalem aus Angst vor frommem Boykott auf Werbeplakate mit Frauen verzichten, müssen nun mit weltlichem Boykott rechnen.

Kritik wird sogar in der rechten Koalitionsregierung laut, die Konflikte mit den ultra-orthodoxen Parteien sonst lieber meidet. Sind diese doch das Zünglein an Israels wippender Koalitionswaage. Einer der lautesten Kritiker ist Rechtsausleger Avigdor Lieberman: "Barbarismus ist nicht zu dulden." Doch auch er, der seinen Wählern mehr Säkularisierung versprach, beschränkt seine Kritik lieber auf Worte.

Unkontrollierte Schulen

Israel: Rückzugsgefecht der Frommen

Dabei könnte eine Wahlrechtsreform, die Israels Parteien-Gewirr strafft, den überproportionalen Einfluss der Ultra-Orthodoxen rasch beenden. Auch die Ausweitung staatlicher Anforderungen an die Privatschulen der Ultra-Frommen wäre ein Mittel: "Sie werden vom Staat finanziert, aber nicht kontrolliert", kritisierte eine Ex-Bildungsministerin. Aber auch sie hatte es im Amt nicht gewagt, Mathematik und Englisch als Pflichtfächer einzufordern. Laut Gesetz dürften die frommen Lehrer ihre Fächer nicht auf die Heiligen Schriften beschränken. Sie halten sich aber nicht daran. So wie die säkulare Mehrheit Gesetze ignoriert, die Arbeit am Sabbat-Ruhetag regulieren.

Israels Gesellschaft wird insgesamt weltlicher, das färbt auf die Ultra-Frommen ab. Trotz höchster Geburtsrate steigt ihr Gesamtanteil an der Bevölkerung kaum. Viele steigen aus. Und auch viele, die fromm bleiben, öffnen sich der Welt, drängen auf den Arbeitsmarkt. Wenn Kindergeld und staatliche "Studienhilfe" nicht reichen, verzichtet so mancher Schriftgelehrter auf das Privileg, vom Militär befreit zu sein. Denn: keine Arbeit ohne Dienst.

Vielen Israelis muten die frommen Proteste wie ein Großangriff auf die Demokratie an. Dabei sind es letztlich Rückzugsgeplänkel von Extremisten, die ihren Einfluss schwinden sehen. Auch weltliche Israelis reden zwar immer häufiger vom "jüdischen Charakter" ihres Staates, im Alltag fahren sie aber am Sabbat weiter mit dem Auto zum unkoscheren Restaurant.

Ultra-Orthodoxe: Minderheit mit Einfluss

Glaube In Israel leben insgesamt 7,7 Millionen Menschen. 75 Prozent davon sind als Juden (im Sinne von nationaler Herkunft) registriert. Davon bezeichnen sich lediglich acht Prozent als streng fromm. Sie leben möglichst abgeschirmt von ihrer säkularen Umwelt. 14 Prozent sehen sich als fromm, besuchen aber staatliche Schulen. 15 Prozent sehen sich als religiös, in lockerer Anlehnung an jüdische Traditionen. 25 Prozent sehen sich als nicht religiös, jedoch in Anlehnung an jüdische Tradition.

Privilegien Bis zu 70 Prozent der ultra-orthodoxen Männer gehen keiner Arbeit nach, sondern widmen sich dem Studium der heiligen Schriften. Sie werden vom Staat finanziell unterstützt und sind vom Wehrdienst befreit. Im Durchschnitt haben sie sieben Kinder.

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