Zu wenig Uni-Plätze: Staat muss entschädigen

Zu wenig Uni-Plätze: Staat muss entschädigen
Weil Studienplätze fehlten, muss die Republik einem Arzt Entschädigung zahlen. Ein Urteil mit Sprengkraft.

Es geht um Studiengebühren, Verdienstentgang und zusätzliche Lebenshaltungskosten: Das alles muss die Republik Österreich einem jungen Arzt ersetzen, der im Wintersemester 2005/’06 an der Medizin-Universität Graz keinen Platz in einer entscheidenden Lehrveranstaltung ergatterte – und daher mit seinem Studium in Verzug geriet.

Vorgeschichte

Die Uni bot im Wintersemester 2005/06 im zweiten Studienabschnitt bei sogenannten Lehrveranstaltungen mit immanentem Prüfungscharakter nur 264 Plätze an. Der klagende Ex-Student erhielt deshalb keinen Platz und konnte bestimmte Lehrveranstaltungsmodule nicht absolvieren - auch weil die Uni weder Parallel- noch zusätzliche Lehrveranstaltungen anbot. Folge war eine Verzögerung seines Studiums, womit ihm zusätzliche Lebenshaltungskosten während des verlängerten Studiums entstanden, er noch einmal Studiengebühren bezahlen musste und erst später ins Berufsleben eintrat.

Von einer „Verzögerung von wenigen Wochen“ spricht der Rektor der Grazer Medizin-Universität, Josef Smolle. Die Höhe der Entschädigung stehe noch nicht fest – dennoch birgt das Urteil des Obersten Gerichtshofs für Österreichs Hochschulpolitik Sprengstoff.

Urteil

„Mangelnde finanzielle Mittel der Universität zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Verpflichtung im Rahmen des Lehrbetriebs könnten die Beklagte grundsätzlich schon deshalb nicht entschuldigen, weil sie als zuständiger ... Rechtsträger dazu verpflichtet war, den Universitäten jene Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie benötigen, um ihre gesetzlichen Verpflichten zu erfüllen“, schreibt der OGH. Heißt: Die Republik kann nicht darauf verweisen, dass die Hochschulen zu wenig Geld haben – wenn die Republik ihnen zu wenig Geld gibt.

Während die Hochschülerschaft jubelt (siehe unten), versuchen Uni-Rektoren und Politik zu beruhigen: „Der gesetzliche Rahmen wurde seit dem Anlassfall bereits mehrfach geändert“, erklärte Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle. „Wir haben seit 2005 Aufnahmeverfahren für neue Studierende. Jetzt kann so eine Verzögerung nicht mehr auftreten“, sagt auch Rektor Smolle zum KURIER.

Der Grazer Rektor ist zuversichtlich: „Ich erwarte keine Klagsflut. Das wird ein Einzelfall bleiben.“ Und Töchterle meint, der Bund tue „das Möglichste“, um den Unis mehr Geld zur Verfügung zu stellen.

Etwas anders sehen das die Grünen: Mit dem Urteil drohe ein „brisanter, aber verständlicher Dominoeffekt“, warnt Bildungssprecher Kurt Grünewald. Töchterle müsse nun für jahrelange Versäumnisse beim Budget Verantwortung übernehmen.

Das Interesse an Studienplätzen an den Medizin-Unis Wien, Graz und Innsbruck ist nach einem leichten Rückgang im Vorjahr heuer übrigens wieder gestiegen - mehr dazu lesen Sie hier.

Das Wissenschaftsministerium will das OGH-Urteil des OGH "genau analysieren", verweist aber auf mittlerweile geänderte Rahmenbedingungen. Die Rechtslage habe sich seit dem "Anlassfall" geändert, zudem tue der Bund "das Möglichste", um die finanzielle Ausstattung der Universitäten zu verbessern, hieß es aus dem Ressorts von VP-Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle. Verwiesen wurde etwa auf die "zusätzlichen Mittel im Rahmen der Hochschulmilliarde". Bessere Betreuungsverhältnisse sollen auch im Zuge der Testphase der Studienplatzfinanzierung geschaffen werden, wo Kapazitätsobergrenzen definiert und zusätzliche Professoren finanziert werden. Das Ministerium stelle hier 36 Millionen Euro bereit.

Während Politik und Rektoren das OGH-Urteil nur sehr vorsichtig kommentierten, herrscht bei der Österreichischen Hochschülerschaft große Freude: „Das ist ein Grundsatzurteil. Es läutet einen Paradigmenwechsel in der Hochschulfinanzierung ein“, glaubt ÖH-Vizechefin Janine Wulz (GRAS).

Universitäten und Politik könnten sich künftig nicht mehr gegenseitig die Schuld zuweisen an den unzureichenden Studienbedingungen. „Derzeit wird die Verantwortung hin- und hergeschoben“, klagt Wulz. Übrig blieben die Studenten. Das Urteil belege klar, dass es in der „Verantwortung der Universitäten liegt, eine ausreichende Finanzierung sicherzustellen. Gelingt das nicht und sind die Studienbedingungen weiter unzureichend, laufen die Unis künftig Gefahr, wieder geklagt zu werden.“

Eine Zahl, wie viele Seminarplätze pro Semester bundesweit fehlen, gibt es in der ÖH nicht. Wulz spricht aber von „mehreren Studienrichtungen“, wo es an Professuren und an Lehrveranstaltungen fehle – und nennt als Beispiele die Politikwissenschaft oder die Soziologie. Zwei Semester Verzug wegen fehlender Seminarplätze seien oft keine Seltenheit.

Wulz gesteht aber ein, dass sich die Lage an den Medizinunis seit der Einführung von Zugangsbeschränkungen entspannt habe. „Die Konsequenz aus der Klage kann aber nicht sein, dass man alles beschränkt. Es braucht mehr Geld für Studienplätze.“

Vom politischen Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Hochschulen einzusetzen, sei man nach wie vor weit entfernt. Das Urteil erhöhe nun den Druck auf die Politik.

Österreich hat sich entschieden, ein extrem gut ausgestatteter Sozial-Standort zu sein. Dazu zählt auch, dass der Studienzugang unter allen Umständen gratis sein muss – auch wenn dies mittlerweile reinen Symbolcharakter hat. Österreich hat sich aber nie dazu durchgerungen, ein innovativer Bildungs-Standort zu sein. Im Uni-Bereich hatte Österreich das letzte Mal zu Beginn des vorigen Jahrhunderts Weltruf. Damals galt die „Wiener Medizinische Schule“ als vorbildlich. Und heute? Gibt es zwar Lippenbekenntnisse, die Akademikerquote erhöhen zu wollen. Doch an sehr vielen Universitäten wird den Hörern bis in hohe Semester hinein signalisiert, dass sie unwillkommen sind. Das ist die Kehrseite des angeblich freien (Gratis-)Zugangs.

Wer an eine (Privat-)Uni im angelsächsischen Raum aufgenommen wird, muss Hürden überwinden, hat dann aber eine hohe Chance, das Studium zu beenden. Die Lehrenden werden ihn oder sie dabei unterstützen. Auch an schwedischen oder finnischen (Gesamt-)Schulen bemühen sich Schüler um ein exzellentes Abgangszeugnis, wenn sie später studieren wollen. Denn für die Uni-Aufnahme wird beinhart selektiert.

In eine heimische Massen-Gratis-Uni stolpert man (mit Ausnahme von Fächern mit Aufnahmeverfahren) so nebenher hinein. Dafür muss man sich dann oft mühsam durchboxen, das grenzt oft an Schikane. Natürlich ist das nicht an allen Instituten, aber an viel zu vielen der Fall. Das kostet Semester. So gesehen ist das OGH-Urteil ein Tabubruch. Der Uni-Erhalter ist demnach verpflichtet, den jungen Leuten keine Zeit zu stehlen. Ein deutlicher Weckruf für die Politik – denn das ist im derzeitigen System leider so gut wie unmöglich.

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